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Thüringer Bauordnung [ThürBO]
Kommentar Prof. Dr. Sven Müller-Grune
§ 87a Technische Baubestimmungen |
(1) Die Anforderungen nach § 3 können durch Technische Baubestimmungen konkretisiert werden. Die Technischen Baubestimmungen sind zu beachten. Von den in den Technischen Baubestimmungen enthaltenen Planungs-, Bemessungs- und Ausführungsregelungen kann abgewichen werden, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die Anforderungen erfüllt werden und in der Technischen Baubestimmung eine Abweichung nicht ausgeschlossen ist; § 16a Abs. 2, § 17 Abs. 1 und § 66 Abs. 1 bleiben unberührt.
(2) Die Konkretisierungen können durch Bezugnahmen auf technische Regeln und deren Fundstellen oder auf andere Weise erfolgen, insbesondere in Bezug auf:
1.
bestimmte bauliche Anlagen oder ihre Teile,
2.
die Planung, Bemessung und Ausführung baulicher Anlagen und ihrer Teile,
3.
die Leistung von Bauprodukten in bestimmten baulichen Anlagen oder ihren Teilen, insbesondere:
a)
Planung, Bemessung und Ausführung baulicher Anlagen bei Einbau eines Bauprodukts,
b)
Merkmale von Bauprodukten, die sich für einen Verwendungszweck auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 3 Satz 1 auswirken,
c)
Verfahren für die Feststellung der Leistung eines Bauprodukts im Hinblick auf Merkmale, die sich für einen Verwendungszweck auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 3 Satz 1 auswirken,
d)
zulässige oder unzulässige besondere Verwendungszwecke,
e)
die Festlegung von Klassen und Stufen in Bezug auf bestimmte Verwendungszwecke,
f)
die für einen bestimmten Verwendungszweck anzugebende oder erforderliche und anzugebende Leistung in Bezug auf ein Merkmal, das sich für einen Verwendungszweck auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 3 Satz 1 auswirkt, soweit vorgesehen in Klassen und Stufen,
4.
die Bauarten und die Bauprodukte, die nur eines allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses nach § 16a Abs. 3 oder nach § 19 Abs. 1 bedürfen,
5.
Voraussetzungen zur Abgabe der Übereinstimmungserklärung für ein Bauprodukt nach § 22,
6.
die Art, den Inhalt und die Form technischer Dokumentation.
(3) Die Technischen Baubestimmungen sollen nach den Grundanforderungen nach Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 gegliedert sein.
(4) Die Technischen Baubestimmungen enthalten die in § 17 Abs. 3 genannte Liste.
(5) Das Deutsche Institut für Bautechnik macht nach Anhörung der beteiligten Kreise im Einvernehmen mit der obersten Bauaufsichtsbehörde zur Durchführung dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen die Technischen Baubestimmungen nach Absatz 1 bekannt. Die nach Satz 1 bekannt gemachten Technischen Baubestimmungen werden mit Bekanntmachung durch die oberste Bauaufsichtsbehörde als Verwaltungsvorschrift im Thüringer Staatsanzeiger verbindlich. Bei der Bekanntmachung kann hinsichtlich des Inhalts auf die Fundstelle der Technischen Baubestimmungen verwiesen werden.
Kommentierung |
A. Normgeschichte
1. Historie
2. Gesetzesbegründung
2018
§ 87 a bildet die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass von Technischen Baubestimmungen. In diesen Technischen Baubestimmungen gehen sowohl die Technischen Regeln, die bislang in der Liste der Technischen Baubestimmungen enthalten waren als auch diejenigen, die bislang in den Bauregellisten geführt wurden, auf.Absatz 1 Satz 1 bestimmt als Gegenstand Technischer Baubestimmungen die Konkretisierung der Anforderungen nach § 3. Die Technischen Baubestimmungen sind zunächst grundsätzlich verbindlich. Da technische Regeln zwar den zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung aktuellen technischen Standard aufnehmen, dieser aber schnell voranschreiten kann, kann der Bauherr ohne Zulassungsverfahren jede andere genauso geeignete technische Lösung wählen. Diese Möglichkeit ist aber beschränkt auf Planungs-, Bemessungs- und Ausführungsregelungen, um zu vermeiden, dass ein Bauherr bei materielle Anforderungen konkretisierenden Regelungen sich sein eigenes Anforderungsniveau zusammenstellt. Weiter wird vorgesehen, dass einzelne Technische Baubestimmungen für "abweichungsfest" erklärt werden. Eine von ihnen abweichende Sonderlösung kann aber unter den Voraussetzungen der § 16 a Abs. 2, § 17 Abs. 1 und § 66 Abs. 1 zugelassen werden. Soweit die für das Bauvorhaben zuständige Bauaufsichtsbehörde oder der Prüfingenieur Bedenken gegen die ohne ausdrückliche Zulassung gewählte Lösung haben, hat der Bauherr deren Eignung zu belegen.
Aus verfassungsrechtlichen Gründen müssen in der Ermächtigungsgrundlage Inhalt, Zweck und Ausmaß der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift hinreichend bestimmt sein. Absatz 2 enthält deshalb detaillierte Vorgaben dazu, welche Arten von Regelungen in die Verwaltungsvorschrift aufgenommen werden können. Die Bezugnahme auf nichtstaatliche technische Regeln ist zulässig und im Sinne der schlanken Gestaltung der Technischen Baubestimmungen auch erwünscht; es können aber auch Regelungen auf andere Weise unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorgenommen werden, und zwar in Bezug auf die in den Nummern 1 bis 6 genannten Gegenstände.
Im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 sind Regelungen zu Verfahren für die Feststellung der Leistung von Bauprodukten, zum Nachweis der Verwendbarkeit von Bauprodukten sowie Übereinstimmungserklärungen zu zusätzlichen nationalen Anforderungen nicht statthaft. Nummer 3 Buchst. c und die Nummern 4 und 5 sind daher auf Bauprodukte, die die CE-Kennzeichnung tragen, nicht anwendbar. Dies folgt aus § 16 c Satz 2. Im Übrigen gelten die Regelungen für alle harmonisierten und nicht harmonisierten Bauprodukte in gleicher Weise.
Die Regelungen können nach Nummer 1 der Konkretisierung der Bauwerksanforderungen dienen, sowohl in Bezug auf die bauliche Anlage insgesamt als auch für Teile der baulichen Anlage. Auf der Grundlage von Nummer 1 können dort, wo dies erforderlich ist, die Anforderungen an Bauwerke insgesamt oder ihre Teile so genau beschrieben werden, dass die am Bau Beteiligten anhand dieser Beschreibung in der Lage sind, das geeignete Bauprodukt auszuwählen. Bei den Konkretisierungen auf der Grundlage von Nummer 1 handelt es sich um abstrakt-generelle Regelungen, nicht um auf ein konkretes Bauvorhaben bezogene.
In Abgrenzung zu § 87 Abs. 1 Nr. 1, der allgemein die nähere Bestimmung der allgemeinen Anforderungen der §§ 4 bis 48 durch Rechtsverordnung erlaubt, zielt diese Regelung lediglich darauf ab, die Konkretisierungen der Grundanforderungen zu ermöglichen, die erforderlich sind, damit ein Verwender erkennen kann, welche Leistung ein bestimmtes Bauprodukt in einer konkreten Verwendungssituation erbringen muss.
Nummer 2 bildet die Grundlage für Anforderungen an die Planung, Bemessung und Ausführung baulicher Anlagen und ihrer Teile. Die Regelung erfasst nicht Anforderungen an die Planung, Bemessung und Ausführung, die im Zusammenhang mit der Verwendung konkreter Bauprodukte stehen. Für diese gibt es die speziellere Ermächtigungsgrundlage in Nummer 3 Buchst. a.
In Nummer 3 sind die Ermächtigungsgrundlagen für Regelungen zusammengefasst, die unmittelbar oder mittelbar in Beziehung zu den Bauprodukten stehen:
Buchstabe a ermöglicht die Festlegung von Anforderungen an die Planung, Bemessung und Ausführung, die im Zusammenhang mit der Verwendung konkreter Bauprodukte stehen; insbesondere können auf dieser Grundlage auch alternative konstruktive Maßnahmen beschrieben werden, bei deren Ausführung in der konkreten Verwendungssituation darauf verzichtet werden kann, dass ein Bauprodukt in Hinblick auf eine bestimmte Leistung den Anforderungen entspricht.
Buchstabe b ermöglicht die Festlegung, welche Merkmale für einen konkreten Verwendungszweck ein Bauprodukt aufweisen muss, um die Anforderungen nach § 3 Satz 1 zu erfüllen und damit für einen bestimmten Verwendungszweck geeignet zu sein; diese Merkmale müssen nachvollziehbar aus den Bauwerksanforderungen abgeleitet sein; insbesondere können sich erforderliche Merkmale aus dem Vorliegen oder Nichtvorliegen von Einwirkungen auf bestimmte bauliche Anlagen oder ihre Teile ergeben; diese Einwirkungen können sich aus klimatischen, geologischen, geographischen, physikalischen, chemischen oder biologischen Rahmenbedingungen ergeben; umgekehrt können sich bestimmte Merkmale aber auch im Hinblick auf den Einfluss ergeben, den das Bauwerk oder seine Teile auf seine Umgebung ausüben.
Nach Buchstabe c können Prüfverfahren für die Feststellung der Leistung eines Bauprodukts im Hinblick auf Merkmale, die sich für einen konkreten Verwendungszweck auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 3 Satz 1 beziehen, bestimmt werden; die Festlegung von Prüfverfahren ist ausschlaggebend dafür, dass die aufgrund von Prüfverfahren erklärten Leistungen vergleichbar sind.
Nach Buchstabe d kann die Verwendung bestimmter Bauprodukte für bestimmte Verwendungszwecke erlaubt oder untersagt werden, weil sich aus der Betrachtung der Merkmale des Bauprodukts, die sich für einen konkreten Verwendungszweck auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 3 Satz 1 beziehen, und der Anforderungen an die bauliche Anlage oder den Teil der baulichen Anlage ergibt, dass das Bauprodukt für diesen Zweck grundsätzlich geeignet oder ungeeignet ist.
Buchstabe e entspricht dem bisher geltenden § 17 Abs. 7 Nr. 1. Je nach klimatischen, geografischen oder sonstigen Besonderheiten können an Bauprodukte für einen bestimmten Verwendungszweck unterschiedliche Anforderungen zu stellen sein; soweit Normen der Europäischen Union unterschiedliche Leistungsstufen oder -klassen regeln, kann festgelegt werden, welche für einen bestimmten Verwendungszweck zu erfüllen sind.
Nach Buchstabe f kann für ein konkretes Bauprodukt in Bezug auf einen konkreten Verwendungszweck vorgesehen werden, zu welchen Merkmalen, die sich für einen konkreten Verwendungszweck auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 3 Satz 1 beziehen, der Hersteller Angaben zur Leistung machen muss; außerdem können Aussagen dazu getroffen werden, wie die Leistung beschaffen sein muss, damit ein Produkt für einen konkreten Verwendungszweck eingesetzt werden darf.
Nach Nummer 4 kann entsprechend § 16 a Abs. 3 Satz 2 beziehungsweise § 19 Abs. 1 Satz 2 festgelegt werden, welche Bauarten und Bauprodukte lediglich eines allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses bedürfen.
Aufgrund der Nummer 5 können die Voraussetzungen für die Abgabe der Übereinstimmungserklärung geregelt werden, ob also nach § 22 Abs. 2 die Einschaltung einer Prüfstelle erforderlich ist oder nach § 22 Abs. 3 eine Zertifizierung erfolgen muss.
Nummer 6 ermöglicht Vorgaben zum Inhalt und zur Form der technischen Dokumentation, die zu einem Bauprodukt zu erstellen ist. Insbesondere kann vorgesehen werden, dass Angaben in Bezug auf die verwendete Prüfmethode, die beteiligten Prüfinstitute, die Prüfhäufigkeit und die werkseigene Produktionskontrolle gemacht werden können oder müssen. Denkbar ist auch, dass verpflichtende oder empfohlene Muster für die technische Dokumentation und insbesondere für die Erklärung von Produktleistungen geschaffen werden.
Nach Absatz 3 sollen die Technischen Baubestimmungen nach den Grundanforderungen nach Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 gegliedert sein. Schon hierdurch soll verdeutlicht werden, welche Technischen Baubestimmungen zur Konkretisierung welcher gesetzlichen Anforderung an das Bauwerk bestimmt sind. Die Regelung ist allerdings nicht zwingend gestaltet. Ausnahmsweise kann es, insbesondere aus Gründen der Regelungsökonomie, geboten sein, einen anderen Aufbau zu wählen.
Absatz 4 enthält die Ermächtigungsgrundlage für die Erstellung der in § 17 Abs. 3 vorgesehenen Liste der Produkte, die keines Verwendbarkeitsnachweises bedürfen. Das sind Produkte, die bislang als sonstige Bauprodukte betrachtet oder in Liste C geführt wurden.
Absatz 5 weist dem Deutschen Institut für Bautechnik die Aufgabe zu, Technische Baubestimmungen bekannt zu machen. Die Technischen Baubestimmungen sind als Verwaltungsvorschrift zu erlassen. Damit wird die Rechtsnatur der Technischen Baubestimmungen klargestellt, wobei es sich bei der Verwaltungsvorschrift um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift handelt. Solchen im Bereich des Umwelt- und Technikrechts üblichen Verwaltungsvorschriften billigt das Bundesverwaltungsgericht Bindungswirkung im gerichtlichen Verfahren zu, soweit sie die "höherrangigen Gebote" und "im Gesetz getroffenen Wertungen" berücksichtigen, in einem sorgfältigen Verfahren unter Einbeziehung des technischen und wissenschaftlichen Sachverstands zustande gekommen und nicht durch die Erkenntnisfortschritte von Wissenschaft
und Technik überholt sind (BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1998, Az. 8 C 16/96, BVerwGE 107, S. 338).
Um den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift gerecht zu werden, müssen strenge verfahrensmäßige Vorgaben erfüllt werden, zum einen bezüglich der Beteiligung interessierter und sachkundiger Kreise und zum anderen bezüglich der Form der Bekanntmachung. Zur Beteiligung ist vorgesehen, dass das Deutsche Institut für Bautechnik vor der Bekanntmachung der Technischen Baubestimmungen die beteiligten Kreise zu hören sowie das Einvernehmen der obersten Bauaufsichtsbehörde herbeizuführen hat.
Nach Satz 2 werden die Technischen Baubestimmungen durch Bekanntmachung durch die oberste Bauaufsichtsbehörde im Thüringer Staatsanzeiger als Verwaltungsvorschrift des Landes verbindlich. Im Rahmen der Bekanntmachung, bei der hinsichtlich des Inhalts auf die Fundstelle der Technischen Baubestimmungen verwiesen werden kann, kann die oberste Bauaufsichtsbehörde auch abweichende Regelungen treffen, um eventuellen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Ziel ist es jedoch, eine Vereinheitlichung der Technischen Baubestimmungen der Länder zu erreichen. Da vor Bekanntmachung der Verwaltungsvorschrift eine Anhörung der beteiligten Kreise durch das Deutsche Institut für Bautechnik durchzuführen ist, ist sichergestellt, dass diese sich in einem frühen Verfahrensstadium im Rahmen einer Anhörung für das gesamte Bundesgebiet einbringen können. Soweit die oberste Bauaufsichtsbehörde bei der Bekanntmachung keine abweichenden Anforderungen regelt, sind keine weiteren Anhörungs- und Notifizierungsverfahren erforderlich.
3. Verwaltungsvorschrift
B. Normauslegung
Zitiervorschlag:
© Prof. Dr. Sven Müller-Grune |
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