Fallbeispiel: Rabattverbot für Warenhäuser
A. Sachverhalt
In der Stadt X hat die Innenstadt eine beliebte Einkaufsmeile, in der sowohl einzelne Warenhäuser wie auch viele kleineren Einzelhändler mit ihren Geschäften vertreten sind. Am Rande der Innenstadt sind ebenfalls einige Supermarktgeschäfte vertreten. Da die Einzelhändler immer häufiger und systematisch Kunden über Rabattmarken und Kundenkarten mit beachtlichen Preisnachlässen locken, führt der Warenhausinhaber A ebenfalls eine dauerhafte Rabattaktion ein. Die Supermärkte in der Gegend gehen ähnlich vor.
Die zuständige Ordnungsbehörde in X verbietet dem A nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahrens jedoch die Aktion auf der Grundlage des Rabattgesetzes, in dem vorgesehen ist, dass Rabette durch die Warenhäuser nicht in der durch A umgesetzten Form gewährt werden dürfen. Für die Einzelhändler und Supermärkte gilt das Gesetz nicht.
A geht gegen diese Untersagung vor.
Frage: Ist die Untersagung rechtmäßig?
B. Lösungsskizze
Die Untersagung ist rechtmäßig, wenn sie auf einer gültigen gesetzlichen Rechtsgrundlage und entsprechend den für diese Grundlage geltenden Regeln erging. Aus dem Sachverhalt ist zu entnehmen, dass die Untersagung ordnungsgemäß auf der Grundlage des Rabattgesetzes erging, so dass es hier ausschließlich auf die Gültigkeit dieses Gesetzes ankommt.
Das Gesetz ist gültig (wirksam) und stellt damit eine Grundlage der Versagung dar, wenn es formell und materiell verfassungsmäßig ist. Da gegen die formellen Anforderungen an ein Gesetz im vorliegenden Fall keine Bedenken bestehen, stellt sich die Frage, inwiefern das Gesetz nicht in materieller Hinsicht gegen die Verfassung verstößt. In Betracht kommt eine Verletzung der Grundrechte des A.
1. Grundrecht aus Art. 12 GG
Es ist denkbar, jedoch die Regelung der Berufsausübung (also die niedrigste Stufe des Eingriffs) lässt sich rechtfertigen - Schutz von Wettbewerb sowie Verbraucherschutz (Überrumpelung, undurchsichtige Kundenbindung etc.). Wenn andere Auffassung - bei entsprechender Begründung kein Fehler.
2. Grundrecht aus Art. 3 I GG
Im Zentrum steht laut Sachverhalt nicht ein Freiheitsgrundrecht, sondern das Gleichheitsgebot - dem A geht es gerade darum, dass er nicht darf - seine Wettbewerber aber doch. Deshalb ist Art. 3 GG unbedingt zu prüfen, und zwar ausführlich.
A könnte durch das Rabattgesetz in seinem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt sein. Dies ist der Fall, wenn Art. 3 I GG auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar ist und das Gleichheitsgebot tatsächlich verletzt wurde.
a. Anwendungsbereich
- (subjektiv, persönlich) A als Inhaber des Warenhauses - keine Anhaltspunkte, dass Grundrecht für ihn nicht gilt, er ist ein jedermann,
- (sachlich) A ist von einer Regelung betroffen, die zwischen unterschiedlichen Geschäftsmodellen differenziert; eine derartige Differenzierung zwischen möglicherweise gleichen Sachverhalten liegt im Anwendungsbereich des Art. 3 I GG.
- Spezialvorschriften (spezielle Gleichheitsgrundrechte) kommen nicht in Betracht;
- Art. 3 I GG schützt gerade vor Ungleichbehandlung durch den Staat; A hat hier eine Verbotsverfügung erhalten, die auf einem Gesetz beruht; beides sind staatliche Akte - der Gesetzgeber und die Verwaltung sind an Art. 3 I GG gebunden.
Exkurs: etwas mehr wäre hier zu sagen, wenn der Sachverhalt wie folgt aussähe: Supermarktbetreiber, der eine Rabattaktion betreibt, stellt dem A eine Abmahnung zu, als dieser eine gleiche Rabattaktion startet. Hier wäre zu fragen, ob A bei der Abwehr dieser Abmahnung sich auf die Gleichheit vor Recht und Gesetz berufen könnte - auch gegenüber dem Supermarktbetreiber, mindestens mittelbar vor dem Zivilgericht.
b. Verletzung des Art. 3 I GG
Eine Verletzung des Art. 3 I GG liegt vor, wenn eine Ungleichbehandlung trotz maßgeblich gleicher Elemente (wesentlich gleiche Sachverhalte) vorliegt und für diese unterschiedliche Behandlung keine Rechtfertigung existiert.
- gleiche Elemente: Geschäfte, die gegenüber Verbrauchern als Einzelhandel auftreten;
- ungleiche Elemente: Wirtschaftskraft - aber nur gegenüber den kleinen Einzelhändlern; gegenüber Supermarktbetreibern nicht!
Rechtfertigung nur dann gegeben, wenn:
- Sachgrund liegt vor,
- Gewichtung verhältnismäßig
Als Sachgrund lässt sich anfügen die Stärkung des Mittelstands, sofern die unterschiedliche Wirtschaftskraft als Ansatz für die Differenzierung ist. Sie greift allerdings nur für kleine Einzelhändler, nicht für die Supermärkte. ALso: es fehlt schon an einem Sachgrund, der immer Anwendung fände.
Fallabwandlung:
Nur Händler bis 10 Beschäftigte im Umkreis von 20 km dürfen Rabattaktionen machen. Supermärkte und Warenhäuser fühlen sich gleichsam ungerecht behandelt (gegenüber den kleinen Händlern).
Hier ist auch noch die Abwägung notwendig, ob die Gewichtung verhältnismäßig ist:
- Unterscheidungselement = Wirtschaftskraft; deutlich und gewichtig?
- Sachgrund = Förderung des Mittelstands; wichtig? Erhaltung der Vielfalt in der Innenstadt?
Ist die Differenzierung nach Wirtschaftskraft zum Ziel der Förderung des Mittelstands:
- geeignet? - Rabattmöglichkeit = mehr Kundenbindung, also Wettbewerbsvorteil;
- erforderlich? - milderes Mittel zur Verbesserung der Kundenbindung durch Mittelstand im Besonderen bzw. zur Stärkung des Mittelstands im Besonderen - kaum denkbar; direkte Subvention für Kleinhändler würde den Wettbewerb wohl stärker beeinträchtigen, weil dies die notwendige Marge dieser Händler drücken würde...
Es ist also denkbar, eine Differenzierung wie in der Fallabwandlung für zulässig zu erklären - umso mehr, dass dem Gesetzgeber und der Verwaltung bei der Differenzierung ein weiter Spielraum eingeräumt wird und nur offensichtlich unverhältnismäßige Ungleichbehandlungen verboten sind.
Lit.: Schwerdtfeger, Rn. 491-494.
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