A wurde 1988 erstmals Zeuge eines großen Nato-Manövers und zeigte sich darüber tief bestürzt. In unmittelbarer Nähe des Ortes, in dem er sich besuchsweise aufhielt, waren amerikanische Verbände in Stellung gegangen. Er beschrieb daraufhin ein Bettuch mit den Worten “A soldier is a murder” (wörtlich übersetzt: Ein Soldat ist ein Mord, nicht: a murderer = Mörder) und befestigte es an einer Straßenkreuzung am Ortsrand. Der vorüberfahrende Bundeswehroffizier Z stellte Strafantrag. A wurde wegen Beleidigung dieses Offiziers bestraft.
Ist das Urteil vereinbar mit Art. 5 GG? |
I.
1. Art. 5 Abs.1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet (vgl. zuletzt
BVerfGE 90, 241 [247 ff.]). Sie enthalten sein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen. Auf diese persönliche Stellungnahme bezieht sich der Grundrechtsschutz. Er besteht deswegen unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird (vgl.
BVerfGE 30, 336 [347]; 33, 1 [14]; 61, 1 [7]). Der Schutz bezieht sich nicht nur auf den Inhalt der Äußerung, sondern auch auf ihre Form. Daß eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl.
BVerfGE 54, 129 [138 f.]; 61, 1 [7 f.]). Geschützt ist ferner die Wahl des Ortes und der Zeit einer Äußerung. Der sich Äußernde hat nicht nur das Recht, überhaupt seine Meinung kundzutun. Er darf dafür auch diejenigen Umstände wählen, von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungskundgabe verspricht.
Bei den betroffenen Äußerungen handelt es sich um Meinungen in diesem Sinn, die stets vom Schutz des Grundrechts umfaßt sind. Der Betroffene hat mit seiner Äußerung, Soldaten seien Mörder oder potentielle Mörder, nicht von bestimmten Soldaten behauptet, diese hätten in der Vergangenheit einen Mord beganen. Er hat hat vielmehr ein Urteil über Soldaten und über den Soldatenberuf zum Ausdruck gebracht, der unter Umständen zum Töten anderer Menschen zwingt.
2. In der Bestrafung wegen dieser Äußerungen liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit.
3. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Nach
Art. 5 Abs. 2 GG findet es seine Schranken vielmehr an den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehört auch § 185
StGB, der den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegt. Um die Verurteilung tragen zu können, muß die Vorschrift jedoch ihrerseits mit dem Grundgesetz übereinstimmen und überdies in verfassungsmäßiger Weise ausgelegt und angewandt werden (vgl.
BVerfGE 7, 198 [208 f.]; stRspr).
II.
Gegen § 185
StGB bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
1. Die Strafbestimmung ist mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar.
a) Die Vorschrift schützt in erster Linie die persönliche Ehre. Im Rahmen des aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts genießt diese selber grundrechtlichen Schutz (vgl.
BVerfGE 54, 148 [153 f.]). Sie kann vor allem durch Meinungsäußerungen verletzt werden. Deswegen ist sie in
Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich als rechtfertigender Grund für Einschränkungen der Meinungsfreiheit anerkannt.
b) Wie § 194 Abs. 3 Satz 2
StGB zu entnehmen ist, bezieht sich der Schutz von § 185
StGB allerdings nicht nur auf Personen, sondern auch auf Behörden oder sonstige Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Insoweit läßt sich die Norm nicht aus dem Gesichtspunkt der persönlichen Ehre rechtfertigen, denn staatliche Einrichtungen haben weder eine "persönliche" Ehre noch sind sie Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Als Schutznorm zugunsten staatlicher Einrichtungen zählt § 185
StGB jedoch zu den allgemeinen Gesetzen im Sinn von
Art. 5 Abs. 2 GG. Darunter sind alle Gesetze zu verstehen, die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen (vgl.
BVerfGE 7, 198 [209]; stRspr). Das ist bei § 185
StGB der Fall.
2. § 185
StGB ist auch nicht zu unbestimmt und verstößt damit nicht gegen
Art. 103 Abs. 2 GG.
III.
Auslegung und Anwendung der Strafgesetze sind Sache der Strafgerichte. Handelt es sich um Gesetze, die die Meinungsfreiheit beschränken, ist dabei aber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das eingeschränkte Grundrecht zu beachten, damit dessen wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl.
BVerfGE 7, 198 [208 f.]).
1. Auf der Stufe der Normauslegung erfordert Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eine im Rahmen der Tatbestandsmerkmale der betreffenden Gesetze vorzunehmende Abwägung zwischen der Bedeutung einerseits der Meinungsfreiheit und andererseits des Rechtsguts, in dessen Interesse sie eingeschränkt worden ist. Damit ist eine Interpretation von § 185
StGB unvereinbar, die den Begriff der Beleidigung so weit ausdehnt, daß er die Erfordernisse des Ehren- oder Institutionenschutzes überschreitet (vgl.
BVerfGE 71, 162 [181]) oder für die Berücksichtigung der Meinungsfreiheit keinen Raum mehr läßt (vgl.
BVerfGE 43, 130 [139]). Desgleichen verbietet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eine Auslegung der §§ 185 ff.
StGB, von der ein abschreckender Effekt auf den Gebrauch des Grundrechts ausgeht, der dazu führt, daß aus Furcht vor Sanktionen auch zulässige Kritik unterbleibt (vgl.
BVerfGE 43, 130 [136]; stRspr).
2. Auf der Stufe der Anwendung von §§ 185 ff.
StGB im Einzelfall verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite droht, bei der alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen sind (vgl.
BVerfGE 7, 198 [212]; stRspr). Das Ergebnis dieser Abwägung läßt sich wegen ihres Fallbezugs nicht generell und abstrakt vorwegnehmen. Doch ist in der Rechtsprechung eine Reihe von Gesichtspunkten entwickelt worden, die Kriterien für die konkrete Abwägung vorgeben.
So muß die Meinungsfreiheit stets zurücktreten, wenn die Äußerung die Menschenwürde eines anderen antastet. Desgleichen tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück (vgl.
BVerfGE 61, 1 [12]). Läßt sich die Äußerung weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so kommt es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an. Dabei spielt es aber, anders als im Fall von Tatsachenbehauptungen, grundsätzlich keine Rolle, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil "richtig" ist (vgl.
BVerfGE 66, 116 [151]; 68, 226 [232]). Dagegen fällt ins Gewicht, ob von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird. Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede (vgl.
BVerfGE 7,
BVerfGE 93, 266 (294)
BVerfGE 93, 266 (295)198 [208, 212]; 61, 1 [11]). Abweichungen davon bedürfen folglich einer Begründung, die der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie, in der die Vermutungsregel wurzelt, Rechnung trägt.
IV.
Die Anforderungen, die Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG an die Sinnermittlung von Äußerungen richtet, unterliegen der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht, und zwar besonders dann, wenn es sich wie bei Strafurteilen, um einen intensiven Grundrechtseingriff handelt. Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht voll gerecht.
Es begegnet allerdings keinen Bedenken, daß die Gerichte in der Bezeichnung eines Soldaten als Mörder einen schwerwiegenden Angriff auf dessen Ehre gesehen haben. Selbst wenn mit dieser Bezeichnung nicht der Vorwurf einhergeht, der Betroffene habe tatsächlich Morde begangen, so bleibt doch die wertende Gleichstellung mit einem Mörder eine tiefe Kränkung. Diese wiegt besonders schwer, wenn der Ausdruck im strafrechtlichen Sinn unter Einschluß der subjektiven Mordmerkmale des § 211
StGB gebraucht wird. Sie besteht aber auch dann, wenn er umgangssprachlich verwendet wird, denn auch in diesem Fall bezeichnet er eine Person, die in einer sittlich nicht zu rechtfertigenden Weise zur Vernichtung menschlichen Lebens beiträgt oder bereit ist. Darin liegt ebenfalls ein Unwerturteil, das geeignet ist, den Betroffenen im Ansehen seiner Umwelt empfindlich herabzusetzen. Das gilt insbesondere, wenn sich der Vorwurf nicht auf ein vereinzeltes Verhalten, sondern auf die gesamte berufliche Tätigkeit bezieht.
Die Gerichte haben sich aber nicht hinreichend vergewissert, daß die mit Strafe belegten Äußerungen diesen Sinn auch wirklich hatten. Sie mußten alternativen Deutungen nachgehen, soweit diese strafrechtlich milder zu beurteilen waren. Andernfalls besteht die Gefahr, daß der sich Äußernde für eine Äußerung bestraft wird, die die angenommene Kränkung nicht enthält. Den Zugang zu solchen Alternativen dürfen sich die Gerichte nicht durch eine isolierte Betrachtung des inkriminierten Teils der Äußerung verschließen. Vielmehr muß der Kontext, soweit er für die Adressaten der Äußerung wahrnehmbar war, berücksichtigt werden. Das gilt zuerst für den sprachlichen Zusammenhang, in dem die umstrittene Äußerung steht, kann aber auch außertextliche Umstände einschließen.
In den vorliegenden Fällen bestanden Alternativen zu der von den Gerichten angenommenen Deutung, die Soldaten der Bundeswehr würden Mördern im strafrechtlichen oder im umgangssprachlichen Sinn gleichgestellt; damit werde zum Ausdruck gebracht, sie seien zu besonders niederträchtigem Verhalten gegenüber anderen Menschen willens und fähig.