WIPR III - Fallbearbeitung im Sachenrecht
Besonderheiten der sachenrechtlichen Fragestellungen für die systematische Fallbearbeitung
A. Sachenrecht vs. Schuldrecht
Sachenrechtliche Rechtsinstitute unterscheiden sich grundlegend von den schuldrechtlichen:
- dingliche Rechte wirken absolut, d. h. gegenüber jedermann (erga omnes); demgegenüber entfalten Schuldverhältnisse ihre Wirkung grundsätzlich nur relativ, d. h. gegenüber den in das Rechtsverhältnis einbezogenen Personen (inter partes); wird ein sachenrechtlicher Anspruch erhoben, so kann er gegenüber jedermann geltend gemacht werden;
- im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Wirkung dinglicher und schuldrechtlicher Verhältnisse stehen auch die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf die jeweiligen Rechtsinstitute; für dingliche Rechte gilt der Grundsatz eines begrenzten, gesetzlich fixierten Katalogs der möglichen Gestaltungen numerus clausus; im Schuldrecht gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit;
- auch im internationalen Rechtsverkehr ergeben sich Unterschiede; bei kollisionsrechtlicher Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung gilt im Schuldrecht das Recht desjenigen Landes, in dem der Schuldner der spezifischen Vertragsleistung seinen Sitz hat; für sachenrechtliche Fragen gilt das Recht desjenigen Landes, in dem sich die Sache befindet.
B. Historischer Prüfungsaufbau
Im Sachenrecht ist häufig vom historischen Prüfungsaufbau die Rede. Das heißt allerdings nicht, dass sachenrechtliche Ansprüche anders zu prüfen sind, als andere - hier gilt der allgemeine Prüfungsaufbau, bei dem die in der Struktur dargestellten Punkte stets zu beachten sind - damit der Anspruchsteller erfolgreich ist, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- der Anspruchsteller muss den Anspruch erworben haben,
- er darf ihn nicht verloren haben,
- der Anspruch muss durchsetzbar sein.
Dies ist ein Aufbau, der für jede Hauptnorm (also eine anspruchsbegründende Norm) [1] gilt.
[1] mehr über die Bedeutung der Hauptnorm für die juristische Lehre Medicus, Anspruch und Einrede (...)
Der historische Aufbau betrifft nur einen - auch wenn entscheidenden - Teil der Anspruchsprüfung und damit die (aus Sicht der jeweiligen Anspruchsgrundlage) Hilfsnormen des Sachenrechts über Entstehung, Übergang und Untergang von dinglichen Rechten, insbesondere des Eigentums. Die Frage, ob ein dingliches Recht besteht oder einem konkreten Rechtssubjekt zusteht, ist meist inzident als Voraussetzung einer sachenrechtlichen Anspruchsgrundlage zu prüfen und in den allgemeinen, oben erwähnten allgemeinen Anspruchsaufbau einzubinden.
Die Frage, wer Eigentümer oder dinglich Berechtigter im Rahmen eines beschränkten dinglichen Rechts ist, ist dann tatsächlich jeweils historisch zu prüfen, wofür sich in etwa folgende Prüfungsreihenfolge anbietet (am Beispiel des Eigentumsrechts):
- war der Anspruchsteller ursprünglich Eigentümer der Sache?
- wenn ja - hat er seine Eigentümerstellung später nicht verloren?
- falls nein - hat er das Eigentum später erworben?
Dabei sind die durchgeführten Transaktionen, die zum Verlust oder zum Erwerb von Eigentum führen könnten, stets historisch zu betrachten, so dass am Ende eine lückenlose Kette der chronologisch aufgetretenen Eigentümer der Sache nachvollzogen werden kann.
Baumstruktur zur Prüfung des Eigentumsrechts: http://kt-texte.de/taris/?path=0&root=942
C. Bedeutung des numerus clausus und anderer sachenrechtlicher Prinzipien
Der numerus clausus der Sachenrechte (Typenzwang) bedeutet, dass zum einen grundsätzlich nur diejenigen dinglichen Rechtsinstitute möglich sind, die gesetzlich ausdrücklich vorgesehen sind [2].
[2] Dabei ist allerdings zu beachten, dass die durch richterliche Rechtsfortbildung oder durch Gesetzesänderungen entstandenen oder aus gesetzlichen Regelungen abgeleiteten Rechtsinstitute den Typenzwang des Sachenrechts nicht verletzten - es handelt sich dann um keine Gestaltung durch die Parteien, die unzulässig wäre, sondern um allgemein geltendes Recht, das mitunter durch (richterliche) Rechtsfortbildung geschaffen wurde.
Es ist also nicht möglich, eine absolut geltende Rechtsposition an einer Sache zu begründen, die nicht bereits gesetzlich vorgesehen ist. Es ist allerdings nicht nur ein begrenzter Katalog von Sachenrechten zu beachten, sondern grundsätzlich auch die gesetzlich vorgesehene Ausgestaltung der einzelnen Sachenrechte zwingend.Eine Folge davon ist wiederum, dass auch die mit Sachenrechten verbundenen Rechtsgeschäfte jeweils nur innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen zulässig sind - so sind z. B. Eigentumserwerb und -übertragung nur gemäß den vorgesehenen Regeln möglich. Eine Vereinbarung, die nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, ist wirkungslos.
Erwerbstatbestände: http://kt-texte.de/taris/?path=0&root=943
Zu erwähnen sind an dieser Stelle ebenfalls die anderen Prinzipien des Sachenrechts wie:
- Grundsatz der Publizität, kraft dessen dingliche Rechte und ihre Übertragung im Rechtsverkehr erkennbar sein müssen (z. B. durch Besitz bei beweglichen Sachen);
- Grundsatz der Bestimmtheit, wonach sich dingliche Rechte (also auch Eigentum) nur auf bestimmte Gegenstände beziehen können;
- Grundsatz der Spezialität, der vorsieht, dass jede selbständige Sache Gegenstand abgegrenzten Eigentums ist; eine Sachgesamtheit kann demnach nach deutschem Sachenrecht nicht als solche betrachtet werden, sondern es müssen alle einzelnen Gegenstände im Hinblick auf ihren (sachen)rechtlichen Status einzeln analysiert werden.
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