Wirtschaftsprivatrecht II
Fall 10 - Dachziegel
A betreibt ein Dachdeckerunternehmen mit über 30 Angestellten. Der Prokurist P, der bei A angestellt ist, bestellt beim auf Baustoffe spezialisierten Großhändler G für 100.000,- € 50 Stahlträger (50.000,- €), 30 Paletten rote Dachziegel (20.000,- €) und 10 Tonnen Bauholz (30.000,- €). P weist ausdrücklich darauf hin, dass die Waren bis zum 30.09. geliefert werden müssen, da die Ware am 01.10. auf einer Großbaustelle unbedingt eingesetzt werden muss, um noch im Zeitplan zu bleiben. G sagt ihm die rechtzeitige Lieferung zu. Schon am 26.09. werden die Stahlträger geliefert, allerdings nur 45, was dem P, der die Lieferung annimmt, nicht auffällt. Am 30.09. werden die verpackten Paletten mit den Dachziegeln angeliefert, die A selbst entgegennimmt und sofort in sein Lager bringen lässt. Ihm fällt dabei nicht auf, dass es sich nicht um rote, sondern um graue Dachziegel handelt. Am 01.10. telefoniert G mit der im Büro des A tätigen Auszubildenden L und teilt ihr mit, dass das Holz erst am 02.10. geliefert werden kann, L erklärt sich damit einverstanden. Die Lieferung erfolgt tatsächlich am 02.10. Allerdings verweigert der Lagerleiter F, die Annahme, da er sich für einen Mehrpreis von 5000,- € bereits das Holz bei einem anderen Großhändler besorgt hat. Welche Ansprüche bestehen zwischen A und G? |
LösungI. Anspruch des G gegen A auf Kaufpreiszahlung iHv.100.000,- € gem. § 433 II BGB 1. Abschluss eines wirksamen Kaufvertrags gem. § 433 BGB Der Kaufvertrag über die Baustoffe wurde zwar nicht von A selbst, aber von seinem Prokuristen geschlossen, § 48 HGB. Der KV ist daher wirksam und wirkt für und gegen den A, § 164 Abs. 1 BGB. 2. Anspruch untergegangen? a) Der Anspruch könnte wegen nachträglicher Unmöglichkeit gem. §§ 326 I, 1.HS iVm. 275 I BGB untergegangen sein. Fraglich ist, in welchem Umfang der Anspruch unmöglich geworden sein könnte. Im Falle der Teilleistung wird der Anspruch gem. § 326 I, 2.HS BGB iVm. § 441 Abs. 3 BGB gemindert. aa) Im Hinblick auf die Stahlträger und das Holz könnte Erfüllung gem. § 362 BGB eingetreten sein, sodass der Kaufpreisanspruch nur iHv. 30.000,- € entfallen sein könnte. (1) Leistung Gemeint ist hier nur die Herbeiführung des Leistungserfolgs, die bei einem Kaufvertrag in der Verschaffung des Eigentums am Kaufgegenstand besteht. G hat dem A das Eigentum an den Stahlträgern und dem Dachziegeln verschafft. (2) Bewirken Die Leistung müsste an den Gläubiger, also A, bewirkt werden. Hier hat P die Lieferung angenommen. Als Prokurist ist er auch zur Entgegennahme von Lieferungen berechtigt, § 48 HGB. Sein Handeln wird daher dem A zugerechnet. Das Bewirken setzt zudem voraus, dass die übereignete Sache mangelfrei ist. Umfasst werden hier die Sach- und Rechtsmängel des § 434 BGB, § 435 BGB. Ein Sachmangel ist nach § 434 Abs. 3 BGB auch in der Zuweniglieferung sowie in der Aliud-Lieferung zu sehen (anders die frühere Rechtslage, bei der für bürgerlich-rechtliche Kaufverträge kein Sachmangel, sondern mangelnde Erfüllung angenommen wurde, während beim Handelskauf der § 377 HGB auch Zuwenig- und Aliud-Lieferung als Sachmangel behandelte). G hat dem A nur das Eigentum an 45 anstelle der geschuldeten 50 Stahlträger verschafft. Hierin liegt eine Zuweniglieferung und damit ein Sachmangel iSd. § 434 III BGB. G hat dem A zudem nur graue Dachziegel und keine roten geliefert. Graue Dachziegel sind keine schlechten roten Dachziegel, also liegt eine Aliudlieferung vor, die aber inzwischen nach § 434 III BGB ebenfalls einen Sachmangel darstellt. Allerdings könnte durch die Annahme trotzdem Erfüllung eingetreten sein. Eine diesbezügliche Sonderregelung findet sich in § 377 HGB (Zur Sicherung der „Schnelligkeit und Leichtigkeit des Handelsverkehrs“). A und G sind beide Kaufleute, da bei einem Betrieb mit 30 Angestellten und einem Großhandel die Vermutung des § 1 Abs. 2 HGB greift. Für beide war es zudem ein Handelsgeschäft iSd. § 343 Abs. 1 HGB. Den A träfe demnach eine unverzügliche Untersuchungspflicht, welcher er jedenfalls im Hinblick auf die Stahlträger nicht nachgekommen ist. Das Verhalten des P ist ihm dabei zuzurechnen (§ 48 HGB). Dass die Ware vor dem 30.09 geliefert wurde, steht gem. § 271 BGB nicht entgegen. Die Dachziegel waren zwar eingepackt und der Mangel nicht offensichtlich. Von einem Kaufmann ist aber die stichprobenweise Öffnung von verschlossenen Warenpaketen im Rahmen der Untersuchungspflicht zu verlangen. Die Zuweniglieferung und die Aliud-Lieferung der Dachziegel führen daher trotzdem zu einer Annahme und damit zur Erfüllung der Leistungspflicht aus dem KV gem. § 362 BGB. Die Gegenleistungspflicht besteht daher weiterhin iHv. 70.000,- €. bb) Fraglich ist, ob der Anspruch auf Gegenleistung im Hinblick auf das Holz iHv. 30.000,- € entfallen ist, § 326 I, 1.HS iVm. § 275 abs. 1 BGB § 275 Abs. 1 BGB erfasst dabei die Fälle der sog. echten Unmöglichkeit (obj./subj., teilweise/vollständige, zu vertretende/nicht zu vertretende,…). Zwischen A und G könnte ein Fixhandelskauf gem. § 376 HGB als absolutes Fixgeschäft geschlossen worden sein. Das setzt voraus, dass dieLeistung nach Eintritt des Datums nicht mehr als Erfüllung angesehen werden kann, da sie für den Gläubiger sinnlos ist. In einem solchen Falle wird Ablauf des Termins oder der Frist das Geschäft unmöglich. Der A hat durch P deutlich gemacht, dass er die Baustoffe unbedingt für einen durchzuführenden Auftrag bis zum 30.09. brauche. Folglich ist ein absolutes Fixgeschäft vereinbart worden. Die L könnte allerdings die Frist auf den 02.10 ausgedehnt haben. Hierzu müsste sie zunächst berechtigt sein. Zwar arbeitet sie im Betrieb des A, hat aber keinerlei ausdrückliche Vollmacht seitens des A. Vertragsänderungen können aber lediglich vom Kaufmann selbst oder von seinem Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten durchgeführt werden. Eine Fristausdehnung ist daher nicht erfolgt. Mit Ablaufdes 30.09 ist damit die Leistung im Hinblick auf das Holz unmöglich geworden. Der Anspruch auf Gegenleistung gem. § 433 Abs. 2 BGB ist daher iHv. 30.000,- € entfallen. II. Anspruch des A gegen G auf Schadensersatz stattder Leistung iHv. 5.000,- € 1. Anspruch gem. § 280 Abs. 1, 3 BGB, § 283 BGB Ein Schuldverhältnis besteht in dem Kaufvertrag zwischen A und G. Eine Pflichtverletzung ist in der Unmöglichkeit zu sehen(s.u.), die von G auch zu vertreten ist gem. § 276 Abs. 1 BGB. Hieraus ist ein kausaler Schaden iHv. 5.000,- € entstanden, der zu ersetzen ist. 2. Anspruch gem. § 376 I, III HGB Ein Fixhandelskauf gem. § 376 HGB ist zwischen den Kaufleuten A, vertreten durch P (§ 48 HGB), und G vereinbart worden. Die Lieferfrist ist von G schuldhaft (§ 286 Abs. 4 BGB, § 276 BGB) nicht eingehalten worden, so dass Verzug gem. § 286 Abs. 1 BGB eingetreten ist. Einer Nachfristsetzung bedarf es beim Fixhandelskauf nicht (vgl. auch § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Damit kann A Schadensersatz wegen Nichterfüllung gem. § 376 Abs. 1 HGB verlangen und dabei nach § 376 III HGB den Preis des „anderweit vorgenommenen“ Kaufs ersetzt verlangen, denn der Ersatzkauf ist sofort (= wie nach Brauch und Umständen möglich, nicht zwingend § 121 Abs. 1 S. 1 BGB), was innerhalb eines Tages anzunehmen ist, bewirkt worden. A kann also auch nach § 376 I, III HGB den kausal entstandenen konkreten Schaden von G ersetzt verlangen. III. Aufrechnung Der A kann nunmehr mit der Forderung des G iHv. 70.000,- € aufrechnen gem. § 387 BGB, sodass er nur noch 65.000,- € zahlen muss. |
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