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BGHZ 86, 240

Kein Haftung für 'wrongful life'

Urteil vom 18. Januar 1983 VI ZR 114/81



A. Sachverhalt

Die am 24. Februar 1977 geborene Erstklägerin (E) ist eine eheliche Tochter der Zweitklägerin (Z) und des Drittklägers (D) (künftig: Kläger).
Die Erstklägerin ist gesundheitlich aufs schwerste geschädigt, weil ihre Mutter, die Zweitklägerin, während der ersten Schwangerschaftswochen an Röteln (rubeola) erkrankt war. Die Kläger werfen dem beklagten Frauenarzt (B) vor, dass er diese Erkrankung der Mutter nicht erkannt habe, sodass die - an sich erwünscht gewesene - Schwangerschaft nicht unterbrochen worden sei.
Kind und Eltern begehren die Feststellung, dass der Beklagte Ihnen - vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsübergangs - "allen Schaden zu ersetzen hat, der ihnen durch die Röteln-Erkrankung der Zweitklägerin während der Schwangerschaft entstanden ist und noch entstehen wird".


B. Amtlicher Leitsatz

Ist die Gefahr der Schädigung eines Ungeborenen (der durch Röteln-Erkrankung der Mutter während der Frühschwangerschaft), die den Wunsch der Mutter auf Unterbrechung der Schwangerschaft gerechtfertigt hätte, von dem die Mutter beratenden Arzt schuldhaft nicht erkannt worden, haftet dieser den Eltern auf Ersatz der durch die Behinderung bedingten Mehraufwendungen (über den Ersatz des normalen Unterhalts war nicht zu entscheiden).
Ein Ersatzanspruch des Kindes gegen den Arzt besteht nicht.


C. Fallösung

Die Kläger könnten einen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1 & 847 BGB auf die Entschädigung allen Schadens haben, der ihnen durch die Röteln-Erkrankung der Zweitklägerin während der Schwangerschaft entstanden ist und noch entstehen wird.


1. E könnte aus §§ 823 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz erworben haben.


a. Schaden enstanden gemäß § 823 Abs. 1 BGB? ( - )

        • B hat das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht von E nicht widerrechtlich verletzt, vielmehr ist E durch das Verhalten des B erst in den Genuss des Lebens gekommen
        • B hat nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt


2. Da E durch B kein Schaden enstanden ist, erwirbt E keinen Anspruch auf Schadenersatz gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB.


3. Z könnte gemäß §§ 823 Abs. 1 & 847 BGB einen Anspruch auf Schadenersatz erlangt haben.

a. Schaden entstanden gemäß § 823 Abs. 1 BGB? ( - )

        • B hat das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht von Z nicht widerrechtlich verletzt
        • B hat nicht vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt


Zwischenergebnis: Durch B ist kein Schaden im Sinne § 823 Abs. 1 BGB enstanden.


4. Es könnte trotzdem ein Schaden aufgetreten sein.

a. Schaden durch erhöhte finanzielle Belastung von Z und D enstanden? ( - )

aa. Schaden gemäß § 847 BGB enstanden?

        • keine Verletzung des Körpers oder der Gesundheit durch B
        • kein Freiheitsenzug durch B
        • Vermögensschaden ( - )
(1) kein Zutreffen der Grundsätze des Senats aus den beiden Urteilen vom 18. März 1980 (BGHZ 76,249 und 259)
(2) Da eine Abteibung eine Tötungshandlung (BVerfGE 39,1,43,46) ist, besteht keine Aufklärungsverpflichtung für B bei finanzieller Belastung von Eltern. Diese hätte nur im Hinblick auf Gefahren für Leben und Gesundheit von Z bestanden.
Zwischenergebnis: Wirtschaftliche Bedrängnis ist somit keine Rchtfertigung einer Tötungshandlung (BVerfGE 39,1,43,46).


5. Im Ergebnis kann auch Z keinen Schadensersatz gemäß §§ 823 Abs. 1 & 847 BGB verlangen, da eine reine wirtschaftliche Belastung keine Rechtfertigung auf die Endung eines Lebens ist.


6. D könnte einen Anspruch auf Schadenersatz gemäß §§ 823 Abs. 1 & 847 BGB haben.

7. Da zwar der Drittkläger im Schutzbereich des Vertrages zwischen der Zweitklägerin und dem Beklagten einbezogen gewesen sei (BGHZ 76,259,262) hat auch er keinen Schadensersatzanspruch gemäß der im oberen Teil dargelegten Aspekte.


Diese Ausführungen halten zwar der Revision der Erstklägerin (des Kindes) stand, im wesentlichen aber nicht den Revisionen der Eltern.


1. Z könnte ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 in Verbindung mit § 611 BGB erlangt haben.

a. B könnte seine vertragstypischen versprochenen Dienste richtig ausgeführt haben. ( - )

        • B ist der Röteln-Infektion von Z in den ersten Schwangerschaftswochen nicht nachgegangen
        • B hat Erstklägerin hinsichtlich des Ergebnisses angeblicher weiterer Blutuntersuchungen wohl wissentlich falsch unterrichtet
Zwischenergebnis: Durch seine schuldhaft schlechte Ausführung des Auftrages von Z hat der Beklagte seine übernommene Behandlungspflicht versäumt. Revisionsmäßig zu unterstellen ist, dass es der medizinisch nicht uninformierten Zweitklägerin bei der Konsultation des Beklagten gerade darum gegangen ist, gegebenenfalls der schweren Gefahr einer irreversiblen Schädigung des soeben empfangenen Kindes durch einen Abbruch der Schwangerschaft vorzubeugen, den der rechtzeitigen Schwangerschaftsabbruch als einzige Abhilfe ermöglicht hätte.

2. Damit hat - aus der Sicht des Revisionsverfahrens - der Beklagte den von den Klägern geltend gemachten Schaden gegebenenfalls durch seine schuldhafte Verletzung des Behandlungsvertrags verursacht. Somit ist ein Schadensersatzanspruch von Z gegen B enstanden.

b. B könnte durch die schuldhafte Verletzung weitere Maßnahmen zu Lasten von Z verursacht haben.

        • Durch das Fehlverhalten des B konnte eine natürliche Entbindung vorgenommen werden. Stattdessen musste ein Kaiserschnitt vorgenommen werden, welche direkt in das körperliche Befinden von Z eingegriffen hat.

Zwischenergebnis: Anders als in den BGHZ aaO entschiedenen Fällen beruht hier die Schwangerschaft zwar als solche nicht auf dem Versagen des Arztes, sondern auf freier Entschließung von Z. Damit hat B nicht durch die Zufügung einer ungewollten Entbindung unmittelbar in die körperliche Befindlichkeit der Zweitklägerin (anders im Senatsurteil vom 18. März 1980 - VI ZR 247/78 - VersR 1980,558, insoweit in BGHZ nicht abgedruckt) eingegriffen. Deshalb kann nach Auffassung des Senats hier nur diejenige Schmerzbelastung als Begründung Schadenersatzanspruchs in Frage kommen, die schadensbedingt die mit einer natürlichen, komplikationslosen Geburt verbundenen Beschwerden übersteigt. Das könnte sich - wobei aber wiederum Feststellungen fehlen - dadurch verwirklicht haben, dass nur wegen der Schädigung des Kindes eine Kaiserschnitt-Entbindung notwendig geworden ist, was Z und D behauptet haben. Bei der Bemessung dieses Schmerzensgeldes könnte allerdings wiederum in Betracht zu ziehen sein, daß der Mutter so ein - wie jedenfalls behauptet - nicht ganz einfacher Abtreibungseingriff erspart worden ist, dem sie sich bei vertragsmäßigem Verhalten des Beklagten unterzogen hätte.

c. Somit hat die Mutter Z einen Anspruch auf Schadenersatz durch den Beklagten.
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