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Informationsrecht


Fall 9 - Mediengesetz


Der Landtag von Baden-Württemberg hat das Landesmediengesetz beschlossen, das am 1. Januar 1986 in Kraft getreten. Das Gesetz beschränkt u. a. in § 13 die Veranstaltung und Verbreitung regionaler oder lokaler Rundfunkprogramme durch die Landesrundfunkanstalten auf Programme, welche bereits am 31. Dezember 1984 bestanden haben (§ 13 Abs. 2 Satz 2). Dadurch ist der Südwestfunk gehindert, sein erst nach diesem Zeitpunkt eingeführtes, montags bis freitags von 5.30 Uhr bis 8.00 Uhr veranstaltetes Frühprogramm für den Bereich des Nachbarschaftsverbandes Stuttgart weiterhin auszustrahlen.

Ist § 13 Landesmediengesetz mit dem Grundgesetz vereinbar?

Lösungshinweise


§ 13 Absatz 2 Satz 1 des Landesmediengesetzes Baden- Württemberg (LMedienG) vom 16. Dezember 1985 ist mit Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit er die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen der Landesrundfunkanstalten ausschließt, die nicht für ihren gesamten Sendebereich im Land veranstaltet und verbreitet werden.
§ 13 Absatz 2 Satz 2 des Landesmediengesetzes ist mit Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, soweit danach die Veranstaltung und Verbreitung von anderen Rundfunkprogrammen der Landesrundfunkanstalten untersagt ist, die nicht schon am 31. Dezember 1984 bestanden haben.

1. Maßgebend für die verfassungsrechtliche Beurteilung ist die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit des Rundfunks.
Die Rundfunkfreiheit dient der gleichen Aufgabe wie alle Garantien des Art. 5 Abs. 1 GG: der Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung, in einem umfassenden, nicht auf bloße Berichterstattung oder die Vermittlung politischer Meinungen beschränkten Sinn. Demgemäß ist Rundfunkfreiheit primär eine der Freiheit der Meinungsbildung in ihren subjektiv- und objektivrechtlichen Elementen dienende Freiheit: Sie bildet unter den Bedingungen der modernen Massenkommunikation eine notwendige Ergänzung und Verstärkung dieser Freiheit; sie dient der Aufgabe, freie und umfassende Meinungsbildung durch den Rundfunk zu gewährleisten.

2. Dies verlangt zunächst die Freiheit des Rundfunks von staatlicher Beherrschung und Einflußnahme. Darüber hinaus erfordert die Gewährleistung eine positive Ordnung, welche sicherstellt, daß die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet und daß auf diese Weise umfassende Information geboten wird. Um das zu erreichen, sind materielle, organisatorische und Verfahrensregelungen notwendig, die an der Aufgabe der Rundfunkfreiheit orientiert und deshalb geeignet sind zu bewirken, was Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisten soll.

3. In dieser Ordnung ist die unerläßliche "Grundversorgung" Sache der öffentlich-rechtlichen Anstalten: Im Zeichen der Erweiterung des Rundfunkangebotes um privat veranstaltete und europäische Programme kommt es darauf an zu gewährleisten, daß der klassische Auftrag des Rundfunks erfüllt wird, der nicht nur seine Rolle für die Meinungs- und politische Willensbildung, Unterhaltung und über laufende Berichterstattung hinausgehende Information, sondern auch seine kulturelle Verantwortung umfaßt. Die Aufgaben, die ihm insoweit gestellt sind, machen es notwendig, die technischen, organisatorischen, personellen und finanziellen Vorbedingungen ihrer Erfüllung sicherzustellen.
Solange und soweit die Wahrnehmung dieser Aufgaben jedenfalls durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wirksam sichergestellt ist, erscheint es gerechtfertigt, an die Breite des Programmangebots und die Sicherung gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk nicht gleich hohe Anforderungen zu stellen wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Vorkehrungen, welche der Gesetzgeber zu treffen hat, müssen jedoch bestimmt und geeignet sein, ein möglichst hohes Maß gleichgewichtiger Vielfalt im privaten Rundfunk zu erreichen und zu sichern.

4. Soweit die Regelung des § 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 LMedienG die Beschwerdeführer von der Veranstaltung regionaler und lokaler Rundfunkprogramme ausschließt, verstößt sie gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, daß das Landesmediengesetz im regionalen und lokalen Bereich keine Grundversorgung durch die Landesrundfunkanstalten vorsieht.

5. Der durch § 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 LMedienG normierte Ausschluß der Landesrundfunkanstalten von der Veranstaltung regionaler und lokaler Rundfunkprogramme, die nicht schon am 31. Dezember 1984 bestanden haben, ist jedoch unter einem anderen Aspekt mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar: Er verstößt gegen das in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Grundprinzip freier Meinungsbildung, der die Rundfunkfreiheit zu dienen hat. In der dualen Ordnung des Rundfunks kann die Ergänzung des bisherigen Angebots der öffentlich-rechtlichen Anstalten um Programme privater Anbieter nur dann einen Sinn haben, wenn das Hinzutreten weiterer Veranstalter und Programme die Rundfunkversorgung insgesamt verbessert. Insoweit tragen die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Bereicherung und Vielfalt des Programmangebotes bei; sie ermöglichen und erweitern publizistische Konkurrenz als Lebenselement der Meinungsfreiheit. Sie können bei Knappheit von Frequenzen oder Kanälen zwar keinen Vorrang, wohl aber gleichen Rang beanspruchen wie die Programme der übrigen Rundfunkveranstalter, und wie für diese muß für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Möglichkeit bestehen, solche Programme zu finanzieren.
Für den Rundfunk im regionalen und lokalen Bereich ist der dargelegte Grundsatz von besonderer Bedeutung. In diesem Bereich ist die Zahl der Anbieter von Beiträgen in der Presse oder im Rundfunk, die sich auf die Region oder den Ort beziehen, erheblich niedriger als im überregionalen Bereich. Hiergegen läßt sich nicht einwenden, regionale und lokale Programme könnten ohnehin nur eine gleiche Breite des Programmangebots und eine gleiche Grundstruktur aufweisen, so daß ein öffentlich-rechtliches Programm den privaten Programmen nichts Wesentliches hinzufügen könne. Selbst wenn Breite und Struktur der Programme im ganzen übereinstimmen, können sich doch die Art der Darstellung und die Behandlung der Themen wesentlich voneinander unterscheiden.
Der Konkurrenz öffentlich-rechtlicher Rundfunkprogramme kann deshalb Bedeutung für die regionale und lokale Meinungsbildung nicht abgesprochen werden. Wenn § 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 LMedienG diese Konkurrenz unterbindet und regionalen und lokalen Rundfunk privaten Anbietern vorbehält, so verkürzt er insoweit die Rundfunkfreiheit.

6. Eine solche Verkürzung wird durch die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Aufgabe des Gesetzgebers, Rundfunkfreiheit auszugestalten, nicht gedeckt. Die Ausgestaltung darf allein der Sicherung der Rundfunkfreiheit dienen; die Aufgabe, die dem Gesetzgeber insoweit gestellt ist, befreit ihn nicht von seiner Bindung an Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Seine Freiheit zu organisatorischer Gestaltung, auf die sich namentlich die Landesregierung beruft, findet an dieser Bindung ebenso ihre Schranke wie seine Befugnis, selbst geschaffene Regelungen wieder aufzuheben oder zu ändern.

7. Der für das Verbot öffentlich-rechtlicher Programme im regionalen und lokalen Rundfunk maßgebliche Grund erfüllt diese Voraussetzung nicht. Er besteht nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum Landesmediengesetz Baden-Württemberg allein im Schutz privater Anbieter vor der Konkurrenz der Landesrundfunkanstalten: Es bestehe die Gefahr, daß diese die gerade hier noch bestehenden Marktchancen späterer privater Rundfunkveranstalter erschwerten. Deshalb sollten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorerst nicht weitergehend als bisher tätig werden, damit private Dienste aufgebaut werden könnten, ohne sofort einer Konkurrenz der angebotsstarken großen Anstalten ausgesetzt zu sein.

8. Diese wirtschaftlichen Gründe rechtfertigen indessen kein Verbot von Beiträgen zur regionalen und lokalen Meinungsbildung durch den Rundfunk. Marktchancen können eine Frage wirtschaftlicher, nicht aber der Meinungsfreiheit sein. Was diese betrifft, so bedeutet es selbst für die Begünstigten kein Mehr an eigener Meinungsfreiheit, wenn anderen Meinungsäußerungen verboten werden. Auch davon abgesehen ist nicht ersichtlich, inwiefern das Verbot der Aufgabe dienen könnte, die Vielfalt der bestehenden Meinungen in möglichster Breite und Vollständigkeit zum Ausdruck zu bringen. Die Begünstigten werden vielmehr auch dann gegen Konkurrenten geschützt, wenn diese vielfältigere und bessere Programme anzubieten haben als sie. Eine solche Unterbindung freien publizistischen Wettbewerbs und geistiger Auseinandersetzung ist mit dem Grundgedanken der Gewährleistung des Art. 5 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Entweder die privaten Veranstalter stellen sich dem publizistischen Wettbewerb, indem sie sich bemühen, ihrerseits vielseitige und für den Hörer oder Zuschauer interessante Programme anzubieten; dann erfüllen sie ihre ergänzende und bereichernde Funktion im dualen Rundfunksystem, und es bedarf keines Verbots öffentlich-rechtlicher Programme. Oder die privaten Veranstalter sind zu keinem Angebot imstande, das gegen ein konkurrierendes öffentlichrechtliches Programm zu bestehen vermag; dann kann auch ein gesetzliches Verbot solcher konkurrierender Programme der Freiheit der Meinungsbildung und insbesondere der Rundfunkfreiheit nicht dienen. Erläßt der Gesetzgeber gleichwohl ein solches Verbot, so liegt darin jedenfalls keine zulässige Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit.

9. § 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 LMedienG normiert keine nach Art. 5 Abs. 2 GG zulässige Schranke der Rundfunkfreiheit. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann die Vorschrift daher keinen Bestand haben.



Siehe hierzu folgende Entscheidung: 1 BvR 147, 478/86 vom 24. März 1987


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