Lösungsvorschlag Fall – Tennis mit Boris
S könnte gegen A einen Anspruch auf Übereignung von 100 neuen Tennisbällen Typ „Boris“ gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 BGB haben.
I. Dann müsste S einen Anspruch gegenüber A erworben haben.
1. Dies setzt einen wirksamen Kaufvertrag zwischen den Parteien voraus. Laut Sachverhalt haben S und A am 15.05. einen Kaufvertrag (§ 433 BGB) über 100 Tennisbälle Typ „Boris“ geschlossen.
2. S hat demnach einen Anspruch erworben.
II. Der Anspruch des S könnte jedoch nach § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen sein.
Dann müsste die Leistung für den Schuldner (A) oder für jedermann unmöglich sein.
1. Voraussetzung wäre hierfür zunächst ein Schuldverhältnis zwischen S und A. Wie bereits unter Punkt I.1. festgestellt, haben S und A einen Kaufvertrag geschlossen. Ein Schuldverhältnis liegt somit vor.
2. Weiterhin müsste die aus dem Vertrag resultierende Leistung unmöglich sein.
a. Der Vertrag zwischen S und A beinhaltet als Leistung die Übereignung von 100 Tennisbällen Typ „Boris“
b. Eine Unmöglichkeit liegt vor, wenn niemand die Leistung erbringen kann (objektive Unmöglichkeit) oder wenn eine dritte Person, nicht aber der Schuldner die Leistung erbringen kann (subjektive Unmöglichkeit bzw. Unvermögen). Dies wiederum ist insbesondere dann denkbar, wenn es sich bei dem geschuldeten Gegenstand um eine Stückschuld oder eine konkretisierte Gattungsschuld (§ 243 Abs. 2 BGB) handelt.
aa. Bei den geschuldeten 100 Tennisbällen könnte es sich um eine Stückschuld handeln. Eine Stückschuld liegt vor, wenn der geschuldete Gegenstand nur einmal existiert. Das ist insbesondere bei gebrauchten Gegenständen und bei neuen Einzelstücken zu bejahen. S hat sich aufgrund eines Ausstellungsstücks für 100 Tennisbälle dieses Typs entschieden. Die Parteien haben also nicht die Übereignung eines bestimmten Einzelstücks vereinbart. Gegenstand des Vertrages war somit eine Gattungsschuld.
bb. Das Schuldverhältnis könnte sich aber gemäß § 243 Abs. 2 BGB auf eine bestimmte Sache beschränkt haben. Um eine solche Konkretisierung herbeizuführen, müsste der Schuldner (A) das seinerseits Erforderliche zur Leistung getan haben. Ob hier der A das seinerseits Erforderliche getan hat, hängt davon ab, welche Art der Schuld (Hol-, Bring-, oder Schickschuld) vorliegt.
(1) Zwischen S und A war die Abholung der Tennisbälle durch den S vereinbart. Mithin handelt es sich hier um eine Holschuld.
(2) Bei der Holschuld tritt Konkretisierung der Gattungsschuld zur Stückschuld ein, wenn der Schuldner die Kaufsache ausgesondert und den Gläubiger über die Abholmöglichkeit benachrichtigt hat. Laut Sachverhalt hat A die Tennisbälle ausgesondert und eine Postkarte an S abgeschickt, mit der er ihn über die Abholmöglichkeit informieren wollte.
Fraglich ist jedoch, wie es sich auswirkt, dass S von der Mitteilung niemals Kenntnis erhielt, weil ihn die Postkarte nicht erreicht hat. Nach allgemeiner Meinung reicht die alleinige Absendung einer Mitteilung aus. Ein Zugehen derselben beim Gläubiger ist nicht erforderlich. Somit hat der A alles seinerseits Erforderliche zur Leistung getan.
(3) Demnach ist eine Konkretisierung der ursprünglich bestehenden Gattungsschuld zur stückschuld zu bejahen. Das Schuldverhältnis zwischen S und A beschränkt sich also nach § 243 II BGB auf diese 100 Tennisbälle.
cc. Die Übereignung einer beweglichen Sache erfordert gemäß § 929 S. 1 BGB eine Einigung über den Eigentumsübergang und die Übergabe der Sache. Weder A, noch ein Dritter sind im Stande die ausgesonderten Tennisbälle an A zu übereignen, da diese verbrannt sind.
dd. Somit liegt hier objektive Unmöglichkeit vor.
c. Die aus dem Vertrag resultierende Leistung ist für A folglich unmöglich.
3. Mithin sind alle Voraussetzungen des § 275 Abs. 1 BGB erfüllt. Der Anspruch des S aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB ist somit ausgeschlossen, da die Leistung für den A unmöglich ist.
III. S hat gegen A keinen Anspruch auf Übereignung von 100 neuen Tennisbällen Typ „Boris“ gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 BGB.
Fallabwandlung
Bis zur Konkretisierung der Gattungsschuld (Pkt. bb.) ändert sich am Aufbau des Gutachtens nichts. Hier kann auch in der Klausur auf die Lösung oben verwiesen werden.
Eine Änderung zum Ausgangsfall ergibt sich hier erst in der vereinbarten Schuld.
(1) Zwischen S und A war die Lieferung der 100 Tennisbälle durch A an S, also eine Bringschuld vereinbart.
(2) Bei der Bringschuld tritt Konkretisierung der Gattungsschuld zur Stückschuld ein, wenn der Schuldner (A) die Kaufsache dem Gläubiger an dessen Wohnort anbietet. A hat die 100 Tennisbälle nicht in der beschriebenen Weise angeboten. Laut Sachverhalt war die Lieferung der 100 Tennisbälle durch A am 17.06. bei S vereinbart. Dies hat A nicht getan. Somit hat A nicht das seinerseits Erforderliche zur Leistung getan.
(3) Demnach ist eine Konkretisierung der ursprünglich bestehenden Gattungsschuld zur Stückschuld zu verneinen. Das Schuldverhältnis beschränkt sich somit nicht nach § 243 Abs. 2 BGB auf 100 bestimmte Bälle des Typ „Boris“.
c. Die aus dem Vertrag resultierende Leistung ist folglich nicht unmöglich.
3. Die Voraussetzungen des § 275 Abs. 1 BGB liegen also nicht vor. Der Anspruch des S aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB ist demnach nicht ausgeschlossen. Vielmehr ist der Schuldner der Leistung (A) nach wie vor zur Leistung verpflichtet.
III. Fraglich ist jedoch, ob der Anspruch des S auch durchsetzbar ist.
Für A kommt gegen den Anspruch des S die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gemäß § 320 BGB in Betracht. Hiernach kann der Anspruchsgegner (A) die Leistung so lange verweigern, bis der Anspruchsteller (S) seinerseits leistet. Laut Sachverhalt bezahlt der S am 15.05. den vollen Kaufpreis in Höhe von 400 € für die 100 Tennisbälle. A kann somit die Leistung nicht verweigern, da S den Kaufpreis schon gezahlt hat. Der Anspruch des S ist daher auch durchsetzbar.
IV. S hat gegen A einen Anspruch auf Übereignung von 100 neuen Tennisbällen Typ „Boris“ gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 BGB.
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