Gesetzliches Haftungsmodell
Das Gesetz unterscheidet grundsätzlich zwischen der vertraglichen und der gesetzlichen Haftung.
Grundlage für die vertragliche Haftung ist – natürlich – ein Vertrag. Da sich die Vertragspartner füreinander entschieden haben, sieht das Gesetz einen strengeren Haftungsgrad vor. Die zentrale Haftungsnorm ist § 280 Abs. 1 BGB. Typische Fälle der vertraglichen Haftung sind die Verzögerung der vertraglich versprochenen Leistung oder die Schlechtleistung. Der besondere Vorteil der vertraglichen Haftung ist die Möglichkeit, reine Vermögensschäden ersetzt zu bekommen. Aufgrund der Vertragsfreiheit ist es den Parteien möglich – und dies wird vor allem in vernetzten Industrien erfolgen –, von dem strengen Haftungsgrad abzuweichen und zwischen ihnen eine angemessene Risikoverteilung vorzunehmen. Dadurch ist die vertragliche Haftung bei autonomen und selbstlernenden IT-Systemen voraussichtlich kein großes Problem.
Keine Abweichung ist dagegen von der gesetzlichen Haftung möglich. Diese sieht das Gesetz für Schadenszufügung zwischen nicht miteinander verbundenen Personen vor. Kern ist die Verletzung absoluter Schutzgüter (vor allem des Eigentums) durch menschliches Verhalten. Ersetzt werden allerdings nur die Schäden an den geschützten Rechtsgütern; da das Vermögen kein absolutes Rechtsgut ist, greift die Haftung hierfür nicht ein. Kernvorschrift der gesetzlichen Haftung ist § 823 Abs. 1 BGB. Sie sieht eine gesetzliche Haftung nur bei Verschulden aus. Allerdings gibt es bei der gesetzlichen Haftung eine weite Aufgliederung von speziellen Haftungstatbeständen, die teilweise auch eine verschuldensunabhängige Haftung (sog. Gefährdungshaftung) vorsehen.
Abbildung: Vertragliche und gesetzliche Haftung
Der Unterschied zwischen der grundsätzlichen Verschuldenshaftung und der Gefährdungshaftung liegt in folgender Überlegung: Im sozialen Verkehr kommt jede Person zwangsnotwendig in Kontakt mit den Rechtsgütern einer anderen Person. Der Möglichkeit einer Verletzung fremder Rechtsgüter ist daher jede Person ausgesetzt. Soweit hier jeder die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (s. § 276 Abs. 2 BGB) beim Umgang mit den fremden Rechtsgütern walten lässt, soll er keiner Haftung für Verletzungen ausgesetzt sein. Ihm ist daher nachzuweisen, dass er unsorgfältig (= fahrlässig) oder gar vorsätzlich gehandelt hat. In manchen Fällen wird zugunsten des Verletzten das Verschulden vermutet, so dass der Gegenbeweis (mangelndes Verschulden) vom Verletzer zu erbringen ist.
Soweit eine Person aber die Grenzen des normalen sozialen Verkehrs dadurch überschreitet, dass er (erlaubte) besondere Gefahren für die Allgemeinheit setzt, hat er immer das Risiko dafür zu tragen, dass sich die Gefahren auch realisieren und andere zu Schaden kommen. An dem konkreten Schadensfall muss ihn dabei kein Verschulden treffen. Die Verantwortlichkeit wird daher bei der Gefährdungshaftung vom eigentlichen Schadensereignis weg vorverlagert auf die Inbetriebnahme einer gefährlichen Einrichtung. Diese Gefährdungshaftung greift z.B. beim Tierhalter (§ 833 S. 1 BGB), beim KfZ-Halter (§ 7 StVG), beim Hersteller fehlerhafter Produkte (§ 1 ProdHaftG) und bei den Verantwortlichen für gefährliche Anlagen wie Eisenbahnen (§ 1 HaftpflichtG), Flugzeugen (§ 33 ff. LuftVG), Atomanlagen (§§ 25 ff. AtomEnergieG) oder industrieller Anlagen im Hinblick auf Wasserhaushalt und Umwelt (§22 WasserHG, § 1 UmweltHG).
Abbildung: Verschuldens- und Gefährdungshaftung
Eine spezielle Rechtsgrundlage für die Haftung des Betreibers eines selbstlernenden, autonomen und vernetzten IT-Systems existiert nicht. Dies ist bedauerlich, weil insbesondere aufgrund der Vernetzung in der Industrie 4.0 die Abgrenzung der Verantwortung zwischen den IT-Systemen und Maschinen komplex und schwer lösbar sein wird. Insofern bleibt derzeit nur eine Anwendung der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften einer Verschuldenshaftung, vor allem gem. § 823 Abs. 1 BGB. Allerdings lässt sich schon heute angesichts der Systemvorgaben des deutschen Haftungsrechts absehen, dass eine gesetzliche Lösung eher in Richtung einer Gefährdungshaftung gehen würde. In Betracht kommt bei fehlerhaften Produktserien aufgrund einer fehlerhaften Programmierung, Datenweitergabe o.ä. durch das IT-System aber schon derzeit eine Gefährdungshaftung gem. § 1 Abs. 1 ProdHaftG.
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Autor: Prof. Dr. Ulf Müller