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Fallbeispiel 7 "Turbo Schlitten" auf Abwegen
Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, Schadenersatz gemaß §§ 989, 990 Abs. 1; bösgläubiger Besitzer
A. Sachverhalt
Der gutmütige Geschäftsmann W, ein etwas dicklich geratener älterer Herr mit weißem Rauschbart, plant kurz vor Weihnachten wieder eine große Werbekampange. Jeder Kunde, der am 24.12. einen seiner wertvollen „Turbo Schlitten mit Goldbeschlag“ kauft, bekommt gratis eine Schlittenfahrt mit seinem hauseigenen sprechenden Rentier „Rudolph“. Eine Nacht vor Heiligabend fährt der Grinch (G), ein stadtbekannter Landstreicher und Weihnachtsmuffel, auf das im Norden gelegene Grundstück des W, bricht in dessen Werkstatt ein, entwendet 50 der wertvollen Turboschlitten und braust davon. Rudolph, der den Einbruch von seinem benachbarten Gehege beobachtet hat, nimmt sogleich die Verfolgung auf. Noch während der Fahrt kontaktiert G den Nikolaus (N), der für Geschäfte aller Art stets offen ist. G bietet N die Schlitten zu einem äußerst lukrativen Gesamtpreis an, der weit unter dem üblichen Marktpreis liegt. N ahnt, dass es sich hier um „heiße Ware“ handeln könnte, zumal die Übergabe der Schlitten sofort (also mitten in der Nacht) und an einer abgelegenen Stelle im Wald erfolgen soll. N fragt aber nicht weiter nach und trifft sich mit G am vereinbarten Ort. Die Schlitten werden zügig umgeladen und von N bezahlt. Begeistert vom „Deal seines Lebens“ gönnt sich N noch einen Abstecher in seine Stammkneipe und feiert seinen Erfolg ausgiebig. Auch die Gastwirtin ist ganz verzückt vom glänzenden Geschäftsabschluss, als N seinen Geldbeutel zieht und nacheinander zehn Gläser ihres hochprozentigen Eierpunsches bestellt. Nach einer Stunde ist N derart angetrunken, dass er beim Verlassen des Gasthauses sogar meint ein Rentier vorbeihuschen zu sehen. Auf der anschließenden Fahrt nach Hause kommt es wie es kommen muss. N verliert die Kontrolle über seinen Wagen und prallt mit voller Wucht gegen eine Tanne im Wald. Binnen kürzester Zeit und angefeuert vom geladenen Brennmaterial steht der Wagen komplett in Flammen. N kann sich gerade noch mit einem Sprung ins Freie retten und landet kopfüber im Schnee. Rudolph, ein ausgezeichneter Sprinter, der alles beobachtet hatte, verpasst dem N noch einen Tritt und rennt anschließend zu W, um ihn von seinen Beobachtungen zu berichten.
B. Frage
Hat W gegen N einen Schadenersatzanspruch aus §§ 989, 990 Abs. 1 S. 1?
C. Hinweis(e) zum Fall
Dass im vorliegenden Fall ein Rentier sprechen kann, soll für Sie nicht weiter von Belang sein. Für diejenigen, die den Sachverhalt gern lebensnaher prüfen möchten, dürfen Sie auch gern unterstellen, dass W später von den ermittelnden Polizeibeamten über die Umstände (Untergangs der Schlitten) aufgeklärt wird.
D. Lösung
1. Grafische Skizze
2. Lösungsskizze
W gegen N Schadenersatz gem. § 989 BGB, § 990 Abs. 1 S. 1 BGB?
I. Anspruch entstanden?
1. Vindikationslage im Zeitpunkt der Tatbestandverwirklichung
= Eigentümer muss einen Herausgabeanspruch gegen den Besitzer haben (§ 985 BGB)
a. Voraussetzungen des § 985 BGB
aa. Tauglicher Herausgabegegenstans i. S. d. § 985 BGB
HIER (+) Schlitten (§ 90a BGB)
bb. Anspruchsgegner (N) = Besitzer
= Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache (§ 954 Abs. 1 BGB)
HIER (+)
cc. Anspruchssteller (W) = Eigentümer
(1) ursprünglich (+)
(2) Aber: Eigentumsverlust des W durch wirksamen Eigentumserwerb des N von G gem. § 929 S. 1 BGB?
= Erwerb des N vom Berechtigten G
(a) Einigung
= dinglicher Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber über den Eigentumsübergang
HIER (+)
(b) Übergabe
= Vollständiger Besitzverlust des Veräußerers und Besitzerwerb des Erwerbers, auf Veranlassung des Veräußerers zum Zwecke der Eigentumsübertragung
HIER (+)
(c) Einigsein im Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs
= keine der WEen darf widerrufen worden sein
HIER (+) kein Widerruf
(d) (Verfügungs-)Berechtigung des Veräußerers
(aa) Verfügungsbefugter Eigentümer
HIER (-) G ist nicht Eigentümer
(bb) Nichteigentümer, der gesetzlich verfügungsbefugt ist oder der vom Berechtigten ermächtigt ist
HIER (-) G ist nicht Ermächtigter nach § 185; eine sonstige Verfügungsbefugnis ist nicht ersichtlich
(e) Zwischenergebnis: Eigentumsverlust des W durch Eigentumserwerb des N vom Berechtigten G gem. § 929 S. 1 BGB (-)
(3) Aber: Eigentumsverlust des W durch Eigentumserwerb des N von G gem. § 929 S. 1 BGB, § 932 Abs. 1 S. 1 BGB?
= gutgläubiger Erwerb des N vom Nichtberechtigten G
(a) Einigsein? (+), s.o.
(b) Übergabe? (+), s.o.
(c) Einigsein im Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs? (+), s.o.
(d) „Berechtigungsersatz“ des Veräußerers
= Voraussetzungen des § 932 BGB und kein Ausschluss nach § 935 Abs. 1 BGB
(aa) Rechtsgeschäftlicher Erwerb?
= nicht durch gesetzlichen Erwerb
HIER (+) Rechtsgeschäft liegt vor
(bb) Verkehrsgeschäft
= Güteraustausch zwischen zwei Personen; nicht gegeben bei persönlicher oder wirtschaftlicher Identität des Übereignenden mit dem Erwerber
HIER (+) Verkehrsgeschäft liegt vor
(cc) Legitimation durch Rechtsschein des Besitzes gem. §§ 932 ff.
= beim gutgläubigen Erwerb nach § 929 S. 1 BGB, § 932 Abs. 1 S. 1 BGB: Übergabe der Sache
HIER (+) G hat die Sache an N übergeben
(dd) Gutgläubigkeit des Erwerbers, § 932 Abs. 2 BGB
= keine positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom Nichteigentum des Veräußerers bis zur Vollendung des Rechtserwerbs, § 932 Abs. 2
HIER (-) N hatte zwar keine positive Kenntnis, dass der Veräußerer G nicht Eigentümer der Schlitten war; es könnte allerdings grob fahrlässige Unkenntnis vorliegen; diese ist zu bejahen, wenn der Erwerber, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, d.h. im vorliegenden Fall jene Umstände außer Acht lässt, was jedem hätte einleuchten können; obschon es keine allgemeine Nachforschungspflicht über das Eigentum des Veräußerers gibt, hätten die besonderen Umstände dringend nahelegen müssen, sich über die Eigentumsverhältnisse zu informieren; derartige Umstände liegen laut SV in der Art der Ware (hochwertige Schlitten), dem weit unter Marktwert liegendem Kaufpreis, der Person des Veräußerers (Drängen auf zügige Geschäftsabwicklung) sowie der äußeren Umstände (Geheimniskrämerei des G; abgelegene Stelle zur Übergabe der Schlitten)
(ee) Zwischenergebnis: Voraussetzungen des § 932 (-)
(e) Zwischenergebnis: Eigentumsverlust des W durch Eigentumserwerb des N vom Nichtberechtigten G gem. §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 (-)
(4) Zwischenergebnis: Anspruchssteller (W) ist Eigentümer (+)
dd. Zwischenergebnis: Voraussetzungen des § 985 (+)
b. Voraussetzungen des § 986 BGB
= Anspruchsgegner darf kein Recht zum Besitz haben
HIER (+)
c. Zwischenergebnis: Bestehen der Vindikationslage zum Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung (+)
2. Weitere Voraussetzungen für SE-Anspruch (§ 990 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 989 BGB)
a. Bösgläubigkeit des Besitzers
= Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des fehlenden Besitzrechts bei Besitzerwerb (§ 990 Abs. 1 BGB, § 932 Abs. 2 BGB)
HIER (+) auch insoweit liegt grob fahrlässige Unkenntnis vor [s.o. unmittelbar zu § 932 Abs. 2 unter (dd)]
b. Verschlechterung, Untergang oder Unmöglichkeit der Herausgabe der Sache
HIER (+) Untergang durch Zerstörung der Schlitten
c. Verschulden
= Vorsatz oder Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB)
HIER (+) N hat die Unmöglichkeit der Herausgabe fahrlässig herbeigeführt, indem er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen (§ 276 Abs. 2 BGB); Alkoholkonsum indizierte Fahrfehler
d. Ersatzfähiger Schaden
= ersatzfähig sind der Wert der Sache und entgangener Gewinn
HIER (+) Wert der Schlitten zzgl. Gewinnmarge des W, §§ 249 ff.
e. Zwischenergebnis: Weitere Voraussetzungen für SE-Anspruch liegen vor (+)
3. Zwischenergebnis: Anspruch entstanden (+)
II. Anspruch untergegangen (-)
III. Anspruch durchsetzbar (+)
IV. Ergebnis: W gegen N Schadenersatz gem. §§ 989, 990 Abs. 1 S. 1 (+)
3. Formulierungsvorschlag
W könnte gegen N einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 989, 990 I 1 BGB haben.
Dies ist der Fall, wenn er den Anspruch erworben und nicht verloren hat und dieser durchsetzbar ist.
I. Anspruchserwerb
W müsste den Anspruch zunächst erworben haben.
1. Hierzu müsste bei der Zerstörung der Schlitten zunächst eine Vindikationslage bestanden haben. Dies ist gegeben, wenn W gegen N einen Anspruch auf Herausgabe der Schlitten gemäß §§ 985, 986 BGB hatte.
a. Die Voraussetzungen des § 985 BGB sind erfüllt, wenn es sich bei den Schlitten um Sachen handelt, Anspruchsgegner N Besitzer und Anspruchsteller W Eigentümer der Schlitten gewesen ist.
aa. Schlitten sind körperliche Gegenstände und somit Sachen im Sinne des § 90 BGB.
bb. Nach der Übergabe durch G hatte N die tatsächliche Gewalt über die Schlitten. Er war demnach gemäß § 854 BGB Besitzer.
cc. Zudem müsste W Eigentümer der Schlitten gewesen sein.
(1) Laut Sachverhalt war W ursprünglich Eigentümer der Schlitten.
(2) Er könnte jedoch sein Eigentum durch einen Eigentumserwerb des N vom Berechtigten G gemäß § 929 S.1 BGB verloren haben. N und G waren sich darüber einig, dass die Schlitten an N übereignet werden sollen. Die Schlitten wurden laut Sachverhalt an N übergeben. Im Zeitpunkt der Übergabe waren sich N und G noch hinsichtlich der Übereignung einig. Fraglich ist jedoch, ob G zur Übereignung der Schlitten berechtigt war. Dies ist zum einen der Eigentümer, zum anderen ein Nichteigentümer, der aufgrund Gesetz oder gemäß § 185 BGB verfügungsberechtigt ist. Laut Sachverhalt hatte G die Schlitten gestohlen, er ist folglich kein Eigentümer. Auf eine gesetzliche Verfügungsberechtigung oder eine Ermächtigung gemäß § 185 BGB finden sich im Sachverhalt keine Hinweise. G war somit nicht zur Übereignung berechtigt.
W hat sein Eigentum nicht durch Übereignung von G an N gemäß § 929 S.1 BGB verloren.
(3) W könnte sein Eigentum jedoch durch einen Eigentumserwerb des N vom Nichtberechtigten G gemäß §§ 929 S.1, 932 I 1 BGB verloren haben. Wie zuvor bereits dargestellt liegen die Voraussetzungen Einigung, Übergabe und Einigsein im Zeitpunkt der Übergabe im vorliegenden Fall vor. Fraglich ist, ob ein Berechtigungsersatz gegeben ist. Dies ist der Fall, wenn die Voraussetzungen des § 932 I 1 BGB erfüllt sind und es sich nicht um eine abhanden gekommene Sache im Sinne des § 935 BGB handelt. Die Schlitten wurden im vorliegenden Fall von G an N veräußert. Es liegen somit ein Rechts- und Verkehrsgeschäft vor. G hat die Schlitten an N übergeben. Legitimation durch Rechtsschein des Besitzes gemäß § 932 I BGB ist somit ebenfalls gegeben.
Fraglich ist jedoch, ob N im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs in gutem Glauben war. Gemäß § 932 II BGB war er das dann nicht, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, dass die Schlitten nicht dem Veräußerer G gehörten. Laut Sachverhalt ahnte N, dass es sich um „heiße Ware“ handeln könnte, zumal die Übergabe mitten in der Nacht und an einer abgelegenen Stelle stattfinden sollte. Er fragte jedoch auch nicht weiter nach.
N war somit zumindest infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt, dass die Schlitten nicht dem G gehörten. N war folglich nicht in guten Glauben gemäß § 932 II BGB.
Ein gutgläubiger Eigentumserwerb des N vom Nichtberechtigten G gemäß §§ 929 S. 1, 932 I 1 BGB scheidet folglich aus.
(4) Anspruchsteller W war somit Eigentümer der Schlitten.
dd. Die Voraussetzungen des § 985 BGB sind erfüllt.
b. Des Weiteren müsste auch die Vorausetzung des § 986 BGB vorliegen. Hierfür dürfte N kein Recht zum Besitz der Schlitten haben. Es liegen im Sachverhalt keine Hinweise vor, auf die sich ein solches Recht stützen lassen könnte. N hatte somit kein Recht zum Besitz der Schlitten.
c. W hatte demnach einen Herausgabeanspruch aus §§ 985, 986 BGB gegenüber dem unberechtigen Besitzer N. Vindikationslage war gegeben.
2. Außerdem müsste N durch die Verschlechterung oder den Untergang der Schlitten, im Zeitpunkt der Bösgläubigkeit schuldhaft einen ersatzfähigen Schaden verursacht haben.
a. Die Schlitten wurden laut Sachverhalt zerstört. Die Herausgabe ist unmöglich geworden, die Schlitten sind also untergegangen.
b. Gemäß § 990 I 1 BGB müsste N beim Erwerb des Besitzes an den Schlitten in gutem Glauben darüber gewesen sein, dass er zum Besitz berechtigt ist. Wie zuvor ausführlich dargestellt, war er hinsichtlich der Eigentümerstellung des G nicht gemäß § 932 II BGB gutgläubig. Er war damit auch nicht in guten Glauben darüber, dass er durch die Übergabe der Schlitten durch G zu ihrem Besitz berechtigt war.
Bösgläubigkeit gemäß § 990 I 1 BGB ist somit gegeben.
c. N müsste zudem den Untergang der Schlitten vertreten müssen. Gemäß § 276 I 1 BGB hat N Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. N hat die Schlitten nicht vorsätzlich zerstört. Gemäß § 276 II BGB handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Laut Sachverhalt verliert N in stark angetrunkenem Zustand die Kontrolle über seinen Wagen. Infolge desssen geht dieser in Flammen auf, so dass die Schlitten zerstört werden. N hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch seinen Alkoholkonsum vor Fahrtantritt zweifelsfrei außer Acht gelassen. Fahrlässigkeit und damit Verschulden gemäß § 276 I 1 BGB ist demnach gegeben.
d. Es ist durch die Zerstörung der Schlitten ein ersatzfähiger Schaden entstanden.
e. Die weiteren Voraussetzungen der §§ 989, 990 I 1 BGB sind somit erfüllt.
3. W hat den Anspruch auf Schadensersatz gegenüber N aus §§ 989, 990 I 1 BGB erworben.
II. Anspruchsverlust
Der Anspruch ist nicht untergegangen.
III. Durchsetzbarkeit des Anspruchs
Der Anspruch ist durchsetzbar.
IV. Ergebnis
W hat gegen N einen Anspruch auf Ersatz des entstandenen Schadens aus §§ 989, 990 I 1 BGB.