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Fehler in rechtlich relevanter Maschinenkommunikation


Die Rechtsgeschäftslehre, das sind die gesetzlichen Regeln über das Zustandekommen und die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften und insbesondere Verträgen, enthält einen Katalog von möglichen Fehlerquellen für die Rechtsgeschäfte. Dabei unterscheidet das Gesetz:
  • Gründe, aus denen das Rechtsgeschäft wegen Verstoßes gegen die objektive Rechts- und Sozialordnung schlichtweg unerträglich ist und deshalb von Anfang an nichtig sein soll (§ 134 BGB: Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot; § 138 BGB: sittenwidriges Rechtsgeschäft);
  • Gründe, aus denen das Rechtsgeschäft aufgrund eines überragenden subjektiven Schutzbedürfnisses des Erklärenden sozial unerwünscht ist und deshalb als nichtig behandelt werden soll, es sei denn das Rechtsgeschäft ist im Einzelfall für den Schutzbedürftigen unproblematisch und kann deshalb wirksam werden, sog. schwebende Unwirksamkeit (§ 108 BGB: Minderjährigkeit);
  • Gründe, aus denen das Rechtsgeschäft wegen eines subjektiven Kommunikationsfehlers für den Erklärenden, aber nicht allgemein unerträglich ist und deshalb nur durch Anfechtung durch den Erklärenden vernichtbar ist (§ 119 BGB: Irrtum; § 120 BGB: fehlerhafte Übermittlung; § 123 BGB: Täuschung oder Drohung).

Abbildung: Fehlerquellen bei Rechtsgeschäften

Soweit Rechtsgeschäfte durch autonome IT-Systeme oder andere Maschinen vorgenommen werden, unterliegen sie den objektiven Grenzen der Rechtsordnung ebenso wie die durch Menschen vorgenommenen Rechtsgeschäfte. Objektiv gegen Gesetze oder die guten Sitten verstoßende Rechtsgeschäfte werden nicht dadurch rechtlich neutral, dass sie ein zu rechtsuntreuer Gesinnung unfähiges IT-System vornimmt.

Die subjektive Schutzwürdigkeit bei Minderjährigkeit besteht bei IT-Systemen ebenfalls nicht, so sich auch die Frage einer schwebenden Unwirksamkeit bei Rechtsgeschäften durch autonome und selbstlernende System nicht stellt.

Dagegen ist ein subjektiver Kommunikationsfehler durch ein IT-System nicht ausgeschlossen. Der hier zitierte Mr. Noch Unbekannt-Fall zeigt, dass Computersysteme genauso kommunikativen Fehlern unterliegen können wie Menschen (möglicherweise auch anderen, aber rechtlich gleichbedeutenden Fehlern). Im Kern der Fehler bei Rechtsgeschäften stehen die Irrtümer, bei denen der Wille des Erklärenden und seine Erklärung inhaltlich auseinanderfallen.
  • Beim Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1, 1. Alt. BGB) bildet der Erklärende gedanklich eine falsche Erklärung, weil er für den vorgestellten Inhalt ein falsches Erklärungszeichen verwendet. Irrtümer über die Geschäftsart (Kaufen statt verkaufen), über den Geschäftspartner (A GmbH statt A GmbH & Co KG) oder Geschäftsgegenstand (Auto statt Motorrad) fallen in diese Kategorie.
  • Die Abgrenzung zum Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1, 2. Alt. BGB) ist fließend. Dabei bildet der Erklärende zwar gedanklich die richtige Erklärung, bei der Umsetzung in die geäußerte Erklärung unterläuft ihm aber ein Fehler, z.B. durch Versprechen, Vertippen oder Vergreifen.
  • Die bei menschlichen Willenserklärungen praktisch bedeutsamste Irrtumsart ist der Eigenschaftsirrtum gem. § 119 Abs. 2 BGB. Dabei erklärt der Erklärende das, was er gedanklich als Erklärung gebildet hat. Im Vorfeld ist ihm aber eine Fehlvorstellung über eine Person – der Erklärungsempfänger oder ein Dritter – oder eine Sache (z.B. des Vertragsgegenstands) unterlaufen. Er erklärt also gegenüber einer andere als die vorgestellte Person oder über eine andere als die vorgestellte Person oder Sache.

Während diese drei Irrtumsarten nach § 119 Abs. 1, Abs. 2 BGB zur Anfechtbarkeit der Willenserklärung und damit nach § 142 BGB bei Ausübung zu ihrer Vernichtung führen, so dass der Erklärende an das Erklärte nicht gebunden ist, ist der Motivirrtum rechtlich unbeachtlich.
Der Motivirrtum ist ein Irrtum über den Anlass des Rechtsgeschäfts, d.h. wieso der Erklärende überhaupt die Willenserklärung abgibt. Da dieser subjektive Hintergrund aber nicht zum Inhalt des Rechtsgeschäfts wird und der Erklärungsempfänger sich unter Berücksichtigung einer angemessenen Risikoverteilung auch nicht auf diese subjektiven Beweggründe einlassen muss, bleibt die Willenserklärung wirksam. Hierzu gehören auch einseitige Kalkulationsirrtümer, bei denen die Grundlagen einer Berechnung nicht oder nicht ausreichend offengelegt werden. Eine Ausnahme stellt der beidseitige Kalkulationsirrtum dar, wo beide Seiten von falschen Berechnungsgrundlagen ausgehen; hier ist nach § 313 BGB eine Vertragsanpassung vorgesehen.

Beim Einsatz elektronischer System für die Abgabe von Willenserklärungen haben verschiedene der Irrtumsarten eine stärkere Bedeutung. So kommt der Erklärungsirrtum häufig bei automatisierten Willenserklärungen vor, z.B. durch Vertippen, einen Irrtum über gewählte Symbole oder Softwarefehler. Da die automatisierte Willenserklärung vor allem bei standardisierten Willenserklärungen eingesetzt wird, wirkt sich ein Tippfehler auf alle entsprechenden Willenserklärungen aus.

BGH, U..v. 26.1.2005 – VIII ZR 79/04: (…)
Die Kl. veräußert Computer nebst Zubehör über eine Website im Internet. Im Januar 2003 legte der zuständige Mitarbeiter der Kl. für das Notebook der Firma S, Typ V. S., einen Verkaufspreis von 2650 Euro fest und gab diesen in das EDV-gesteuerte Warenwirtschaftssystem der Kl.ein. Mittels einer von der Kl. verwendeten Software wurden diese Daten anschließend automatisch in die Produktdatenbank ihrer Internetseite übertragen. Als Ergebnis dieses Vorgangs enthielt die Datenbank jedoch nicht den eingegebenen Betrag von 2650 Euro, sondern einen Verkaufspreis von 245 Euro. Der Kl. wurden im Februar 2003 mehrere Fälle bekannt, in denen es zu einem Fehler im Datentransfer durch die im Übrigen beanstandungsfrei laufende Software gekommen war; die Ursache konnte nicht festgestellt werden.
Der Bekl. bestellte am 1. 2. 2003 ein Notebook des vorgenannten Typs zu dem auf der Internetseite der Kl. angegebenen Verkaufspreis von 245 Euro. Die Kl. bestätigte dem Bekl. mittels einer automatisch verfassten E-Mail vom gleichen Tage den Eingang seiner Bestellung zu diesem Preis. Eine weitere automatisch verfaßte E-Mail der Kl. vom gleichen Tage (15.36 Uhr) hatte folgenden Inhalt: „Sehr geehrter Kunde, Ihr Auftrag wird jetzt unter der Kundennummer … von unserer Versandabteilung bearbeitet … Wir bedanken uns für den Auftrag. …” Das Notebook wurde mit Rechnung/Lieferschein der Kl. vom 5. 2. 2003 zum Verkaufspreis von 245 Euro zuzüglich Versandkosten von 12,80 Euro an den Bekl. ausgeliefert. Mit Schreiben vom 11. 2. 2003 erklärte die Kl. die Anfechtung des Kaufvertrags mit der Begründung, das Notebook sei auf Grund eines Systemfehlers irrtümlich mit dem Preis von 245 Euro versehen worden. Der Bekl. lehnte mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 18. 2. 2003 die Herausgabe des Notebooks ab. Die Kl. begehrt die Herausgabe und Rückübereignung des Notebooks Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises sowie die Feststellung, dass der Bekl. verpflichtet ist, den aus der Verweigerung der Herausgabe entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen. (…)
Aus den Gründen: (…)
2. Entgegen der Auffassung der Revision befand sich die Kl. im Zeitpunkt der Abgabe ihrer Annahmeerklärung in einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum gem. § 119 Abs. 1 BGB.
Nach § 119 Abs. 1 BGB kann, wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war (1. Alt.; Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (2. Alt.; Erklärungsirrtum), die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben haben würde. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Kl. sich im Zeitpunkt der Präsentation des Notebooks auf ihrer Website - mithin bei Abgabe ihrer invitatio ad offerendum - in einem Erklärungsirrtum befand. Dieser Irrtum der Kl. ist, wie das Berufungsgericht zu Recht ausgeführt hat, jedenfalls deswegen beachtlich, weil er bei ihrer auf den Vertragsschluss gerichteten Annahmeerklärung noch fortwirkte.
a) Die Kl. wollte auf ihrer Internetseite für das Notebook den Verkaufspreis von 2650 Euro angeben, den ihr zuständiger Mitarbeiter festgelegt hatte. Die tatsächlich auf der Internetseite erschienene Preisangabe von 245 Euro entsprach daher nicht ihrem Erklärungswillen. Zwar ist der Irrtum in der Erklärungshandlung nicht dem Mitarbeiter der Kl. selbst unterlaufen, da er den von ihm festgelegten Verkaufspreis zutreffend in ihr Warenwirtschaftssystem eingegeben hat. Vielmehr beruhte die Änderung des eingegebenen Verkaufspreises auf einem Fehler im Datentransfer durch die im Übrigen beanstandungsfrei laufende Software.
Die Verfälschung des ursprünglich richtig Erklärten auf dem Weg zum Empfänger durch eine unerkannt fehlerhafte Software ist als Irrtum in der Erklärungshandlung anzusehen. Denn es besteht kein Unterschied, ob sich der Erklärende selbst verschreibt bzw. vertippt oder ob die Abweichung vom gewollten Erklärungstatbestand auf dem weiteren Weg zum Empfänger eintritt. Dies ergibt sich auch aus § 120 BGB, wonach eine Willenserklärung, welche durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtig übermittelt worden ist, unter der gleichen Voraussetzung angefochten werden kann wie nach § 119 BGB eine irrtümlich abgegebene Willenserklärung. Dementsprechend wird § 120 BGB einhellig als Fall des Erklärungsirrtums angesehen, der lediglich eine gesonderte gesetzliche Regelung erhalten hat (…). Keine andere Beurteilung ist gerechtfertigt, wenn - wie im vorliegenden Fall - auf Grund fehlerhaften Datentransfers ein Übermittlungsfehler geschieht, bevor die Willenserklärung den Bereich des Erklärenden verlassen hat.
Das Berufungsgericht hat auch zutreffend angenommen, dass der bei der Abgabe der invitatio ad offerendum vorliegende Erklärungsirrtum der Kl. im Zeitpunkt ihrer auf den Vertragsschluss gerichteten Annahmeerklärung fortwirkte (…). Die Kl. hat die Annahme des Angebots des Bekl. auf Grund der Programmierung ihres Bestellungssystems erklärt.
Diese Erklärung - Annahme der Bestellung zu einem Preis von 245 Euro - entsprach nicht ihrem Erklärungswillen. Die Kl. wollte das Notebook, wie ausgeführt, zu einem Preis von 2650 Euro verkaufen. Sie hatte den Programmablauf ihres Bestellungssystems so vorgesehen, dass der in ihr Warenwirtschaftssystem eingegebene Betrag in die Produktdatenbank übernommen und als Verkaufspreis für nachfolgende Bestellungen verbindlich sein sollte. Die Kl. ging entsprechend dem von ihr beabsichtigten Programmablauf fälschlich davon aus, dass der automatisch in die Produktdatenbank übertragene Verkaufspreis dem in ihr EDV-System eingegebenen Betrag - wie im Regelfall geschehen - entspreche und die Bestellung des Bekl. mithin zu dem von ihr festgelegten Verkaufspreis von 2650 Euro erfolge. Zu diesem von ihr festgelegten Preis wollte sie die Annahme erklären. Indem sie in Vollzug des Programmablaufs gleichwohl die Bestellung des Bekl. zu einem Preis von 245 Euro annahm, setzte sich der Irrtum der Kl. fort.
b) Entgegen der Auffassung der Revision handelt es sich nicht um einen Irrtum in der Willensbildung bzw. in der Erklärungsvorbereitung. Die Kl. hat ihren Erklärungswillen fehlerfrei gebildet, indem ihr zuständiger Mitarbeiter den Verkaufspreis für das Notebook auf 2650 Euro festlegte und dieser Betrag nach ihrer Vorstellung vom Ablauf des verwendeten Computerprogramms in die Produktdatenbank der Internetseite übernommen werden sollte. Der vorliegende Fall ist daher auch nicht mit einem von der Revision in diesem Zusammenhang angeführten (verdeckten) Kalkulationsirrtum vergleichbar, bei dem der bereits im Stadium der Willensbildung unterlaufene Fehler als Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum) grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigt, auch wenn die falsche Berechnung auf Fehlern einer vom Erklärenden verwendeten Software beruht (…). Denn die Angabe des falschen Betrags von 245 Euro beruhte nicht auf einer fehlerhaften Berechnung des Preises im Stadium der Willensbildung der Kl., sondern auf einem nachfolgenden Fehler bei der Übertragung der Daten. (…),
abgedruckt in NJW 2005, 976.

Abbildung: Typische Fehler bei elektronischen Willenserklärungen

Bisher rechtlich noch nicht entschieden ist das Anfechtungsrecht bei fehlerhaften Angaben in vom IT-System autonom erstellten Willenserklärungen. Für die Beantwortung dieser Frage muss der Hintergrund für die Irrtumsregelungen beachtet werden. Eine Lösung von Willenserklärungen kann dem Erklärenden nur zugestanden werden, weil die menschliche Geistestätigkeit und Kommunikation fehlerhaft ist. Das gleiche Zugeständnis kann IT-Systemen (jedenfalls derzeit) nicht gemacht werden: diese funktionieren nur so, wie die menschliche Programmierung es zulässt. Solange die IT-Systeme nicht selbst denken, können sie auch nur soweit „irren“, wie dies die Programmierung zulässt. Vergleichbar sind die IT-Systeme eher den (menschlichen) Stellvertretern, für die § 166 Abs. 1 BGB bei Willens- oder Wissensmängeln auf die Person des Stellvertreters abstellt. Sollen Fehler autonom erstellter Willenserklärungen daher maßgeblich sein, muss es eine Stellvertreter-ähnliche Beziehung zwischen dem IT-System und der durch die Erklärung gebundener Person geben. Der Irrtum muss sich daher aus der Programmierung herleiten und so der verantwortlichen, d.h. hinter dem IT-System stehenden Person zurechenbar sein. Diese Einschätzung kann sich bei zunehmender Entwicklung selbstlernender Systeme ändern.
Daneben ist eine Anfechtung von Willenserklärungen durch IT-Systemen vor allem nach § 120 BGB denkbar. Die fehlerhafte Übermittlung durch einen Boten ist bei nicht autonomen, selbstlernenden IT-Systemen eher anzunehmen als ihre Stellung als Stellvertreter. Es gibt keine erheblichen rechtlichen Bedenken, solche elektronischen Kommunikationssysteme als Bote anzusehen.

Abbildung: Übermittlungsfehler nach § 120 BGB


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Autor: Prof. Dr. Ulf Müller
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