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Wirtschaftsprivatrecht II


Fall 26 - Abfindung



Arbeitgeber Ahrens (A) ist Elektrogroßhändler. Eines Tages bestellt er den bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer Brand (B) kurzfristig und unvermittelt zu sich ins Büro. B ahnt nicht die Hintergründe des Gesprächs. Im Rahmen einer langen und hitzigen Diskussion verdeutlicht A dem B die aktuelle finanzielle Misere des Betriebs und das dringende Bedürfnis einschneidender Einsparungen. Am Ende kommt man noch an Ort und Stelle darin überein, dass gegen eine Abfindung ein Aufhebungsvertrag über das Arbeitsverhältnis des B geschlossen wird. Zuhause besinnt sich B eines besseren.

Steht ihm ein Widerrufsrecht zu ?



Lösung


B könnte sich von dem zwischen ihm und A geschlossenen arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag durch die Ausübung eines Widerrufsrechts gem. § 355 Abs. 1 BGB lösen, wenn ihm ein solches in der vorliegenden Situation gesetzlich eingeräumt wäre.

I. Zunächst ist vorauszusetzen, dass der Aufhebungsvertrag wirksam zustande gekommen ist.

II. Ein Widerrufsrecht i.s.d. § 355 Abs. 1 BGB käme hier aus § 312 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn sich die von A und B getroffene Vereinbarung nach ihren Begleitumständen als Haustürgeschäft einordnen ließe. Ein solches könnte sich aus § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB ergeben.

1. Dazu müsste es sich zunächst überhaupt um einen Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer handeln. A hat das Rechtsgeschäft im Zusammenhang mit seiner Eigenschaft als Gewerbetreibender abgeschlossen und ist daher als Unternehmer i.S.d. § 14 BGB aufgetreten. Weiterhin handelte es sich zwar auch für B um einen in im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit geschlossenen Vertrag.Allerdings geht B als Arbeitnehmer einer unselbstständigen beruflichen Tätigkeit nach,die seinem Verbraucherstatus nach § 13 BGB auch hinsichtlich des konkreten arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages nicht entgegensteht.

2. Zudem setzt § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 voraus, dass dem Vertragsschluss mündliche Verhandlungen am Arbeitsplatz des Verbrauchers vorangegangen sind, aufgrund derer er zu dem Rechtsgeschäft bestimmt wurde. Der Vereinbarung des Aufhebungsvertrages gingen hier mündliche Verhandlungen zwischen A und B voraus, die auch am Arbeitsplatz des B stattgefunden haben. Insoweit wären die für ein Haustürgeschäft nach § 312 Abs.1 BGB erforderlichen Umstände nach dem Gesetzeswortlaut somit gegeben.

3. Klärungsbedürftig erscheint allerdings, ob diese Verbraucherrechtsbestimmungen grundsätzlich unter systematischen und teleologischen Gesichtspunkten auf derartige Verträge übertragen werden können. Hinsichtlich der Gesetzessystematik ist festzustellen, dass Haustürgeschäfte i.S.d. § 312 BGB im Untertitel "Besondere Vertriebsformen" geregelt sind. Charakteristisch für die dort aufgeführten Fallgruppen ist der Umstand, dass der Verbraucher regelmäßig Empfänger von Dienstleistungen und Waren sein muss. Eine Parallele zu Arbeitsverträgen oder arbeitsrechtlichen Beendigungsvereinbarungen ist von daher kaum zu ziehen. Darüber hinaus sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der deutsche Gesetzgeber inhaltlich über die Verbraucherschutzrichtlinie, deren Umsetzung der Untertitel 2 dient, hinausgehen wollte. Diese erfasst jedoch nur solche Verbindlichkeiten, die ein Verbraucher im Rahmen eines Haustürgeschäftes gegenüber einem Gewerbetreibenden als Gegenleistung für eine Ware oder Dienstleistung eingeht. Systematisch lässt sich dieses Ergebnis weiterhin auf einen Umkehrschluss aus § 310 Abs. 4 S. 2 BGB stützen, der eine entsprechende Anwendung des Abschnitts über AGBs gerade ausdrücklich anordnet. Zudem würde ein unbefristetes Widerrufsrecht, das sich ggf. aus § 355 Abs. 3 S. 3 BGB ableitet, zu dem allgemeinen Beschleunigungsinteresse arbeitsrechtlicher Beendigungsstreitigkeiten in Widerspruch stehen, das z.B. in §§ 4, 7, KSchG oder § 17 TzBfG seinen Ausdruck findet.

Zweifelhaft ist auch, ob bei arbeitsrechtlichen Vereinbarungen eine den Haustürgeschäften vergleichbare Interessenlage besteht. Sinn und Zweck des Verbraucherschutzes ist es in dieser Hinsicht, den Verbraucher vor überstürzten Entscheidungen zu bewahren, die aufgrund des Überraschungsmoments sowie seines zeitweiligen Informationsdefizits getroffen werden könnten. Man könnte zwar erwägen, der Arbeitnehmer (als Verbraucher) habe beim Abschluss arbeitsrechtlicher und damit existenziell wichtiger Verträge ein erheblich höheres Schutzbedürfnis. Daher müsse es erst recht zulässig sein, ihn dabei den Schutzvorschriften zugunsten weitaus weniger bedeutender (Konsum-) Verträge zu unterstellen, wenn und soweit auch hier seine Bedenkzeit vergleichbar verkürzt wird. Allerdings fehlt es bereits an der spezifischen, für den Verbraucherschutz erforderlichen Überrumpelungsgefahr. Der Arbeitsplatz ist nämlich gerade der typische Ort dafür, Fragen und Probleme aus dem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erläutern und ggf. auch rechtsgeschäftlich zu regeln. Der Arbeitgeber kann und muss dementsprechend billigerweise mit der Möglichkeit derartiger Verhandlungen bzw. Vereinbarungen an seinem Arbeitsplatz (jederzeit) rechnen.
Eine punktuelle Übertragung des Verbraucherschutzes bei Haustürgeschäften auf arbeitsrechtliche Verträge ist daher auch teleologisch nicht geboten. Nach alledem lassen sich die Widerrufsvorschriften der §§ 355 Abs. 1, 312 Abs. 1 S.1 Nr. 1 nicht auf die vorliegende Situation übertragen. A steht gegenüber B kein Widerrufsrecht hinsichtlich des Aufhebungsvertrags zu.













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