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Thema: Amtshaftung wegen rechtswidrig erteilten Vorbescheids

Rechtsnormen: § 839 BGB, Art. 34 GG, § 74 ThürBO (Die Entscheidung erging noch zu § 73 ThürBO 2004, der aber im Wortlaut § 74 ThürBO 2014 entspricht.)

Schlagworte: Amtshaftung, Vorbescheid, Vorteilsausgleich



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BGH, Urteil vom 02. Februar 2017 – III ZR 41/16




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LG Gera, 30. April 2015, 4 O 1502/12
OLG Jena, 22. Dezember 2015, 4 U 358/15




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Der Kläger beabsichtigte den Erwerb eines Grundstücks, um dieses mit einem Wohnhaus zu bebauen. Vorab beantragte er den Erlass eines Vorbescheids zur Klärung der Frage, ob das Grundstück planungsrechtlich bebaubar ist. Das Grundstück befand sich in einem qualifiziert beplanten Gebiet. Der beantragte Vorbescheid wurde von der Beklagten erlassen und die Bebaubarkeit wurde darin bestätigt. Der Kläger erwarb daraufhin das Grundstück zum Preis von 85.000,00 Euro.

Da der Kläger das Grundstück zunächst noch nicht bebauen wollte oder konnte, beantragte er zum Ablauf der Gültigkeit des Vorbescheids eine Verlängerung. Der Behörde fiel nun auf, dass der Vorbescheid mangels gesicherter Erschließung rechtswidrig war und eigentlich nicht hätte erteilt werden dürfen. Sie verweigerte die deshalb die Verlängerung. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger auf Schadensersatz gerichtete Klage beantragte und beantragte zuletzt, dass die Beklagte Zug um Zug gegen Übertragung des Grundstückeigentums den Betrag in Höhe von 85.000 Euro sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Erwerbsnebenkosten (z.B. Notarkosten, Grunderwerbssteuer, Planungskosten etc.) an ihn zu zahlen habe.




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Das Oberlandesgericht hatte die Beklagte zur Zahlung von 85.000 Euro nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übertragung des Eigentums an dem Grundstück und zur Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie von Erwerbsnebenkosten in Höhe von 14.153,08 Euro verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision blieb erfolglos.




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Neben hier vernachlässigten prozessualen Fragestellungen (die aber zur teilweisen Unzulässigkeit der Revision führten) hatte sich der Bundesgerichtshof aufgrund des Vorbringens der Beklagten mit mehreren Fragestellungen zu befassen gehabt:

1. Stellt die rechtswidrige Erteilung eines Bauvorbescheids eine Amtspflichtverletzung dar?

2. Ist der Zurechnungszusammenhang zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden unterbrochen, wenn der Adressat nicht während der Dauer der Wirksamkeit des Vorbescheids mit dem Bau beginnt?

3. Hätte zunächst der Rechtsweg gegen die Versagung der Verlängerung des Vorbescheids im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB ausgeschöpft werden müssen?

4. Entspricht der einem Vorteilsausgleich dienende Zug-Zug-Ausspruch im Urteil dem Wesen des Amtshaftungsanspruchs?



1. Amtspflichtverletzung durch Erteilung eines rechtswidrigen Vorbescheids

Behörden sind schon nach Art. 20 Abs. 3 GG verpflichtet, in Übereinstimmung mit dem bestehenden Recht zu handeln. Gegenüber einem Bauwerber folgt daraus die Amtspflicht zu rechtmäßigem Verwaltungshandeln, weshalb nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Erlass einer rechtswidrigen Baugenehmigung regelmäßig auch eine schuldhafte Amtspflichtverletzung darstellt (Rn. 28 m.w.N.).

Nichts anderes soll auch für einen Bauvorbescheid gelten, da er seiner rechtlichen Natur nach einen Teil der im Baugenehmigungsverfahren zu entscheidenden Fragestellungen verbindlich vorwegnimmt und feststellt (Rn. 28).

Die Erteilung des Vorbescheids war im vorliegenden Fall rechtswidrig, da die Erschließung entgegen § 30 Abs. 1 BauGB nicht gesichert war und der Vorbescheid somit nicht hätte erteilt werden dürfen. Es kam erschwerend hinzu, dass der Bebauungsplan bereits seit 10 Jahren bestand, ohne dass Erschließungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Der Behörde war überdies aus einem drei Jahre vor Erteilung geführten Rechtsstreit heraus offensichtlich bekannt, dass die Erschließung auf Dauer nicht durchgeführt werden könnte, worauf sie wohl sogar im Bescheid Bezug nahm (Rn. 29). In voller Kenntnis dieser Umstände wurde dennoch die Bebaubarkeit durch Erlass des Vorbescheids bestätigt. Dieser Erlass stellt damit eine schuldhafte Amtspflichtverletzung dar.


2. Keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch unterlassenen Baubeginn

Im vorliegenden Verfahren wurde wohl nicht infrage gestellt, dass der Grundstückskauf in unmittelbarem Zusammenhang mit der schuldhaften Amtspflichtverletzung stand. Nach Ansicht der Beklagten wurde der Zurechnungszusammenhang jedoch unterbrochen, da der Kläger nicht innerhalb der gesetzlich beschränkten Wirksamkeitsdauer (§ 74 Satz 2 ThürBO; § 43 Abs. 2 ThürVwVfG) von drei Jahren mit dem Bau begann und er somit selbst zumindest eine Ursache für die (rechtmäßige) Verweigerung der Verlängerung nach § 74 ThürBO setzte.

Dieser Argumentation trat der Bundesgerichtshof in Bestätigung der Vorinstanz entgegen. Auch hier stellt er auf den Zweck eines Vorbescheids ab, der während seiner Wirksamkeitsdauer vor Rechtsänderungen schützen soll. Die Ausnutzung einer rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung oder gar ein Schutz vor einer Änderung ist davon hingegen nicht umfasst. Vollkommen zutreffend verweist der Bundesgerichtshof darauf, dass der Vorbescheid auch während seiner Wirksamkeitsdauer durch Rücknahme nach § 48 Abs. 1 ThürVwVfG aufhebbar war. Das Vertrauensinteresse des Klägers hätte aber bei diesem rechtmäßigen Vorgehen der Behörde durch § 48 Abs. 3 ThürVwVfG hinreichend Schutz erfahren und der im Vertrauen auf den Bestand entstandene Vermögensnachteil wäre zu kompensieren gewesen. Hätte der Kläger nun einen Bauantrag gestellt, so hätte die Pflicht zum rechtmäßigen Amtshandeln zu dieser Aufhebung führen müssen (Rn. 33). Schon deshalb muss die Argumentation der Beklagten an dieser Stelle ins Leere laufen, da der alternative Geschehensablauf bei rechtmäßigem Verhalten der Behörde kein anderes Ergebnis herbeigeführt hätte.


3. Keine Pflicht zur Rechtswegerschöpfung bei offenkundiger Erfolglosigkeit

Der Kläger hat seinen Antrag auf Verlängerung der Gültigkeitsfrist des Vorbescheids (§ 74 Satz 3 ThürBO) nach durchgeführtem Widerspruchsverfahren nicht weiter verfolgt, obwohl prozessual noch eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) zulässig gewesen wäre. Diese wäre aber wegen der evidenten Rechtswidrigkeit erkennbar erfolglos geblieben. Wenn § 839 Abs. 3 BGB verlangt, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, so muss dieses Rechtsmittel zumindest denkbar erfolgreich sein. Die Vorschrift soll vermeiden, dass der Betroffene die Rechtsverletzung in Erwartung einer Entschädigung einfach hinnimmt („dulde und liquidiere“). Bei offenkundiger Erfolglosigkeit eines Rechtsmittels ist die Vorschrift indes nicht einschlägig. Der BGH begründet das Einlegen des Rechtsmittels hier als unzumutbar (Rn. 36), was einer pragmatischen, nicht jedoch einer juristischen Sichtweise entspricht. Tatsächlich ist die Vorschrift des § 839 Abs. 3 BGB so anzuwenden, dass eine Prüfung der Kausalität zwischen der Nichteinlegung des Rechtsmittels und dem eingetretenen Schaden durch das Gericht erfolgen muss. An dieser Kausalität fehlt es, wenn das Rechtsmittel offenkundig erfolglos bliebe.


4. Prinzip des Vorteilsausgleichs steht nicht in Widerspruch zur Amtshaftung

Letztlich hatte sich die Beklagte auch gegen die Höhe des Amtshaftungsanspruchs gewandt. Sie war der Ansicht, dass eine Übertragung an sie „Zug-um-Zug“ gegen Zahlung des Kaufpreises dem Wesen des Amtshaftungsanspruchs widerspreche. Dieser ist grundsätzlich nicht auf Naturalrestitution im Sinne des § 249 Satz 1 BGB gerichtet, sondern auf Geld- oder Wertersatz. Der Grund liegt im Wesen des Anspruchs selbst – es ist nur das zu ersetzen, was der Beamte auch tatsächlich leisten könnte (würde der Anspruch nicht nach Art. 34 Satz 1 GG übergeleitet werden). Das wird aber regelmäßig einen Ausgleich eines Vermögensnachteils betreffen.

Der Bundesgerichtshof arbeitet jedoch heraus, dass der hier ausgeurteilte Vorteilsausgleich nicht der Naturalrestitution, sondern dem Ersatzanspruch zuzurechnen ist. Ein Vorteilsausgleich besage nämlich lediglich, dass auf einen Ersatzanspruch der durch das nachteilige Ereignis entstandene Vorteil anzurechnen ist, sofern zwischen dem Schadensereignis und diesem Vorteil ein adäquater Zusammenhang bestehe. Das entspreche auch schon der bisherigen Urteilspraxis des Bundesgerichtshofs bei Amtshaftungsansprüchen (Rn. 42).

Erfolgt der Vorteilsausgleich wie hier durch Zug-um-Zug Verurteilung, so diene das einem gerechten Interessenausgleich. Im vorliegenden Fall habe der Kläger das Grundstück nachweislich erworben, um für seine Familie und sich Wohnraum zu schaffen. Das hätte er ohne den Vorbescheid nicht getan, es ist auch ohne die Möglichkeit der Wohnbebauung jedenfalls für ihn wertlos. Deshalb ist der Kaufpreis in voller Höhe von 85.000,00 Euro zu erstatten. Das Grundstück ist dann aber an die Beklagte zu übertragen im Wege des Vorteilsausgleichs. Für diese muss es sich dann nicht einmal als wertlos herausstellen, weshalb die Übernahme auch nicht als unzumutbar erscheint. Sollte nämlich einmal die Erschließung durch die Beklagte durchgeführt werden, würde aus dem bisherigen Rohbauland (§ 5 Abs. 3 ImmoWertVO) deutlich wertvolleres Bauland (§ 5 Abs. 4 ImmoWertVO). Das könne sie weiterveräußern (Rn. 43).




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Mit der vorliegenden Entscheidung hat der Bundesgerichtshof konsequent zunächst seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach rechtswidriges Verwaltungshandeln auch im Falle von zunächst begünstigenden Entscheidungen wie etwa dem Erteilen einer Baugenehmigung zu Schadensersatz im Wege der Amtshaftung führen kann. Konsequent muss das auch für einen rechtswidrig erteilten Vorbescheid gelten. Verwaltungsmitarbeitern muss daher weiterhin bewusst sein, dass auch begünstigende Entscheidungen zu teilweise erheblichen Schäden führen können, wenn sich diese als rechtswidrig herausstellen.

Darüber hinaus stellen sich aus dem hier für anwendbar erklärten Prinzip der Vorteilsausgleichung zusätzliche Probleme für die betroffene Körperschaft. Diese kann sich nämlich auch gegen Amtshaftungsansprüche absichern. Allerdings muss eine Versicherung nur von dem tatsächlich entstandenen Schaden befreien. Wenn hier ein Grundstück in das Eigentum der Körperschaft übertragen wird, so muss sich die Körperschaft diesen Wert auf den Befreiungsanspruch durchaus anrechnen lassen. Trotz bestehender Versicherung würde das jedenfalls vorübergehend bis zur Weiterveräußerung des Grundstücks eine Belastung für den Haushalt der Körperschaft bedeuten.




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http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=558bcd0532a53c142ec8d5cf5c20514a&nr=77477&pos=8&anz=18





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© Prof. Dr. Sven Müller-Grune


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