Wirtschaftsprivatrecht I
Zustandekommen von Verträgen
Teil 3: Vertragsschluss
Der Vertrag als zweiseitiges Rechtsgeschäft setzt zwei sich deckende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, voraus. Der Vertrag entfaltet Bindungswirkung zwischen den Vertragsparteien. Im Folgenden geht es nur um den Abschluss, nicht um den konkreten Inhalt eines Vertrags (siehe dazu Kapitel 4).
Das Angebot, auch Offerte oder Antrag, ist eine empfangbedürftige Willenserklärung, durch die ein Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird, dass das Zustandekommen des Vertrages nur von dessen Einverständnis abhängt. Sie wird gem. § 130 BGB mit ihrem Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam. Gem. § 145 BGB ist der Anbietende grds. an sein Angebot gebunden, jedoch kann die Gebundenheit ausgeschlossen werden. Die Bindungswirkung erlischt, wenn der Adressat das Angebot ablehnt, ebenso, wenn er es nicht oder nicht fristgerecht annimmt, §§ 146 ff. BGB. Das Angebot muss alle wesentlichen Punkte (essentialia negotii) enthalten, d.h. die Identität des Vertragspartners, den Vertragsgegenstand und bei entgeltlichen Verträgen die Gegenleistung. Ein Vertragsangebot kann sich auch an die Allgemeinheit richten, anstatt an einen individualisierten Vertragspartner (Offerta ad incertas personas), so z.B. bei einem Warenautomaten. Bei einer invitatio ad offerendum handelt es sich nicht um ein Angebot, sondern um eine Aufforderung, der andere möge ein Angebot abgeben.
Ein Ausschluss der Bindungswirkung ist nach § 145 BGB möglich. Der Erklärende kann die Bindung durch sog. Freiklauseln ausschließen („freibleibendes“ oder „unverbindliches“ Angebot, vgl. BGH NJW 1996, 919, 920). Ohne besondere Anhaltspunkte ist ein solches freibleibendes Angebot als invitatio ad offerendum auszulegen. Die Erklärung hat in diesem Fall keine Bindungswirkung, allerdings muss der Erklärende ihm zugehende Anträge unverzüglich beantworten. Kommt er dieser Erklärungspflicht nicht nach, so gilt sein Schweigen als Annahme des Angebots. Ein Ausschluss nach § 145 BGB ist auch in der Form des Widerrufsvorbehaltes denkbar. In diesem Fall kann der Anbietende sein Angebot auch nach dessen Zugang widerrufen. Einzelheiten zur Frist innerhalb der ein solcher Widerruf stattfinden muss, sind streitig.
Fall 9:
Der türkische Rohstofflieferant R bot über sein Hamburger Zweiggeschäft dem deutschen Zwischenhändler Z am 10.06.2011 „freibleibend“ per E-Mail 5 t Silber zum Preis von 150.000 € an. Daraufhin rief der im Vertrieb von Z tätige Mitarbeiter V ohne Absprache mit seinem Abteilungsleiter A den von ihm ständig betreuten Medizinproduktehersteller M an und bot diesem die Silberlieferung zu einem Preis von 175.000 € an. Auf die Bitte des M nach einer Überlegungsfrist sagte V eine Bindung an die Offerte bis zum 23.06.2011 zu. Am 21.06.2011 sendete M ein Computerfax an den E-Mail-Account des V, wobei er aber versehentlich eine .de-Adresse anstelle der richtigen .com-Adresse angab. Die Fehlermeldung seines E-Mail-Systems bemerkte M erst am 23.06.2011 gegen 17.30 Uhr. Unmittelbar daraufhin sendete er das ursprüngliche Computerfax nochmals, jetzt an die zutreffende E-Mail-Adresse. Aufgrund eines Systemfehlers – diesmal bei Z – wird das Computerfax erst am frühen Morgen des 24.06.2011 im Account des V abgelegt.V, der vom 23.06.-26.06.2011 Urlaub hatte, las die E-Mail am 27.06.2011 und bestellte daraufhin bei R das Silber. R teilte ihm mit, dass angesichts rasant steigender Preise eine Lieferung nur noch für einen der Marktsituation entsprechenden Preis von 180.000 € möglich sei. V meldet sich am 10.07.2011 bei M und teilt diesem mit, dass er das Computerfax erst am 27.06.2011 gesehen habe und daher erst in der Folge das Silber bestellen konnte und dass angesichts des Zeitablaufs inzwischen ein Verkauf nur zu einem Preis von 200.000 € möglich sei. M ist hiermit nicht einverstanden.
a) Ist zwischen R und Z ein Kaufvertrag zustande gekommen?
b) Kann M die Lieferung des Silbers zum Preis von Z verlangen?
Das Angebot erlischt nach den Regelungen der §§ 146 ff. BGB entweder kraft Gesetzes oder nach Ablauf einer vom Anbietenden selbst gesetzten Frist oder wenn es ausdrücklich abgelehnt wird.
B. Annahme des Angebots
Der Adressat kann das Angebot aufgrund der Vertragsfreiheit annehmen oder ablehnen. Auch bei der Annahme handelt es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die bis zu ihrem Zugang widerrufen werden kann (§ 130 Abs. 1 S. 2 BGB). Von ihr zu unterscheiden ist die Empfangsbestätigung, die nur den Zugang des Angebots bestätigt.
Unter Anwesenden kann das Angebot gem. § 147 Abs. 1 BGB nur sofort angenommen werden, ansonsten erlischt es. Hierzu zählen auch telefonisch geführte Vertragsverhandlungen, nicht aber Online-Vertragsangebote.
Unter Abwesenden kann das Angebot gem. § 147 Abs. 2 BGB bis zu dem Zeitpunkt entgegengenommen werden, in welchem der Anbietende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Es kommt darauf an, was nach der Verkehrssitte üblich ist. Hierbei ist der Zeitraum zwischen Absendung und Zugang der Offerte beim Erklärungsempfänger, eine angemessene Überlegungsfrist und der Zeitraum, der für die Übermittlung der Annahmeerklärung erforderlich ist, zu berücksichtigen. Die gesetzlichen Annahmefristen des § 147 BGB gelten aber nur, wenn der Erklärende nach § 148 BGB nicht selbst eine Annahmefrist bestimmt hat, welche ausdrücklich oder konkludent einseitig vom Anbietenden bestimmt werden kann. Wird das Angebot verspätet angenommen, so gilt diese Annahmeerklärung gem. § 150 Abs. 1 BGB als neues Angebot.
Fall 10:
V bietet dem K in einem am 1.6. abgeschickten und dem K am 3.6. durch die Post zugestellten Brief eine Taschenuhr für 250 € zum Kauf an. K teilt V am 4.6 telefonisch mit, dass er die Uhr für 150 € nehme. V geht darauf nicht ein. Ist der Vertrag zustande gekommen?
Eine verspätete Annahme erlischt nur dann nicht, wenn die Annahmeerklärung zwar rechtzeitig versandt wurde, aber durch dem Gegner erkennbare Umstände, die der Annehmende nicht zu vertreten hat, verspätet eintritt (§ 149 BGB). In diesem Fall kann der Anbietende dem Annehmenden unverzüglich die Verspätung anzeigen mit der Folge, dass gem. § 151 BGB das Angebot erlischt. Tut er dies nicht, so gilt die Annahme als nicht verspätet und der Vertrag ist wirksam.
Fall 11:
K entdeckt in der Galerie des V ein Bild, dass V ihm für 12000 € anbietet. K bittet um Bedenkzeit bis 18 Uhr. Als er um 18.20 Uhr den V anruft um ihm mitzuteilen, dass er das Bild kaufen wolle, teilt ihm dieser mit, er habe das Bild schon zu einem besseren Preis verkauft. Um 19 Uhr teilt V dem K telefonisch mit, dass er das Bild nun doch kaufen könne. K ist verärgert und legt den Hörer auf. Kann V von K Zahlung der 12 000 € verlangen?
Der Erklärende muss in seiner Annahmeerklärung dem Angebot uneingeschränkt und bedingungslos zustimmen, ansonsten liegt nach § 150 Abs. 2 BGB eine Ablehnung des Angebots verbunden mit einem neuen Antrag vor. Nach § 151 BGB kann der Anbietende zwar nicht auf die Abgabe einer Annahmeerklärung verzichten, wohl aber ausdrücklich oder konkludent auf den Zugang. Grundsätzlich kommt ein Vertrag auch dann zustande, wenn der Anbietende vor Annahme durch den Vertragspartner stirbt oder geschäftsunfähig wird, § 153 BGB. Diese Vermutung gilt nur dann als widerlegt, wenn ein entgegenstehender Wille des Anbietenden anzunehmen ist. Ein derartiger Wille ergibt sich entweder ausdrücklich aus der Erklärung oder aus der Auslegung des hypothetischen Willens. Relevant sind hier insbesondere Bestellungen für den persönlichen Bedarf. Ist das Angebot nicht mehr annahmefähig, ist der Vertrauensschaden nach § 122 BGB analog zu ersetzen (str.). Stirbt hingegen der Angebotsempfänger, so kommt der Vertrag nur zu Stande, wenn er die Annahmeerklärung vor seinem Tod abgibt.
Konsens ist die Übereinstimmung von Willenserklärungen beim Vertragsschluss. Ein Vertrag kommt nur zustande, wenn Einigkeit über die essentialia negotii erzielt wurde. Im Wege der Auslegung des objektiven Erklärungswertes der Willenserklärungen ist zu ermitteln, ob dahingehende Einigkeit besteht. Liegt zwei übereinstimmenden Willenserklärungen auch der wirkliche Wille der Erklärenden zu Grunde, so kann keine der Erklärungen angefochten werden. Konsens liegt ausnahmsweise auch dann vor, wenn zwei Parteien objektiv Unterschiedliches erklären, damit subjektiv aber Übereinstimmendes verbinden (falsa demonstratio). Auch hier kann nicht angefochten werden.
Beim Dissens decken sich Angebot und Annahme nicht. Es mangelt an einer Einigung, so dass der Vertrag nicht zustande kommt. §§ 154, 155 BGB regeln die Fälle, in denen vertragliche Punkte uneinig geblieben sind. Beim offenen Dissens i. S. d. § 154 BGB einigen sich die Parteien bewusst nicht vollständig. War der Vertragsbestandteil aber für wenigstens eine Partei klärungsbedürftig, so kann jeder Vertragspartner den Vertragsschluss scheitern lassen. Im Zweifel gilt der Vertrag als nicht geschlossen. Es handelt sich bei § 154 BGB aber nur um eine Auslegungsregel, die abbedungen werden kann. Ist hingegen eine Bindung an den Vertrag gewollt, müssen die offen gebliebenen Punkte, wenn darüber keine Einigung erzielt werden kann, durch die dispositive gesetzliche Regelung oder durch ergänzende Vertragsauslegung nach dem Vertragszweck oder nach § 315 BGB analog (Billigkeit) ausgefüllt werden. Beim versteckten Dissens gehen die Vertragsparteien irrtümlich davon aus, dass alle klärungsbedürftigen Fragen geklärt sind. Nach § 155 BGB wird in diesem Falle der Parteiwille vermutet. Es muss durch Auslegung ermittelt werden, ob der Vertrag auch trotz Einigungsmangels geschlossen worden wäre. Wenn dem so ist, ist der Vertrag wirksam. Vertragslücken sind durch ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln. Erweist sich der ungeklärte Punkt als so gewichtig, dass er hätte geregelt werden müssen, so scheidet ein Vertragsschluss aus. Trifft eine Partei das Verschulden, dass der Vertrag wegen des Einigungsmangels nicht zustande gekommen ist, so kann die andere Partei Ersatz des Vertrauensschadens verlangen.
Siehe hierzu auch folgendes Urteil:
Verträge können auch ohne das Vorhandensein von Willenserklärungen durch sozialtypisches Verhalten entstehen. Der Teilnehmer am Rechtsverkehr macht hierbei unmissverständlich durch den Verbrauch oder die Inanspruchnahme einer Leistung klar, dass er sie in Anspruch nehmen möchte (Wasserhahn, Heizung, Fahrkarte). Erklärt jemand, der eine Leistung in Anspruch nimmt, ausdrücklich, keinen Vertrag schließen zu wollen, so ist dieses widersprüchliche Verhalten unbeachtlich (§ 242 BGB; Fallgruppe des protestatio facto contraria non valet).
Siehe hierzu auch folgendes Urteil:
Fall 12:
A fährt mit der Bahn AG (B) von Münster nach Dortmund ohne ein Ticket zu lösen. Gut sichtbar befindet sich im Zug der Hinweis, dass die Fahrt ohne gültigen Fahrausweis 60 € kostet. Kurz bevor A in Dortmund ankommt, möchte der Schaffner den Fahrausweis des A sehen. Als dieser ihm erklärt, er habe einen solchen nicht, verlangt der Schaffner Zahlung der 60 €. Kann er das?
Die Wirksamkeit jedes Rechtsgeschäfts und damit auch jedes Vertrags kann von Ereignissen oder Zeitpunkten bzw. –räumen abhängig gemacht werden. Man spricht hierbei entweder von Bedingungen, wenn bestimmte Ereignisse betroffen sind, und von Befristung, wenn es auf Zeitpunkte oder –räume ankommt.
Insbesondere wenn die Parteien noch nicht wissen, ob die Durchführung eines Geschäfts sinnvoll oder für sie günstig sein wird, oder wenn sie sich nur unter bestimmen Umständen binden wollen, können sie seine Wirksamkeit von Bedingungen abhängig machen. Die Bedingung i.S.d. §§ 158 ff. BGB ist eine Nebenbestimmung zu einem Rechtsgeschäft, die die Wirkung des Rechtsgeschäfts von einem zukünftigen (objektiv) ungewissen Ereignis abhängig macht. Das Gesetz unterscheidet in § 158 BGB zwischen der aufschiebenden und der auflösenden Bedingung: Bei der aufschiebenden Bedingung gemäß § 158 Abs. 1 BGB treten die Rechtswirkungen erst mit dem Eintritt des zukünftigen Ereignisses ein.
Fall 13:
Der Antiquitätenhändler A hatte mit seinem Lieferanten L vereinbart, dass A nur die tatsächlich verkauften Stücke bezahlen soll. Die binnen eines Jahres unverkauften Antiquitäten sollte A bei L zurückgeben dürfen. Bei einem Einbruch wurden zahlreiche wertvolle Antiquitäten entwendet. Kann L von A Zahlung für die entwendeten Antiquitäten verlangen?
Bei der auflösenden Bedingung nach § 158 Abs. 2 BGB treten die Rechtswirkungen sofort ein, entfallen aber mit Bedingungseintritt wieder. Um eine echte Bedingung handelt es sich, wenn Gegenstand der Bedingung ein zukünftiges objektiv ungewisses Ereignis ist. Steht das Eintreten oder Ausfallen des Ereignisses bei Vertragsschluss hingegen schon objektiv fest, haben aber die Parteien hiervon keine Kenntnis, so handelt es sich um eine unechte Bedingung. Hier wird teilweise eine analoge Anwendung der §§ 158 ff. BGB befürwortet. Grundsätzlich dürfen Rechtsgeschäfte von einer Bedingung abhängig gemacht werden. Es gibt jedoch auch Rechtsgeschäfte, die nur unbedingt vorgenommen werden dürfen. Folgende Rechtsgeschäfte sind bedingungsfeindlich:
- Gestaltungsrechte (z.B. Anfechtung, Rücktritt, Kündigung) analog § 388 S. 2 BGB,
- kraft Gesetzes die Eheschließung (§ 1311 BGB), die Adoption (§ 1750 Abs. 2 BGB), die Auflassung (§ 925 BGB), die Annahme einer Erbschaft (§ 1947 BGB),
- aufgrund der besonderen Natur des Geschäfts, wenn dem Interesse der Allgemeinheit oder des Geschäftsgegners an Rechtsklarheit oder Rechtssicherheit der Vorrang gebührt.
Fall 14:
V hat an M eine Einliegerwohnung in seinem Haus unbefristet vermietet. Anfang Mai bekommt M eine Kündigung, in der steht, dass V ihr zum Jahresende kündige, jedoch nur für den Fall, dass seine pflegebedürftige Mutter bei ihm einziehe. Ende des Jahres teilt V der M mit, dass seine Mutter tatsächlich einziehen werde. Hat M einen Anspruch auf weitere Überlassung der Mieträume?
Mit Eintritt der Bedingung ändert sich die Rechtslage ohne weiteres Zutun der Parteien ex nunc, d.h. von diesem Zeitpunkt an. Während bei einer aufschiebenden Bedingung die Rechtswirkungen ab Bedingungseintritt entstehen, entfallen diese bei Eintritt einer auflösenden Bedingung. Es bedarf keiner neuen Willensäußerung. Wird der Eintritt einer Bedingung wider Treu und Glauben vereitelt, so fingiert § 162 Abs. 1 BGB den Bedingungseintritt. Die Bedingung ist hingegen ausgefallen, wenn endgültig feststeht, dass sie nicht mehr eintreten kann. Das gleiche gilt gemäß § 162 Abs. 2 BGB für den Fall, dass die durch den Eintritt der Bedingung begünstigte Partei den Bedingungseintritt treuwidrig herbeiführt. In der Schwebezeit, d.h. in dem Zeitraum in dem das Ereignis eintreten kann, ergeben sich bereits Vorwirkungen des bedingten Geschäfts. Demnach haftet nach § 160 Abs. 1 BGB die Partei, die während der Schwebezeit ihre Sorgfaltspflichten bezüglich der bedingt geschuldeten Leistung verletzt bzw. nach § 160 Abs. 2 BGB die Partei, die während der Schwebezeit ihre Sorgfaltspflichten bezüglich der bedingt empfangenen Leistung verletzt.
Die Befristung i. S. d. § 163 BGB ist eine Bestimmung, wonach für die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts ein Anfangs- oder ein Endtermin vorgesehen ist. Die Wirkungen des Geschäfts werden demnach von einem zukünftigen gewissen Ereignis abhängig gemacht. Grundsätzlich sind die Vorschriften über die Bedingung (§ 158 BGB, § 160 BGB, § 161 BGB) anwendbar. Ist ein Anfangstermin bestimmt, so gelten die Regelungen über die aufschiebende Bedingung, bei einem Endtermin die über die auflösende Bedingung.