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Juristische Struktur und ihre Bedeutung für die Praxis
A. Struktur ist kein Schema
Die im Zusammenhang mit § 823 BGB dargestellte Abbildung deutet bereits an, dass die Prüfung der Frage eines Schadensersatzes nicht trivial ist, sondern die Prüfung einer durchaus komplexen Struktur erfordern kann. Aus vielen Gründen ist es nicht möglich, die Problematik des § 823 BGB mit einer einfachen Liste von Fragen und Antworten abzubilden. Auch eine lange Liste würde das Problem nicht angemessen lösen - denn die Rechtswissenschaft ist - wie das von ihr erfasste Leben auch - nicht linear. Die juristischen Fragen können nur in Form einer logischen Struktur abgebildet werden, die mit ihren Verästelungen und Verbindungen eher einer Baumstruktur ähnelt als einer linearen Checkliste bzw. einem Schema. Und diese Struktur mit ihren zusammenhängenden Rechtsinstituten, Definitionen sowie mit der zwischen ihnen herrschenden Logik ist das, was eine verlässliche Konstruktion der Rechtsordnung ermöglicht. Das Denken in diesen Strukturen ist - zumindest aus Sicht des Autors - juristisches Denken.
Wird von einem Juristen verlangt, dass er einen Fall aus der Praxis systematisch prüft, so bedeutet dies gerade eine konsequente Befolgung der Struktur unter Beachtung ihrer internen Logik (wie bereits oben erwähnt, meist der reinen Aussagenlogik). Sofern im konkreten Fall die Frage nach einem Anspruch gestellt wird, kann eine sehr vereinfachte, grobe Struktur der Fallprüfung wie folgt aussehen:
B. Notwendigkeit einer Struktur
Die Beschäftigung mit einzelnen Rechtsinstituten, mit Definitionen und Fällen, ohne klare Orientierung, an welcher Stelle der systematischen Fallprüfung sie relevant werden können, ist mehr ein "im Dunkeln tappen", als juristische Arbeit. Deshalb sollte
- jede Norm,
- jedes Fallbeispiel,
- jede Aussage in der Literatur,
- jede sonstige juristische Betätigung
stets mit der Frage verbunden sein, wo in der Gesamtstruktur oder in der Struktur eines eingegrenzten Problembereichs die jeweilige Norm / Aussage / etc. relevant ist und was sie für diese Stelle in der Struktur bedeutet. Ist diese Denkarbeit nicht vollbracht, hat die Lektüre der jeweiligen Aussage (egal, ob Vorschrift, Kommentar oder Urteil des BGH) höchstens Unterhaltungswert und keine sinnvolle juristische Erkenntnis zur Folge.
Kurz:
Bei der Lektüre einer beliebigen juristischen Aussage überlege stets, welche Bedeutung diese für die Gesamtstruktur hat, für welche "Äste" des juristischen "Baumes" ist sie relevant.
Wie diese Frage (wo gehört das Problem in der Gesamtstruktur hin?) zu beantworten ist, wurde bereits oben erläutert - die Rechtsfolge entscheidet darüber. Auf der anderen Seite kann man auch feststellen, dass der kleinste Bestandteil einer jeden rechtlichen Struktur der Begriffspaar Rechtsfolge - ihre Voraussetzungen ist.
C. Ausgangspunkt der Struktur: mögliche rechtliche Fragestellungen
Die Formulierung "komplex" und "nicht linear" als Bezeichnungen für die Struktur der Rechtsordnung wurden bereits oben erwähnt. Dies lässt kaum Hoffnung zu auf ein simples Rezept, die Rechtsordnung zu verstehen. Und es ist richtig, dass die Komplexität der gegenwärtigen Rechtsordnungen - und durchaus zu Recht wird an dieser Komplexität Kritik geübt (*) - kaum ohne Mühe bewältigt werden kann.
(*) Vgl. z. B. Kirchhof, Das Gesetz der Hydra
Die Beherrschung zumindest des juristischen Handwerks ist wesentlich einfacher, wenn die Aufgabe eines jeden Juristen in den jeweiligen Rechtsgebieten klar ist. Und die Aufgabe ist, Antwort auf konkrete Fragen aus der Praxis zu erteilen - logisch, plausibel und überzeugend. Diese Fragen können nicht immer alle empirisch genannt werden. Sie können aber zumindest größtenteils deduktiv vorhergesehen werden, weshalb eine Überlegung darüber, was für Fragen in einem bestimmten Rechtsgebiet überhaupt auftreten können die zu beherrschende Rechtsmaterie erheblich überschaubarer macht.Kurz:
Der Einstieg in die praktische Rechtswissenschaft müsste über die Ermittlung aller denkbaren Fragen oder Fragekategorien erfolgen. Sind die denkbaren Fragen identifiziert, müssen sie analysiert und mit Hilfe der geltenden Rechtssätze (Vorschrift, Rechtsprechung) oder der Literaturmeinung in einer Struktur abgebildet werden, die eine Lösung aller denkbaren Sachverhalte ermöglicht.
Für das Zivilrecht ist der Einstieg - im Gegensatz zum öffentlichen Recht, zum Europa- oder Völkerrecht etc. - sehr einfach. Im Grunde genommen stellt sich die Frage fast immer nach einem Anspruch oder danach, ob eine der Voraussetzungen eines Anspruchs erfüllt ist (Vertrag wirksam? Vertrag geschlossen? Gestaltungsrecht gegeben?). Sofern die wichtigsten möglichen Ansprüche einem Juristen in ihrer Struktur so weit bekannt sind, dass er sie in der Praxis prüfen kann, kann dieser Jurist behaupten, dass er das Zivilrecht beherrscht.
Und auch abgesehen davon, dass es verschiedene Arten und Gruppen von Ansprüchen geben kann - für alle gilt in gewissen Grenzen immer ein und derselbe Prüfungsaufbau. Er ist komplex und nicht einfach zu verstehen. Der Aufwand, diesen zu erlernen lohnt sich jedoch - auf diese Weise kann man ein komplettes Rechtsgebiet erlernen!
hier geht es weiter mit der systematischen Fallbearbeitung
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