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Internationaler Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht II


Fall 7 - Cassina



Cassina produziert Polstermöbel. Ihre Kollektion enthält Möbelstücke, die nach Entwürfen von Charles-Édouard Jeanneret, genannt Le Corbusier, gefertigt sind. Dazu gehören die Sessel und Sofas der Reihen LC 2 und LC 3 sowie das Tischsystem LC 10-P. Cassina hat einen Lizenzvertrag über die Herstellung und den Vertrieb dieser Möbel geschlossen. Peek & Cloppenburg vertreibt bundesweit in Filialen Damen- und Herrenoberbekleidung. In einem ihrer Geschäfte hat sie mit Sesseln und Sofas der Reihen LC 2 und LC 3 und einem Couchtisch aus dem Tischsystem LC 10-P ausgestattete Ruhezonen für Kunden eingerichtet. In einem Schaufenster ihrer Niederlassung hat Peek & Cloppenburg einen Sessel der Reihe LC 2 zu Dekorationszwecken ausgestellt. Diese Möbel stammen nicht von Cassina, sondern wurden ohne deren Zustimmung von einem Unternehmen in Bologna (Italien) hergestellt. Diese Möbel unterlagen zum damaligen Zeitpunkt in dem Mitgliedstaat, in dem sie hergestellt wurden, keinem urheberrechtlichen Schutz. Da Cassina der Auffassung war, dass Peek & Cloppenburg dadurch in ihre Verbreitungsrechte gem. § 17 UrhG eingegriffen habe, nahm sie Peek & Cloppenburg vor dem LG Frankfurt a.M. auf Unterlassung und Auskunftserteilung insbesondere über den Vertriebsweg der Möbel in Anspruch.

Zu Recht?



Lösung


Cassina kann von Peek & Cloppenburg gem. § 97 Abs. 1, Abs. 2 UrhG Unterlassung und Schadensersatz verlangen, wenn Peek & Cloppenburg in das Verbreitungsrecht von Cassina gem. § 17 UrhG eingegriffen hat.

Entscheidend hierfür ist die Frage, ob der Begriff der Verbreitung des Originals eines Werks oder eines Vervielfältigungsstücks davon an die Öffentlichkeit auf andere Weise als durch Verkauf i.S. von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG dahin auszulegen ist, dass er zum einen erfasst, wenn der Öffentlichkeit der Gebrauch von Werkstücken eines urheberrechtlich geschützten Werks ermöglicht wird, ohne dass
mit der Gebrauchsüberlassung eine Übertragung des Eigentums verbunden ist, und zum anderen, wenn diese Werkstücke öffentlich gezeigt werden, ohne dass die Möglichkeit zur Benutzung der Werkstücke eingeräumt wird.

Weder Art. 4 Abs. 1 noch irgendeine andere Bestimmung der Richtlinie 2001/29/EG präzisiert hinreichend den Begriff der Verbreitung eines urheberrechtlich geschützten Werks an die Öffentlichkeit. Dagegen wird der Begriff im WCT-Vertrag und im WPPTVertrag klarer definiert. Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts sind nach Möglichkeit im Licht des Völkerrechts auszulegen, insbesondere wenn mit ihnen ein
von der Gemeinschaft geschlossener völkerrechtlicher Vertrag durchgeführt werden soll. Die Richtlinie 2001/29/EG dient dazu, den Verpflichtungen der Gemeinschaft aus dem WCT-Vertrag und dem WPPT-Vertrag auf Gemeinschaftsebene nachzukommen. Daher ist der Begriff der Verbreitung in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nach Möglichkeit im Licht der in diesen Verträgen enthaltenen Definitionen
auszulegen.

In Art. 6 Abs. 1 des WCT-Vertrags wird der Begriff des Verbreitungsrechts der Urheber von Werken der Literatur und Kunst definiert als das ausschließliche Recht, zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder „sonstige Eigentumsübertragung” der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus enthalten die Art. 8 und 12 des WPPT-Vertrags für das Verbreitungsrecht der ausübenden Künstler und der Hersteller von Tonträgern dieselbe Definition. Somit liegt nach den einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen eine Verbreitung nur bei einer Eigentumsübertragung vor.

Da Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG in diesem Zusammenhang von einer Verbreitung „durch Verkauf oder auf sonstige Weise” spricht, ist dieser Begriff im Einklang mit den genannten Verträgen als eine Form der Verbreitung, die mit einer Eigentumsübertragung verbunden sein muss, auszulegen.

Aus dem Vorstehenden folgt, dass unter den Begriff der Verbreitung des Originals eines Werks oder eines Vervielfältigungsstücks davon an die Öffentlichkeit auf andere Weise als durch Verkauf i.S. von Art. 4 Abs.1 der Richtlinie 2001/29/EG nur Handlungen fallen, die mit einer Übertragung des Eigentums an diesem Gegenstand verbunden sind. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist das bei den im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden Handlungen jedoch offensichtlich nicht der Fall.

Peek & Cloppenburg hat damit durch die Ausstellung der Möbelstücke nicht in das Verbreitungsrecht von Cassina nach § 17 UrhG eingegriffen. Cassina kann nicht Unterlassung und Schadensersatz verlangen.

(vgl. EuGH, U. v. 17.4.2008 – Rs. C-456/06, abgedruckt in GRUR 2008, 604)





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