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Wirtschaftsprivatrecht I

Einführung in die juristische Methodik

A. Einstieg in die Rechtsanwendung allgemein
Oder: Ein Fall - worauf kommt es an?

1. Einfaches Beispiel
Sachverhalt:
Fein (F) wurde durch den Grob (G) krankenhausreif ohne jeglichen Grund verprügelt. Deshalb verlangt F von G, dass G die Krankehausrechnung bezahlt. Kann er das?

§ 823 Abs. 1 BGB
Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

Mit § 823 BGB kennen wir eine Norm, die eine Antwort auf die Frage enthalten könnte. Dies deshalb, weil diese Vorschrift in ihrer Rechtsfolge einen Schadensersatzanspruch vorsieht. Und gerade auf die Rechtsfolge der Norm kommt es an, um die Antwort auf die oben gestellte Frage vorweg zu nehmen.
Was dies allerdings im Einzelnen heißt, bedarf einer genaueren Erläuterung.

2. Ein Stück Rechtstheorie, das für die Praxis unverzichtbar ist
Wenn der Begriff Rechtsfolge benutzt wird, muss auch der Begriff einer Rechtsnorm erklärt werden. Denn eine Rechtsnorm ist eine Rechtsfolgenanordnung. In vielen Fällen hat die Rechtsfolge einen nachteiligen Charakter für den Normadressaten (Sanktion, z. B. Schadensersatzpflicht), dies ist allerdings nicht zwingend. Die Rechtsfolge ist auch nicht immer klar und deutlich, häufig muss das Gesetz noch ausgelegt zu werden, damit die Rechtsfolge klar wird. Dies ändert jedoch nichts daran, dass eine Norm ohne Rechtsfolge nicht existieren kann.
Die Rechtsfolge tritt ein, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm erfüllt sind. Dabei ist allerdings möglich, dass eine einzelne Voraussetzung der (Haupt)Norm an sich so komplex ist, dass sie sich aus einer Reihe weiterer (Hilfs)Normen zusammensetzt, deren einzige Rechtsfolge ist, dass eine der (Unter)Voraussetzungen der (Haupt)Norm erfüllt ist.

Mit anderen Worten:
A tritt ein wenn C und D
D tritt aber nur dann ein, wenn 1 und 2
Auf diese Weise ist das Recht und die Rechtsanwendung - zumindest in ihrem handwerklichen Teil - eine reine Aussagenlogik. Die juristische Kunst beginnt dort, wo Rhetorik, Argumentationsfähigkeiten etc. gefragt sind. Sind letztere jedoch an der handwerklich falschen Stelle, bringen sie weder in der Prüfung noch im Gericht herzlich wenig.

3. Bedeutung für den konkreten Fall
§ 823 Abs. 1 BGB enthält einige Voraussetzungen und auch eine Rechtsfolge, die für den Fall vorgesehen ist, in dem die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind.

 (image: https://ife.erdaxo.de/uploads/WIPR1Einfuehrung/skizze1.png)

Die zitierte Vorschrift stellt eine Lösung des Problems dar, wenn sie in ihrer Rechtsfolge das vorsieht, was der Fragende sucht. Da die Norm eine Pflicht zum Ersatz eines Schadens und damit (auf der anderen Seite) ein Recht statuiert, den Ersatz zu verlangen, könnte sie im Falle des verprügelten F eine Lösung sein - aufgrund dieser Norm könnte F verlangen, dass G ihm die Krankenhausrechnung ausgleicht. Mit anderen Worten: § 823 I BGB enthält die Rechtsfolge, die F sucht.

Da § 823 I BGB - zumindest nach genauerer Überlegung - das Recht des F enthält, von G etwas zu verlangen (§ 194 Abs. 1 BGB), ist diese Vorschrift zugleich eine Anspruchsgrundlage, also eine Hauptnorm für die Fallprüfung. Hilfsnormen sind in diesem Zusammenhang diejenigen Regeln, welche einzelne Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB definieren - als Beispiel ist z. B. die Definition der Fahrlässigkeit aus § 276 Abs. 2 BGB zu nennen.
An dieser Stelle ist die Bedeutung des Rechtsinstituts "Anspruch" für die Zivilrechtspraxis zu betonen, die noch ausführlicher zu behandeln ist - völlig gleichgültig, ob dieser Anspruch in materiellrechtlicher oder in prozessualer Hinsicht gemeint ist.


Die Antwort auf die Frage, ob im Beispielsfall die Schadensersatzpflicht besteht oder nicht, ist zunächst einmal zweitrangig. Die entscheidende Feststellung ist an dieser Stelle, dass die Rechtsfolge einer Norm (und auch einer geschriebenen Vorschrift, die eine Norm enthält) darüber entscheidet, ob diese Norm im jeweiligen Kontext eine Verwendung findet oder nicht (*)
(*) Dies gilt sowohl für Hauptnormen (im Zivilrecht Anspruchsgrundlagen) wie auch für Hilfsnormen. Bei einer Anspruchsgrundlage ist die Rechtsfolge stets ein Anspruch und bei der Analyse der jeweiligen Anspruchsgrundlage stellt sich nur die Frage, ob gerade ein solcher Anspruch benötigt wird, den die Norm dem Anspruchsteller gewährt. Bei einer Hilfsnorm ist die Frage, ob die jeweilige Norm in ihrer Rechtsfolge das feststellt, was der gerade relevante Prüfungspunkt ist.
. Stellt sich die Frage danach, ob jemandem ein Schadensersatz zusteht, hilft § 823 BGB, weil diese Vorschrift in ihrer Rechtsfolge die Schadensersatzpflicht enthält. Bei der Frage, ob jemand fahrlässig handelt, hilft diese Norm nicht mehr. Dafür aber § 276 Abs. 2 BGB (Fahrlässig handelt, wer ...).

Kurz:
Denke immer von der Rechtsfolge her und fange die Lektüre einer Vorschrift (Analyse einer Norm) mit der Rechtsfolge an. Die Rechtsfolge entscheidet darüber, ob die Norm relevant ist oder nicht.

B. Juristische Struktur und ihre Bedeutung für die Praxis

1. Struktur ist kein Schema
Die im Zusammenhang mit § 823 BGB dargestellte Abbildung deutet bereits an, dass die Prüfung der Frage eines Schadensersatzes nicht trivial ist, sondern die Prüfung einer durchaus komplexen Struktur erfordern kann. Aus vielen Gründen ist es nicht möglich, die Problematik des § 823 BGB mit einer einfachen Liste von Fragen und Antworten abzubilden. Auch eine lange Liste würde das Problem nicht angemessen lösen - denn die Rechtswissenschaft ist - wie das von ihr erfasste Leben auch - nicht linear. Die juristischen Fragen können nur in Form einer logischen Struktur abgebildet werden, die mit ihren Verästelungen und Verbindungen eher einer Baumstruktur ähnelt als einer linearen Checkliste bzw. einem Schema. Und diese Struktur mit ihren zusammenhängenden Rechtsinstituten, Definitionen sowie mit der zwischen ihnen herrschenden Logik ist das, was eine verlässliche Konstruktion der Rechtsordnung ermöglicht. Das Denken in diesen Strukturen ist - zumindest aus Sicht des Autors - juristisches Denken.
Wird von einem Juristen verlangt, dass er einen Fall aus der Praxis systematisch prüft, so bedeutet dies gerade eine konsequente Befolgung der Struktur unter Beachtung ihrer internen Logik (wie bereits oben erwähnt, meist der reinen Aussagenlogik).

2. Notwendigkeit einer Struktur
Die Beschäftigung mit einzelnen Rechtsinstituten, mit Definitionen und Fällen, ohne klare Orientierung, an welcher Stelle der systematischen Fallprüfung sie relevant werden kann, ist mehr ein "im Dunkeln tappen", als juristische Arbeit. Deshalb sollte
- jede Norm,
- jedes Fallbeispiel,
- jede Aussage in der Literatur,
- jede sonstige juristische Betätigung
stets mit der Frage verbunden sein, wo in der Gesamtstruktur oder in der Struktur eines eingegrenzten Problembereichs die jeweilige Norm / Aussage / etc. relevant ist und was sie für diese Stelle in der Struktur bedeutet. Ist diese Denkarbeit nicht vollbracht, hat die Lektüre der jeweiligen Aussage (egal, ob Vorschrift, Kommentar oder Urteil des BGH) höchstens Unterhaltungswert und keine sinnvolle juristische Erkenntnis zur Folge.

Kurz:
Bei der Lektüre einer beliebigen juristischen Aussage überlege stets, welche Bedeutung diese für die Gesamtstruktur hat, für welche "Äste" des juristischen "Baumes" ist sie relevant.

Wie diese Frage (wo gehört das Problem in der Gesamtstruktur hin?) zu beantworten ist, wurde bereits oben erläutert - die Rechtsfolge entscheidet darüber. Auf der anderen Seite kann man auch feststellen, dass der kleinste Bestandteil einer jeden rechtlichen Struktur der Begriffspaar Rechtsfolge - ihre Voraussetzungen ist.

3. Ausgangspunkt der Struktur: mögliche rechtliche Fragestellungen
Die Formulierung "komplex" und "nicht linear" als Bezeichnungen für die Struktur der Rechtsordnung wurden bereits oben erwähnt. Dies lässt kaum Hoffnung zu auf ein simples Rezept, die Rechtsordnung zu verstehen. Und es ist richtig, dass die Komplexität der gegenwärtigen Rechtsordnungen - und durchaus zu Recht wird an dieser Komplexität Kritik geübt (*) - kaum ohne Mühe bewältigt werden kann. Die Beherrschung zumindest des juristischen Handwerks ist wesentlich einfacher, wenn die Aufgabe eines jeden Juristen in den jeweiligen Rechtsgebieten klar ist. Und die Aufgabe ist, Antwort auf konkrete Fragen aus der Praxis zu erteilen - logisch, plausibel und überzeugend. Diese Fragen können nicht immer empirisch aber mindestens deduktiv vorhergesehen werden, weshalb eine Überlegung darüber, was für Fragen in einem bestimmten Rechtsgebiet überhaupt auftreten können die zu beherrschende Rechtsmaterie erheblich überschaubarer macht.

Kurz: der Einstieg in die praktische Rechtswissenschaft müsste über die Ermittlung aller denkbaren Fragen oder Fragekategorien erfolgen. Sind die denkbaren Fragen identifiziert, müssen sie analysiert und mit Hilfe der geltenden Rechtssätze (Vorschrift, Rechtsprechung) oder der Literaturmeinung in einer Struktur abgebildet werden, die eine Lösung aller denkbaren Sachverhalte ermöglicht.

Für das Zivilrecht ist der Einstieg - im Gegensatz zum öffentlichen Recht, zum Europa- oder Völkerrecht etc. - sehr einfach. Im Grunde genommen stellt sich die Frage fast immer nach einem Anspruch oder danach, ob eine der Voraussetzungen eines Anspruchs erfüllt ist oder nicht (Vertrag wirksam? Vertrag geschlossen? Gestaltungsrecht gegeben?). Sofern die wichtigsten möglichen Ansprüche einem Juristen in ihrer Struktur insofern bekannt sind, dass er sie in der Praxis prüfen kann, kann dieser Jurist behaupten, dass er das Zivilrecht beherrscht.

Und auch abgesehen davon, dass es verschiedene Arten und Gruppen von Ansprüchen geben kann - für alle gilt in gewissen Grenzen immer ein und derselbe Prüfungsaufbau. Er ist komplex und nicht einfach zu verstehen. Der Aufwand, diesen zu erlernen lohnt sich jedoch - auf diese Weise kann man ein komplettes Rechtsgebiet erlernen!

C. Systematische Fallbearbeitung
Vom Studenten einer juristischen Fachrichtung und vom Juristen im Einsatz wird - mal ausdrücklich, mal nicht - die sog. systematische Fallbearbeitung verlangt. Diese wiederum ist nichts Anderes, als die Prüfungsform im Studium, mit der das Denken in Strukturen (siehe oben) geprüft werden kann, ohne die eine systematische Fallprüfung nicht gelingen kann. Arbeitet der Jurist nicht systematisch und strukturiert, ist dem Ergebnis seiner Arbeit nicht zu trauen. Ein nachvollziehbarer, logischer und mit Begründung versehener Weg der Lösungsfindung im Streitfall überzeugt den Richter viel eher als ein wie im Quiz geschossenes, sei es auch so geniales Ergebnis. Deshalb steht die systematische Fallbearbeitung im Zentrum der juristischen Ausbildung.

1. Gutachtenstil
Dabei bedeutet die systematische Fallbearbeitung neben der strukturierten Denkweise (vgl. oben) noch:
- Nutzung des Gutachtenstils,
-

2. Systematische Fallbearbeitung und Rechtsstaat
Die systematische Fallbearbeitung ist keine sinnfreie Kunst. Ohne eine strukturierte, für Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte sorgende und kalkulierbare Rechtsanwendung sind Anwendungsregeln zwingend erforderlich. Deshalb erfüllen die Regeln für die Werkstatt eines Juristen eine wichtige Aufgabe im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit der Rechtsordnung. In vielen Ländern, in denen die rechtsstaatliche Tradition nicht ausgeprägt ist, hängt dies untrennbar mit dem Umstand zusammen, dass strukturiertes, systematisches Arbeiten für Juristen keineswegs selbstverständlich ist.

Und zum Schluss noch ein kleiner Hinweis, der die vorangegangenen Ausführungen auf eine andere Art und Weise zusammenfasst: die systematische Fallbearbeitung ist kein Kreuzworträtsel; auf das Ergebnis kommt es viel weniger an, als auf die nachvollziehbare, logische und gemäß der Problemstruktur durchgeführte Analyse!

D. Wie lerne ich es am besten?
Die obigen Hinweise zur Natur der juristischen Themen und Probleme enthalten bereits eine Reihe von Hinweisen dazu, wie man ein guter Jurist werden kann. An dieser Stelle sollen diese Hinweise noch mal kurz zusammengefasst und einige weitere Schlüsse gezogen werden.

Beachten Sie bitte beim Lernen also Folgende, bereits oben getroffene Aussagen:
- Lesen Sie juristische Sätze (Vorschriften, Urteile, Kommentare, Bücher...) nicht wie Romane, sondern immer aus dem Blickwinkel der Struktur, in der sie relevant sind;
- bei Normen entscheidet immer die Rechtsfolge darüber, wo in der Struktur die Norm relevant ist - beachten Sie es beim Lesen; bei anderen Aussagen überlegen Sie immer "was bringt es mir im konkreten Fall?";
- benutzen Sie keine Schemata - erarbeiten Sie Strukturen und beachten Sie die Logik der Strukturen sehr genau;

Darüber hinaus ist es sinnvoll, Folgendes zu beachten:
- da die Orientierung in der Struktur nie mit Detailwissen beginnt, lohnt es sich nicht, mit Details zu beschäftigen, solange man nicht die groben Strukturen beherrscht; man sollte also stets in die Breite lernen, nicht in die Tiefe; konkret bedeutet dies am Beispiel des Zivilrechts, dass die Beschäftigung mit einem Detailproblem des Anspruchs aus § XYZ nicht sinnvoll ist, bevor man Klarheit darüber hat, was für Anspruchsgrundlagen in bestimmten Konstellationen überhaupt in Betracht kommen;
- erst, wenn die Gesamtstruktur klar ist (z. B.: "was für Ansprüche aus Vertrag sind überhaupt möglich?") sollte eine logisch saubere und präzise Beschäftigung mit der Detailstruktur notwendig ("welche Folge hat eine ausgeübte Anfechtung? - sie stellt ein Wirksamkeitshindernis dar; die Rechtsfolge (enthalten in § 142 BGB) führt dazu, dass ein Rechtsgeschäft unwirksam ist.")

















Aussagen, die zu treffen sind:





- eine Hilfsnorm füllt die Struktur mit Inhalt aus, ist zur Beantwortung einer Fallfrage jedoch selten ausreichend (Beispiel: § 104 BGB);



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