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Informationsrecht


Fall 4 - Beleidigung


A wurde 1988 erstmals Zeuge eines großen Nato-Manövers und zeigte sich darüber tief bestürzt. In unmittelbarer Nähe des Ortes, in dem er sich besuchsweise aufhielt, waren amerikanische Verbände in Stellung gegangen. Er beschrieb daraufhin ein Bettuch mit den Worten “A soldier is a murder” (wörtlich übersetzt: Ein Soldat ist ein Mord, nicht: a murderer = Mörder) und befestigte es an einer Straßenkreuzung am Ortsrand. Der vorüberfahrende Bundeswehroffizier Z stellte Strafantrag. A wurde wegen Beleidigung dieses Offiziers bestraft.

Ist das Urteil vereinbar mit Art. 5 GG?

Lösungshinweise




Das Urteil könnte gegen Art. 5 GG verstoßen. Danach hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Bild oder Schrift frei zu äußern und zu verbreiten. Bei der Aussage " A soldier is a murder" handelt es sich um eine von Art. 5 GG geschützte Meinung. A hat mit der Äußerung nicht die Behauptung aufgestellt, dass bestimmte Soldaten einen Mord begangen hätten, sondern er hat seine Missgunst über den Beruf des Soldaten zum Ausdruck gebracht, der unter Umständen zum Töten von Menschen zwingt. A hat somit durch das Beschriften des Bettuches eine Meinung zum Ausdruck bebracht, deren Verbreitung grundsätzlich von Art. 5 GG geschützt wird.

In der Bestrafung der Äußerungen des A ist ein Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit zu sehen. Gemäß Art. 5 Abs.2 GG findet die freie Meinungsäußerung jedoch seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
Unter allgemeine Gesetze im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG zählen "alle Gesetze, die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen" (vgl. BVerfGE 7, 198 [209]; stRspr).
A wurde wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB bestraft. Dieser müsste mit Art. 5 Abs. 2 GG vereinbar sein. § 185 StGB soll vor ehrverletzenden Äußerungen schützen, welche insbesondere Ergebnis der freien Kundgabe einer Meinung sein können. Laut Rechtsprechung darf der Gesetzgeber jedoch nicht die Meinungsfreiheit im Interesse der Ehre beliebig beschränken (vgl. BVerfGE 7, 198 [208]). Ein Ausgleich der genannten Interessen findet aber durch § 193 StGB statt. Dieser schließt eine Bestrafung wegen Beleidigung dann aus, wenn sie in Wahrnehmung berechtigter Interessen ausgesprochen wurde. § 185 StGB verstößt auch nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, da zwar keine genaue Definition des Begriffs " Beleidigung" stattfindet aber "der Begriff der Beleidigung jedenfalls durch die über hundertjährige und im wesentlichen einhellige Rechtsprechung einen hinreichend klaren Inhalt erlangt" (vgl. BVerfGE 71, 108 [114 ff.]). Folglich ist § 185 StGB vereinbar mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG.
Da es sich bei § 185 StGB jedoch um eine Vorschrift handelt, welche die Meinungsfreiheit einschränkt, müssen die Strafgerichte bei Auslegung und Anwendung des § 185 StGB das eingeschränkte Grundrecht beachten (vgl. BVerfGE 7, 198 [208 f.]). Es muss daher eine Abwägung stattfinden zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußrung und den eingeschränkten Rechtsgütern. § 185 StGB darf deshalb weder so weit ausgelegt werden, dass die Erfordernisse des Schutzes der Ehre überschritten werden noch darf die Auslegung dazu führen, dass aus Angst vor Sanktionen auch zulässige Kritik unterbleibt (vgl. BVerfGE 43, 130 [139]; BVerfGE 43, 130 [136]). Besonders schwer wiegt das Gewicht der Meinugsfreiheit in den Fällen, in denen die Vorschriften der §§ 185 ff.auf staatliche Einrichtungen bezogen werden, da Art. 5 GG dann nicht mehr die Funktion hat, die persönliche Ehre zu schützen und das Grundrecht auf Meinungsfreiheit den Zweck hat auch kritische Äußerungen gegenüber staatlichen Institutionen frei kund zu tun (BVerfG, Urt. v 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476, 1980/91 und 102, 221/92).

Die Meinungsfreiheit tritt allerdings dann zurück, wenn es sich um eine Schmähkritik handelt, das heißt, bei einer Äußerung bei der nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache sondern die gezielte Herabwürdigung einer Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 [283 f.]). Von einer Schmähkritik wird jedoch bei Fragen, welche die Öffentlichkeit wesentlich berühren in der Regel nicht ausgegangen.

Die ständige Rechtsprechung spricht außerdem von einer "Vermutung zugunsten der Freiheit Rede",wenn es sich bei der Äußerung um einen Beitrag zur öffentliche Meinungsbildung handelt (vgl. BVerfGE 7, 198 [208, 212]; 61, 1 [11]).

Die Verurteilung müsste auf einer rechtlichen Würdigung der Umstände beruhen, die den Sinn der umstrittenen Äußerungen zutreffend erfasst. Hierbei muss der objektive Sinn der Äußerung ermittelt werden. Dabei ist sowohl der Worlaut der Äußerung zu beachten als auch der sprachliche Kontext und die Begleitumstände. Gegen die Meinungsfreiheit verstoßen somit Urteile, "die den Sinn der umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlen und darauf ihre rechtliche Würdigung stützen" (BVerfG, Urt. v 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476, 1980/91 und 102, 221/92).Gleiches gilt in den Fällen, in denen ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung zugrundelegt, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen zu haben (vgl. BVerfGE 82, 43 [52]).
Vorliegend gab es Alternativen zu der angenommenen Deutung, die Soldaten der Bundeswehr würden Mördern im strafrechtlichen oder im umgangssprachlichen Sinn gleichgestellt. Die Äußerungen waren dem Wortlaut nach nicht auf spezielle Soldaten der Bundeswehr gerichtet. Dies lässt den möglichen Schluss zu, dass sich die Äußerungen generell gegen den Beruf des Soldaten bzw. kriegerische Auseinandersetzungen richteten, unter denen die Zivilbevölkerung zu leiden hat. Laut Rechtsprechung "ist daher nicht von vornherein auszuschließen, daß die Formulierung bei den Wehrdienstleistenden und im Soldatenberuf Stehenden das Bewußtsein der persönlichen Verantwortlichkeit für das insgesamt verurteilte Geschehen wecken und so die Bereitschaft zur Kriegsdienstverweigerung fördern sollte" (BVerfG, Urt. v 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476, 1980/91 und 102, 221/92).

Ergebnis: Folglich muss bei der Urteilsfindung sowohl auf naheliegende, anderweitige Deutungsmöglichkeiten eingegangen sowie der Unterschied zwischen einer herabsetzenden Äußerung über alle Soldaten der Welt und die Soldaten der Bundeswehr beachtet und der Begriff der Schmähkritik verfassungskonform verwendet werden. Wurden diese Anforderungen nicht beachtet, verletzt das Urteil die Grundrechte des A aus Art. 5 GG.




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