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Thüringer Bauordnung [ThürBO]

Kommentar Prof. Dr. Sven Müller-Grune



§ 69
Beteiligung der Nachbarn und der Öffentlichkeit



(1) Die Bauaufsichtsbehörde soll die Eigentümer benachbarter Grundstücke (Nachbarn) vor der Erteilung von Abweichungen und Befreiungen benachrichtigen, wenn zu erwarten ist, dass öffentlich-rechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden. Einwendungen sind innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Benachrichtigung bei der Bauaufsichtsbehörde schriftlich oder zur Niederschrift vorzubringen.

(2) Die Benachrichtigung entfällt, wenn die zu benachrichtigenden Nachbarn die Lagepläne und Bauzeichnungen unterschrieben oder dem Bauvorhaben auf andere Weise zugestimmt haben.

(3) Haben die Nachbarn dem Bauvorhaben nicht zugestimmt, ist ihnen die Baugenehmigung mit dem Teil der Bauvorlagen, auf den sich die Einwendungen beziehen, zuzustellen. Bei mehr als 20 Nachbarn, denen die Baugenehmigung zuzustellen ist, kann die Zustellung nach Satz 1 durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden; die Bekanntmachung hat den verfügenden Teil der Baugenehmigung, die Rechtsbehelfsbelehrung sowie einen Hinweis darauf zu enthalten, wo die Akten des Baugenehmigungsverfahrens eingesehen werden können. Sie ist im amtlichen Veröffentlichungsblatt der Bauaufsichtsbehörde bekannt zu machen. Die Zustellung gilt mit dem Tag der Bekanntmachung als bewirkt.

(4) Bei baulichen Anlagen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs geeignet sind, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, zu benachteiligen oder zu belästigen, kann die Bauaufsichtsbehörde auf Antrag des Bauherrn das Bauvorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und außerdem entweder im Internet oder in örtlichen Tageszeitungen, die im Bereich des Standorts der Anlage verbreitet sind, öffentlich bekannt machen; verfährt die Bauaufsichtsbehörde nach Halbsatz 1, finden die Absätze 1 und 2 keine Anwendung. Nach der Bekanntmachung sind der Antrag und die Bauvorlagen sowie die entscheidungserheblichen Berichte und Empfehlungen, die der Bauaufsichtsbehörde im Zeitpunkt der Bekanntmachung vorliegen, einen Monat zur Einsicht auszulegen. Innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist nach Satz 2 kann die Öffentlichkeit gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich Einwendungen erheben; mit Ablauf dieser Frist sind alle nicht rechtzeitig erhobenen öffentlich-rechtlichen Einwendungen gegen das Bauvorhaben ausgeschlossen. Die Zustellung der Baugenehmigung nach Absatz 3 Satz 1 kann durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden; Absatz 3 Satz 4 sowie Satz 1 Halbsatz 1 gelten entsprechend. In der Bekanntmachung nach Satz 1 Halbsatz 1 ist über Folgendes zu informieren:

1.
den Gegenstand des Vorhabens,

2.
die für die Genehmigung zuständige Behörde, bei der der Antrag nebst Unterlagen zur Einsicht ausgelegt wird sowie wo, wann und wie Einsicht genommen werden kann,

3.
die Möglichkeit für die Personen, deren Belange berührt sind, Einwendungen bei einer in der Bekanntmachung bezeichneten Stelle bis zu zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist vorzubringen; dabei ist darauf hinzuweisen, dass mit Ablauf der Frist alle öffentlich-rechtlichen Einwendungen gegen das Bauvorhaben ausgeschlossen sind,

4.
dass die Zustellung der Entscheidung über die Einwendungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden kann.

(5) Bei der Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung

1.
eines oder mehrerer Gebäude, wenn dadurch dem Wohnen dienende Nutzungseinheiten mit einer Größe von insgesamt mehr als 5 000 m2 Brutto-Grundfläche geschaffen werden,

2.
baulicher Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, wenn dadurch die gleichzeitige Nutzung durch mehr als 100 zusätzliche Besucher ermöglicht wird, und

3.
baulicher Anlagen, die nach Durchführung des Bauvorhabens Sonderbauten nach § 2 Abs. 4 Nr. 9 Buchst. c und Nr. 10 bis 13 sowie 15 und 16 sind,

gelten für die Öffentlichkeitsbeteiligung die Sätze 2 bis 8, wenn die Vorhaben innerhalb des nach § 61 Abs. 1 Satz 2 bekannt gemachten Abstands durchgeführt werden sollen, es sei denn, die Immissionsschutzbehörde hat aufgrund ihr vorliegender Kenntnisse mitgeteilt, dass sich das Vorhaben außerhalb des Sicherheitsabstands des Betriebsbereichs im Sinne des § 50 BImSchG befindet. Es ist eine Öffentlichkeitsbeteiligung nach Absatz 4 durchzuführen, bei der die Bekanntmachung nach Absatz 4 Satz 5 zusätzlich folgende Angaben enthält:

1.
gegebenenfalls die Feststellung der Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung des Vorhabens nach § 5 UVPG sowie erforderlichenfalls die Durchführung einer grenzüberschreitenden Beteiligung nach den §§ 8 und 9a UVPG,

2.
die Möglichkeit für die Personen, deren Belange berührt sind und für Vereinigungen, welche die Anforderungen des § 3 Abs. 1 oder § 2 Abs. 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) in der Fassung vom 23. August 2017 (BGBl. I S. 3290) in der jeweils geltenden Fassung erfüllen (betroffene Öffentlichkeit), Einwendungen bei einer in der Bekanntmachung bezeichneten Stelle bis zu zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist vorzubringen; dabei ist darauf hinzuweisen, dass mit Ablauf der Frist alle öffentlich-rechtlichen Einwendungen gegen das Bauvorhaben ausgeschlossen sind,

3.
die Art möglicher Entscheidungen oder, soweit vorhanden, den Entscheidungsentwurf,

4.
gegebenenfalls weitere Einzelheiten des Verfahrens zur Unterrichtung der Öffentlichkeit und Anhörung der betroffenen Öffentlichkeit.

Der Genehmigungsbescheid ist öffentlich bekannt zu machen. Die öffentliche Bekanntmachung wird dadurch bewirkt, dass der verfügende Teil des Bescheids und die Rechtsbehelfsbelehrung in entsprechender Anwendung des Absatzes 4 Satz 1 bekannt gemacht werden; auf Auflagen ist hinzuweisen. Eine Ausfertigung des gesamten Genehmigungsbescheids ist vom Tage nach der Bekanntmachung an zwei Wochen zur Einsicht auszulegen; in der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben, die Behandlung der Einwendungen sowie Angaben über das Verfahren zur Beteiligung der Öffentlichkeit aufzunehmen. In der öffentlichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo und wann der Bescheid und seine Begründung eingesehen und nach Satz 8 angefordert werden können. Mit dem Ende der Auslegungsfrist gilt der Bescheid auch Dritten gegenüber, die keine Einwendungen erhoben haben, als zugestellt; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Nach der öffentlichen Bekanntmachung können der Bescheid und seine Begründung bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist von den Personen, die Einwendungen erhoben haben, schriftlich angefordert werden.

(6) Ein Erbbauberechtigter tritt an die Stelle des Eigentümers. Ist Eigentümer des Nachbargrundstücks eine Eigentümergemeinschaft nach dem Wohnungseigentumsgesetz, so genügt die Beteiligung des Verwalters; seine Unterschrift gilt jedoch nicht als Zustimmung der einzelnen Wohnungseigentümer.

Quelle








Kommentierung







A. Normgeschichte



1. Historie/Gesetzesbegründung


2014 (G.v.25.03.2014 - GVBL. 2014, 49)

Nach Absatz 1 ist eine generelle Beteiligung aller Angrenzer zu allen Bauvorhaben nicht erforderlich, da der Nachbar im Sinne des § 69 nicht mit dem Nachbarn im allgemeinen Sprachgebrauch identisch sein muss. Insbesondere ist nicht jeder Eigentümer jedes angrenzenden Grundstücks als Nachbar anzusehen. Auf der anderen Seite kann der Kreis der benachbarten Grundstücke weit über die angrenzenden Grundstücke hinausgehen. Eine Nachbarbeteiligung ist nur dann erforderlich, wenn zu erwarten ist, dass öffentlich-rechtlich geschützte Belange eines Nachbarn berührt werden. Eine Verletzung von geschützten Nachbarrechten muss noch nicht feststehen. Nach Satz 1 erfolgt die Nachbarbeteiligung vorbehaltlich der Regelung des Absatzes 2 durch die Bauaufsichtsbehörde. Der Nachbar muss nach Satz 2 eventuelle Einwendungen innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Benachrichtigung vorbringen. Äußert er sich nicht oder erhebt er Einwendungen, denen nicht Rechnung getragen werden soll, führt dies nicht zur (automatischen) Ablehnung des Bauantrags, sondern nur dazu, dass ihm die Baugenehmigung nach Absatz 3 zuzustellen ist.

Nach Absatz 2 ist eine Nachbarbeteiligung dann nicht erforderlich, wenn der Nachbar bereits erkennbar dem Bauvorhaben zugestimmt hat. Das kann insbesondere dann erreicht werden, wenn der Bauherr selbst im Vorfeld der Antragstellung mit dem Nachbarn redet. Dadurch kann er nicht nur gegenüber der zweiwöchigen Äußerungsfrist des Absatzes 2 eine Verfahrensbeschleunigung erreichen, sondern insbesondere im Gespräch Bedenken des Nachbarn ausräumen beziehungsweise diesen durch Umplanung Rechnung tragen und dadurch weitere Verzögerungen vermeiden. Die Zustimmung kann entweder durch Unterschreiben der Lagepläne und Bauzeichnungen oder auf andere Weise erfolgen.

Mit Absatz 3 erhält das Thüringer Verwaltungsverfahrensgesetz ergänzende Regelungen zur Zustellung der Baugenehmigung. Nach Satz 1 sind dem Nachbarn die Baugenehmigung mit dem Teil der Bauvorlagen, auf den sich die Einwendungen beziehen, zuzustellen, wenn er dem Bauvorhaben nicht zugestimmt hat. Diese Regelung trägt der Rechts- und damit auch der Investitionssicherheit des Bauherrn Rechnung, da eine Verletzung nachbarlicher Rechte auch auf andere Weise als durch Abweichungen und Befreiungen, die die Verpflichtung zur Nachbarbeteiligung auslösen, in Betracht kommt. Satz 2 erleichtert die Bekanntgabe der Baugenehmigung in Verfahren, in denen eine Vielzahl von Nachbarn im gleichen Interesse betroffen ist und diese dem Bauvorhaben nicht zugestimmt haben. In diesem Fall kann die Zustellung durch eine öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Die Sätze 3 und 4 regeln, wo die Bekanntmachung erfolgen muss und wann sie als bewirkt gilt.

Absatz 4 trägt dem Umstand Rechnung, dass die Durchführung der Nachbarbeteiligung bei der Errichtung von Anlagen, deren Auswirkungen sich auf einen größeren Umkreis erstrecken, für den Bauherrn und die Bauaufsichtsbehörde mit der Schwierigkeit verbunden ist, dass der Kreis durch das Vorhaben möglicherweise in ihren Rechten berührter Dritter (Nachbarn) im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens nur schwer überschaubar ist. Auch im Hinblick darauf, dass eine Vielzahl solcher Vorhaben zwar nicht der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungspflicht unterliegt, aber materielles Immissionsschutzrecht mit der Folge berührt, dass möglicherweise der über den Kreis der Grundstückseigentümer und grundstücksgleich an Nachbargrundstücken dinglich Berechtigten hinausgehende immissionsschutzrechtliche Nachbarbegriff zum Tragen kommt, wird mit Absatz 4 eine Regelung geschaffen, die eine rechtssichere Drittbeteiligung auch in diesen Fällen ermöglicht und dem Bauherrn durch die Präklusionsregelung eine gewisse Investitionssicherheit gewährleistet. Hierbei soll dem Bauherrn die Drittbeteiligung durch öffentliche Bekanntmachung nicht aufgezwungen werden, sondern lediglich zu seiner Erleichterung dienen, so dass sie von seinem Antrag abhängt. Um zu vermeiden, dass sich Bauherr und/oder Bauaufsichtsbehörde auch in unproblematischen Fällen von der grundsätzlich wünschenswerten Individualbeteiligung durch die öffentliche Bekanntmachung entlasten können, setzt die öffentliche Bekanntmachung einen Antrag des Bauherrn und eine Zustimmung der Bauaufsichtbehörde voraus, der insoweit ein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Aufwendungen, die durch die öffentliche Bekanntmachung entstehen, sind vom Bauherrn zu erstatten.

Absatz 5 enthält weitere Möglichkeiten der Nachbarbeteiligung. Die Beteiligung des Erbbauberechtigten an Stelle des Eigentümers trägt dem Umstand Rechnung, dass das Erbbaurecht ein grundstücksgleiches Recht ist und für die Dauer des Bestehens des Erbbaurechts der Erbbauberechtigte nicht nur bestimmte Eigentümerbefugnisse hat, sondern auch vorrangig von den Auswirkungen des Bauvorhabens betroffen ist. Die Beteiligung des Verwalters einer Anlage nach dem Wohnungseigentumsgesetz soll der Beschleunigung dienen, da eine Beteiligung aller Einzeleigentümer unnötig zeitaufwendig sein kann. Auch wenn der Verwalter nicht für die Eigentümer einem Bauvorhaben zustimmen kann, wird er in der Regel die Interessenlage der Eigentümer kennen und seine Beteiligung eine Beurteilung der Betroffenheit von Nachbarbelangen erleichtern.

Thüringer Landtag Drucksache 5/5768





2016 (G.v.22.3.2016 - GVBl. 2016, 153)

Zu Buchstabe a:

Die zusätzliche Nennung der Öffentlichkeit in der Überschrift soll verdeutlichen, dass eine Beteiligung nicht nur auf die Nachbarn im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 beschränkt ist.

Zu den Buchstaben b und c:

Die Absätze 4 und 5 regeln die Öffentlichkeitsbeteiligung. Dabei ist der geänderte Absatz 4 dem Grunde nach bei allen Bauvorhaben anwendbar, während Absatz 5 ausschließlich für schutzbedürftige Bauvorhaben gilt, für die nach Artikel 15 der Richtlinie 2012/18/EU eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben ist.

Absatz 4 entspricht im Wesentlichen dem bisherigen Absatz 4, enthält aber Anpassungen an die im Entwurf der Änderung der Störfall-Verordnung vorgesehenen Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung, um Doppelregelungen für vergleichbare Anforderungen zu vermeiden. Die Änderungen betreffen
- die Medien der Öffentlichkeitsbeteiligung (Wahlmöglichkeit zwischen örtlichen Tageszeitungen und Internet),
- die Verlängerung der Möglichkeit, sich zu einem Vorhaben zu äußern, auf zwei Wochen nach Abschluss der öffentlichen Auslegung,
- den Inhalt der Bekanntmachung zur öffentlichen Auslegung.

Der neue Absatz 5 regelt die nach Artikel 15 der Richtlinie 2012/18/EU erforderliche Beteiligung der Öffentlichkeit am Entscheidungsverfahren. Danach haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig Gelegenheit erhält, ihren Standpunkt zu spezifischen einzelnen Projekten darzulegen, die sich unter anderem auf die Zulassung einer im Sinne des Artikels 13 der Richtlinie 2012/18/EU schutzbedürftigen Nutzung beziehen.

Nach Artikel 13 der Richtlinie 2012/18/EU sind der Öffentlichkeit vor der Entscheidung über eine Ansiedlung verschiedene Informationen zur Verfügung zu stellen. Der Öffentlichkeit ist Gelegenheit zu geben, sich vor der Entscheidung zu äußern. Nach der Entscheidung sind der Öffentlichkeit unter anderem der Inhalt der Entscheidung und die Art der Berücksichtigung
der Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung zugänglich zu machen.

Satz 1 regelt, für welche Bauvorhaben die nach der Richtlinie 2012/18/ EU erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen ist.

Die Nummern 1 und 2 entsprechen § 61 Abs. 1 Satz 2. Auf die Begründung zu § 61 wird verwiesen.

Nummer 3 nennt weitere schutzbedürftige Nutzungen, für die eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben werden soll. Das ist erforderlich, weil Artikel 13 der Richtlinie 2012/18/EU nicht abschließend beschreibt, welche Nutzungen schutzbedürftig sein können beziehungsweise was unter öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten sowie unter Erholungsgebieten zu verstehen ist. Die Konkretisierung hat daher unter Berücksichtigung des Schutzziels zu erfolgen, dass das Risiko eines schweren Unfalls nicht vergrößert oder die Folgen eines solchen Unfalls nicht verschlimmert werden sollen. Daher sind nicht nur Nutzungen mit einem umfangreichen Besucherverkehr zu betrachten, sondern auch solche Nutzungen, bei denen die Nutzer beispielsweise aufgrund ihres Gesundheitszustands oder ihres Alters besonders gefährdet oder besonders schutzbedürftig sind. Auch können Vorhaben zu berücksichtigen sein, die zwar nicht öffentlich zugänglich, aber gleichwohl beispielsweise als Einrichtung der sozialen Infrastruktur öffentlich genutzt werden.

Daher ist vor der Genehmigung der nachfolgend aufgeführten Sonderbauten eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen, wobei es gleichgültig ist, ob diese Sonderbauten durch Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung erstmals entstehen oder bestehende Sonderbauten geändert werden:
- Gebäude mit Nutzungseinheiten zum Zwecke der Pflege oder Betreuung von Personen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung, deren Selbstrettungsfähigkeit eingeschränkt ist, wenn die Nutzungseinheiten einen gemeinsamen Rettungsweg haben und für insgesamt mehr als zwölf Personen bestimmt sind (§ 2 Abs. 4 Nr. 9 Buchst. c),
- Krankenhäuser (§ 2 Abs. 4 Nr. 10),
- sonstige Einrichtungen zur Unterbringung von Personen sowie Wohnheime (§ 2 Abs. 4 Nr. 11),
- Tageseinrichtungen für Kinder, Menschen mit Behinderung und alte Menschen, ausgenommen Tageseinrichtungen einschließlich Tagespflege für nicht mehr als zehn Kinder (§ 2 Abs. 4 Nr. 12),
- Schulen, Hochschulen und ähnliche Einrichtungen (§ 2 Abs. 4 Nr. 13),
- Camping- und Wochenendplätze (§ 2 Abs. 4 Nr. 15),
- Freizeit- und Vergnügungsparks (§ 2 Abs. 4 Nr. 16).

Sonderbauten nach § 2 Abs. 4 Nr. 9 Buchst. c und Nr. 10 bis 13 werden ausdrücklich aufgenommen, weil bei ihnen im Einzelfall fraglich sein kann, ob sie öffentlich zugänglich sind beziehungsweise inwieweit die Nutzer, für die die Einrichtungen vorrangig gedacht sind (Kranke, Pflegebedürftige, Schüler und Studenten), als Besucher zu betrachten sind.

Nicht aufgenommen wurden die in § 2 Abs. 4 Nr. 14 aufgeführten Justizvollzugsanlagen und baulichen Anlagen für den Maßregelvollzug. Bei diesen handelt es sich zwar ebenfalls um Anlagen für Personen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind. Allerdings ist bei diesen Anlagen nicht hinreichend konkretisierbar, wer die "betroffene Öffentlichkeit" im Sinne des Artikels 15 der Richtlinie 2012/18/EU ist. Unabhängig davon ist die besondere Hilfsbedürftigkeit der betroffenen Personen aber im Rahmen der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit zu berücksichtigen, bei der auch die materiellen Vorgaben der Richtlinie 2012/18/EU eine Rolle spielen.

Die Aufnahme der Camping- und Wochenendplätze sowie der Freizeit- und Vergnügungsparks ist erforderlich, weil nach Artikel 13 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2012/18/EU auch bei Erholungsgebieten ein angemessener Sicherheitsabstand gewahrt werden sollte.

Bei den Nutzungen nach der Nummer 3 wurde weiter geprüft, ob bei diesen ebenfalls Schwellenwerte vorgesehen werden sollen oder ob lediglich auf den Sonderbautentatbestand verwiesen werden soll. Auf Schwellenwerte wurde zum einen verzichtet, weil die erfassten Nutzungen in der Regel ohnehin für mehr als 100 Personen vorgesehen sind und zum
anderen nicht nachvollziehbar ist, warum die besondere Schutzbedürftigkeit bestimmter Personengruppen bei der Frage des Brandschutzes anders beurteilt wird als bei der Vorsorge vor Folgen von Störfällen.

Die in Nummer 3 genannten Sonderbauten werden in § 61 Abs. 1 nicht gesondert aufgeführt, weil Sonderbauten generell aus dem Anwendungsbereich der Genehmigungsfreistellung ausgenommen sind.

Weitere Voraussetzung der Öffentlichkeitsbeteiligung nach Absatz 5 ist, dass das jeweilige Vorhaben innerhalb des Achtungsabstands beziehungsweise des angemessenen Abstands verwirklicht werden soll. Insoweit wird auf die Begründung zu § 61 verwiesen.

Nach Satz 2 ist bei den unter Satz 1 fallenden Vorhaben immer eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen, bei der zusätzlich zu den Anforderungen des Absatzes 4 weitere Anforderungen gelten. Die weiteren Angaben in der öffentlichen Bekanntmachung sind zur Umsetzung des Artikels 15 der Richtlinie 2012/18/EU erforderlich.

Die Sätze 3 bis 8 regeln das Verfahren nach der Erteilung des Genehmigungsbescheids. Danach ist der Genehmigungsbescheid öffentlich bekannt zu machen und sodann für zwei Wochen zur Einsicht auszulegen.
Die Möglichkeit, den Bescheid anzufordern, wird auf die Personen beschränkt, die rechtzeitig Einwendungen erhoben haben.

Zu Buchstabe d:

Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung.

Thüringer Landtag Drucksache 6/1398





2018 (29.06.2018 - GVBl. 2018, 297)

Es handelt sich um redaktionelle Anpassungen der Verweisungen.

Thüringer Landtag Drucksache 6/3277


2. Verwaltungsvorschrift


69.1.1 Als benachbart im baurechtlichen Sinne sind alle Grundstücke anzusehen, die durch das Vorhaben in ihren öffentlich-rechtlich geschützten Belangen berührt sein können. Für die Beurteilung kommt es auf die möglichen Auswirkungen der Errichtung des Vorhabens an. Ein Angrenzen an das Baugrundstück ist nicht erforderlich. Andererseits sind auch nicht alle angrenzenden Grundstücke als benachbart anzusehen.

69.1.2 Eine Nachbarbeteiligung ist nur erforderlich, wenn eine Abweichung oder Befreiung zugelassen werden soll und es sich um eine nachbarschützende Vorschrift handelt. Zu beteiligen sind auch in diesem Fall nur die Nachbarn, die durch die jeweilige Vorschrift geschützt werden.

69.1.3 Die Nachbarbeteiligung erfolgt durch die Bauaufsichtsbehörde, soweit sie nicht bereits durch den Bauherrn erfolgt ist. Den Nachbarn sind auch aus Gründen des Datenschutzes nur die Bauvorlagen zur Kenntnis zu geben, die für die Beurteilung ihrer Betroffenheit erforderlich sind.

69.1.4 Eine Zustimmung der Nachbarn ist für die Erteilung der Abweichung oder Befreiung nicht erforderlich. Eine erteilte Zustimmung versetzt die Bauaufsichtsbehörde nicht in die Lage, die Abweichung oder Befreiung ohne weitere Prüfung zu gestatten; ebenso wenig zwingt ein Nachbareinspruch die Behörde dazu, den Antrag zu versagen.

69.2 Eine Zustimmung auf andere Art und Weise kann z.B. durch eine gesonderte Zustimmungserklärung erfolgen (der Nachbar schickt die ihm vom Bauherrn übergebenen Unterlagen mit einem Begleitschreiben zurück, in dem er dem Bauvorhaben zustimmt).

69.3.1 Unabhängig von einer nach Absatz 1 erforderlichen Nachbarbeteiligung soll allen Nachbarn, die nicht dem Bauvorhaben zugestimmt haben, die Baugenehmigung zugestellt werden. Diese Zustellung ist deswegen vorgesehen, weil je nach Verfahren Anforderungen in unterschiedlichem Umfang nicht geprüft werden und damit eine Beurteilung von Nachbarbelangen durch die Bauaufsichtsbehörde nicht möglich ist.

69.3.2 Ausreichend ist die Zustellung des Genehmigungsbescheids ohne Bauvorlagen. Etwas anderes gilt bei konkreten Einwendungen des Nachbarn; in diesem Fall ist auch der Teil der Bauvorlagen zuzustellen, auf den sich die Einwendungen beziehen.

69.3.3 Die Grenze, ab der eine Zustellung der Baugenehmigung durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden kann, wurde von 50 auf 20 Beteiligte verringert.

69.3.4 Die Bauherren sollten im Eigeninteresse zur Beschleunigung des Verfahrens alle Angrenzer angeben. Kann die Bauaufsichtsbehörde einen Nachbarn, der nicht nach Absatz 1 zu beteiligen ist, nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermitteln, ist eine Zustellung entbehrlich.

69.4.1 Ist eine Vielzahl von Nachbarn zu beteiligen oder lässt sich der Kreis der zu beteiligenden Nachbarn nicht hinreichend genau abgrenzen, kann die Einzelbeteiligung durch eine öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Aus dem Umstand, dass eine größere Zahl von Nachbarn zu beteiligen wäre, ergibt sich regelmäßig, dass die geplante Anlage geeignet ist, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu belästigen.

69.4.2 Eine Nachbarbeteiligung durch öffentliche Bekanntmachung ist nur möglich, wenn der Bauherr dies beantragt. Die Bauaufsichtsbehörde ist an den Antrag nicht gebunden. Eine Ablehnung kommt insbesondere in Betracht, wenn aufgrund davon auszugehen ist, dass die Anstoßwirkung der öffentlichen Bekanntmachung nicht erreicht wird.

69.4.3 Die Kosten der Bekanntmachung hat der Bauherr als Auslagen zu erstatten.

69.4.4 Die öffentliche Bekanntmachung muss die in Satz 4 bestimmten Angaben enthalten. Um die erforderliche Anstoßwirkung zu erreichen, muss das beantragte Vorhaben so bezeichnet wer-den, dass daraus Bauort (z. B. durch Angabe der Adresse) und Art des Vorhabens entnommen werden können.

69.4.5 Mit Ablauf von einem Monat nach Bekanntmachung sind alle nicht rechtzeitig erhobenen Einwendungen gegen das Bauvorhaben ausgeschlossen. Für die Rechtzeitigkeit ist der Eingang bei der Bauaufsichtsbehörde maßgeblich.

69.4.6 Ebenso wie die Nachbarbeteiligung kann auch die Zustellung der Baugenehmigung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen. Die Grenze von 20 Personen, denen die Baugenehmigung zuzustellen wäre, gilt in diesem Fall nicht.

VollzBekThürBO



B. Normauslegung


















Zitiervorschlag:
Müller-Grune Sven, Kommentar zur Thüringer Bauordnung, Schmalkalden 2017, § 69.





© Prof. Dr. Sven Müller-Grune





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