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Informationsrecht


Fall 2 - Meinungsfreiheit


A ist ein rechtsfähiger Verein. Zu seinen satzungsgemäßen Zwecken gehört insbesondere
die Sammlung und Verbreitung von Informationen über Schäden an Menschen und der Umwelt sowie die Gefährdung von Arbeitsplätzen, die durch den Bayer-Konzern, eines seiner Tochterunternehmen oder Beteiligungsgesellschaften verursacht sein sollen oder verursacht sind;
Die Organisation beabsichtigt einen Dialog zwischen Verursacher, Betroffenen und Interessierten zur Vermeidung bzw. Behebung dieser Schäden.
A ist Herausgeber eines Flugblatts, das im Februar 1987 als “Aufruf” veröffentlicht wurde und die Aufforderung “unterstützt die Kritischen Bayer-Aktionäre” enthielt. Bei den “Kritischen Bayer-Aktionären” handelt es sich um eine Arbeitsgemeinschaft des A. Unterhalb der Aufforderung ist ein Bild des Bayer-Werks in Leverkusen sichtbar. Dann folgt ein engzeiliger Text, der sich auf der Rückseite des Flugblatts fortsetzt. In dem Text wird eingangs die wirtschaftliche Bedeutung des Bayer-Konzerns geschildert. Anschließend heißt es, Bayer AG behaupte, dass sein Wirken dem Umweltschutz diene und der menschlichen Gesundheit verpflichtet sei. Das Gegenteil sei aber der Fall. Diese Aussage wird sodann in sieben kurzen, jeweils mit einer Überschrift versehenen Absätzen erläutert. Der siebte dieser Absätze hat folgenden Wortlaut:
“Gefahren für die Demokratie. In seiner grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten verletzt Bayer demokratische Prinzipien, Menschenrechte und politische Fairness. Missliebige Kritiker werden bespitzelt und unter Druck gesetzt, rechte und willfährige Politiker werden unterstützt und finanziert."
Die Bayer AG hat A hinsichtlich der gesamten mit “Gefahren für die Demokratie” überschriebenen Passage auf Unterlassung in Anspruch genommen und bezüglich des zweiten Satzes außerdem Widerruf der Behauptung als unwahr verlangt. Das LG hat der Klage auf Unterlassung und Widerruf hinsichtlich des zweiten Satzes der Textpassage (Bespitzelung und Unter-Druck-Setzen missliebiger Kritiker, Unterstützung und Finanzierung willfähriger Politiker) stattgegeben.

Ist das Urteil des LG mit Art. 5 GG vereinbar?

Lösungshinweise


1. Verfassungsrechtlicher Maßstab ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

Während die in einem Presseerzeugnis enthaltene Meinungsäußerung bereits durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt ist, geht es bei der besonderen Garantie der Pressefreiheit um die einzelne Meinungsäußerungen übersteigende Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung, die Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisten will (vgl. BVerfGE 20, 162 [175 f.]). Daher bezieht sich der Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG vor allem auf die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit die Presse ihre Aufgabe im Kommunikationsprozeß erfüllen kann. Der Schutzbereich der Pressefreiheit ist daher berührt, wenn es BVerfGE 85, 1 (12)BVerfGE 85, 1 (13)um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktion, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt geht. Handelt es sich dagegen um die Frage, ob eine bestimmte Äußerung erlaubt war oder nicht, insbesondere ob ein Dritter eine für ihn nachteilige Äußerung hinzunehmen hat, ist ungeachtet des Verbreitungsmediums Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG einschlägig. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht auch bisher schon die Zulässigkeit von Meinungsäußerungen in Büchern oder Flugblättern, also Publikationen, die nach allgemeiner Auffassung dem Pressebegriff unterfallen, am Grundrecht der Meinungsfreiheit gemessen (vgl. BVerfGE 43, 130 [137]; 71, 162 [179 ff.]).

2. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten.
Dabei sind Meinungen im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt (vgl. BVerfGE 61, 1 [9]). Sie genießen den Schutz des Grundrechts, BVerfGE 85, 1 (14)BVerfGE 85, 1 (15)ohne daß es darauf ankäme, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, begründet oder grundlos, emotional oder rational ist (vgl. BVerfGE 33, 1 [14]; 61, 1 [7]). Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Insoweit kann die Frage nur sein, ob und wie sich aus Art. 5 Abs. 2 GG im Einzelfall Grenzen ergeben.

Die Mitteilung einer Tatsache ist dagegen im strengen Sinne keine Äußerung einer Meinung, weil ihr die für eine Meinungsäußerung charakteristischen Merkmale fehlen. Tatsachenbehauptungen fallen deswegen aber nicht von vornherein aus dem Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG heraus. Sie sind vielmehr durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind, welche Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet (vgl. BVerfGE 54, 208 [219]; 61, 1 [8]). Daher endet der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können. Unter diesem Gesichtspunkt ist unrichtige Information kein schützenswertes Gut. Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen davon aus, daß die erwiesen oder bewußt unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfaßt wird (vgl. BVerfGE 61, 1 [8]). Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, daß darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet (vgl. BVerfGE 54, 208 [219 f.]; 61, 1 [8]).

Das Bundesverfassungsgericht geht jedoch davon aus, daß scharfe und überspitzte Formulierungen für sich genommen eine schädigende Äußerung noch nicht unzulässig machen. Vielmehr spricht gerade, wenn es um Beiträge zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage geht, die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (vgl. BVerfGE 7, 198 [212]). Das ist eine Folge der fundamentalen Bedeutung, die die Meinungsfreiheit für die menschliche Person und die demokratische Ordnung hat (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 208). Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, hat eine solche Äußerung als Schmähung regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten (vgl. BVerfGE 82, 272 [283 f.]).

Für Tatsachenbehauptungen gilt dagegen der Satz, daß die Vermutung zugunsten der freien Rede spreche, nur eingeschränkt. Soweit Tatsachenbehauptungen nicht von vornherein außerhalb des Schutzes von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bleiben, sind sie EinBVerfGE 85, 1 (16)BVerfGE 85, 1 (17)schränkungen im Interesse anderer Rechtsgüter leichter zugänglich als Meinungsäußerungen (vgl. BVerfGE 61, 1 [8]). Das gilt auch, wenn sich wertende und tatsächliche Elemente in einer Äußerung so vermengen, daß diese insgesamt als Werturteil anzusehen ist. Die Richtigkeit der tatsächlichen Bestandteile kann dann im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen. Enthält die Meinungsäußerung erwiesen falsche oder bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen, so wird regelmäßig das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter dem durch das grundrechtsbeschränkende Gesetz geschützten Rechtsgut zurücktreten. Auch in diesem Fall ist freilich zu beachten, daß an die Wahrheitspflicht im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden dürfen, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so auf die Meinungsfreiheit insgesamt einschnürend wirken können (vgl. BVerfGE 54, 208 [219 f.]; 61, 1 [8]).

3. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist verkannt, wenn die gesamte Äußerung oder ihr letzter Satz als Tatsachenbehauptung angesehen werden.



Siehe hierzu auch folgende Entscheidung: 1 BvR 1555/88 vom 9. Oktober 1991
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