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Fallbeispiel 10 - Skulptur


Anfechtung von Willenserklärungen

A. Sachverhalt

K entdeckt in der Galerie des A die Skulptur eines schlafenden Löwen. A, der die Skulptur für das Werk eines unbekannten Künstlers hält, bietet diese dem K zu einem Preis von 400,00 € zum Kauf an. K ist der festen Überzeugung, dass es sich hierbei nicht um einen unbekannten Künstler, sondern vielmehr um eines der frühen Werke des Carlo Kaden handelt. Er freut sich wahnsinnig über dieses Schnäppchen und schließt kurzerhand mit A einen schriftlichen Vertrag über den Kauf der Skulptur zum Preis von 400,00 €. Beide vereinbaren, dass K die Skulptur am nächsten Tag abholen und bezahlen wird. Als K wie vereinbart am nächsten Tag bei A erscheint, muss er bei genauerer Prüfung der Skulptur jedoch feststellen, dass es sich hierbei wirklich nicht um ein in etwa 40.000 € wertes Original Kadens, sondern tatsächlich um die Skulptur eines unbekannten Künstlers handelt, deren Wert bei 400,00 € liegt.
K erklärt daraufhin gegenüber A, dass er unter diesen Bedingungen nicht am Vertrag festhalten möchte. A hingegen besteht auf Bezahlung gegen Übereignung der Skulptur.


B. Frage(n)

Hat A einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gegenüber K?

C. Lösung

1. Lösungsskizze

Hat A einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung gegenüber K?
Anspruchsgrundlage: § 433 II BGB
Vor.: Anspruch erworben, nicht verloren und durchsetzbar

A. Anspruch erworben?
Vor.: zwischen K und A Vertrag geschlossen, inhaltlich K i.S.d. § 433 BGB und dieser wirksam


I. Vertragsschluss (+)
Hier: A und K schriftlich vereinbart, dass K Skulptur (Kaufgegenstand) erwerben und dafür 400,- € (Kaufpreis) zahlen soll
Einigung über wesentliche Bestandteile eines KV nach § 433 BGB


II. Wirksamkeit
Fraglich ob KV wirksam
Als Wirksamkeitshindernis kommt Anfechtung des KV durch K in Betracht
Gemäß § 142 Abs. 1 BGB ist anfechtbares Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen, sofern es angefochten wird
Vor.: anfechtbares RG, Vorliegen eines Anfechtungsgrund, Erklärung der Anfechtung innerhalb Anfechtungsfrist und Anfechtung darf nicht ausgeschlossen sein


1. Anfechtbares RG (+)
Hier: Zwischen A und K geschlossene KV ist anfechtbares RG i. S. d. § 142 I BGB


2. Anfechtungsgrund
Vor.: K unterliegt Wissensmangel der ihn zur Anfechtung berechtigt
In Betracht kommt Eigenschaftsirrtum nach § 119 II BGB

a) Irrtum (+)
Hier: K irrt über Wert und Urheber der Skulptur


b) Irrtum über Eigenschaft gem. § 119 II BGB (+)
Fraglich ist, ob Irrtum Eigenschaft einer Person oder Sache betrifft
Hier: K irrt nicht über Vertragspartner A
Somit kommt nicht Irrtum über Eigenschaft der Person, sondern nur Irrtum über Eigenschaft einer Sache in Betracht
Skulptur ist Sache i.S.d. § 90 BGB
Zu Eigenschaften einer Sache gehören alle wertbildende Faktoren
Preis bzw. Wert der Sache ist jedoch gerade Ergebnis all dieser wertbildenden Faktoren
Wert der Sache bestimmt sich nicht nach Preis, sondern nach wertbildenden Faktoren
Irrtum K über Wert Skulptur berechtigt nicht zur Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum nach § 119 II BGB
Als Eigenschaftsirrtum kommt Irrtum über Urheber der Skulptur in Betracht
Bei Kunstwerk gehört Herkunft zweifelsfrei zu wertbildenden Faktoren
Herkunft der Skulptur ist damit eine Eigenschaft i.S. d. § 119 II BGB


c) Verkehrswesentlich (+)
Diese Eigenschaft muss verkehrswesentlich sein
Entscheidend hierbei, was objektiv für RG als verkehrswesentlich, also als für Vertragsschluss bedeutsam, angesehen wird
Beim Kauf Kunstwerkes gehört dazu insbesondere Urheber, also Herkunft
Hier: K irrt sich über Urheber der Skulptur


d) Kausalität (+)
Vor.: Irrtum zudem für Abgabe WE ursächlich
Hier: Hätte K gewusst, dass Skulptur nicht von Kaden stammt, hätte er KV mit A nicht geschlossen


e) Vorliegen eines Anfechtungsgrundes (+)


3. Anfechtungserklärung gem. § 143 BGB (+)
Vor.: gem. § 143 I BGB Erklärung der Anfechtung ggü. dem Anfechtungsgegner
Dieser gem. § 143 II BGB bei Vertrag der andere Teil
Hier: K erklärt gegenüber A, dass er nicht am Vertrag festhalten möchte
K verwendet nicht Begriff Anfechtung
Bei Auslegung einer WE ist gem. § 133 BGB jedoch wirklicher Wille zu erforschen
Aus Wortlaut seiner Erklärung lässt sich Wille zur Anfechtung schließen.
Erklärung erfolgt gegenüber Vertragspartner A, also dem anderen Teil i.S.d. §143 II BGB


4. Anfechtungsfrist gem. § 121 BGB (+)
Anfechtung innerhalb der in § 121 I 1 BGB definierten Anfechtungsfrist zu erfolgen
Anfechtung unverzüglich zu erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtige Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt
Hier: K erklärt Anfechtung sofort, nachdem er Irrtum bemerkt


5. Kein Ausschluss der Anfechtung (+)
Hier: Nicht ausgeschlossen


6. Anfechtung (+)
Zwischen K und A geschlossene KV von Anfang an nichtig gem. § 142 I BGB


II. Zwischenergebnis
Anspruch erworben (-)


B. Ergebnis
A Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gem. § 433 II BGB (-)


2. Formulierungsvorschlag


A könnte gegenüber K einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 BGB haben.
Voraussetzung hierfür ist, dass A den Anspruch erworben und nicht verloren hat und dieser durchsetzbar ist.

A. Anspruchserwerb
A könnte den Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB gegenüber K erworben haben.
Dies ist der Fall, wenn A und K einen Vertrag geschlossen haben, bei dem es sich inhaltlich um einen Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB handelt und dieser wirksam ist.


I. Vertragsschluss und -inhalt
A und K haben schriftlich vereinbart, dass K die Skulptur (Kaufgegenstand) erwerben soll und dafür 400,00 EUR (Kaufpreis) zahlen soll. Damit haben sie sich über die wesentlichen Bestandteile eines Kaufvertrages nach § 433 BGB geeinigt und somit einen Kaufvertrag geschlossen.


II. Wirksamkeit
Fraglich ist hier allerdings, ob der Kaufvertrag wirksam ist.
Als Wirksamkeitshindernis kommt im vorliegenden Fall die Anfechtung des Kaufvertrages durch K in Betracht. Gemäß § 142 Abs. 1 BGB ist ein anfechtbares Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen, sofern es angefochten wird.
Voraussetzung hierfür ist zum einen, dass das betreffende Rechtsgeschäft anfechtbar ist und ein Anfechtungsgrund vorliegt. Zudem ist die Erklärung der Anfechtung innerhalb der Anfechtungsfrist erforderlich sowie die Anfechtung nicht ausgeschlossen worden sein.

1. Anfechtbares Rechtsgeschäft
Der zwischen A und K geschlossene Kaufvertrag ist ein anfechtbares Rechtsgeschäft im Sinne des § 142 Abs. 1 BGB.

2. Anfechtungsgrund
K könnte einen Grund zur Anfechtung haben. Dies ist der Fall, wenn er einem Wissensmangel unterliegt, der ihn zur Anfechtung berechtigt. In Betracht kommt hier ein Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB. Ein Irrtum im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB ist gegeben, wenn der Irrtum solche Eigenschaften einer Person oder Sache betrifft, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden und dieser Irrtum für die Abgabe der Erklärung kausal gewesen ist.

a) Irrtum
Laut Sachverhalt irrt K über den Wert und den Urheber der Skulptur. Ein Irrtum liegt also vor.

b) Irrtum über Eigenschaft
Fraglich ist, ob dieser Irrtum die Eigenschaft einer Person oder Sache betrifft. Laut Sachverhalt irrt K nicht über seinen Vertragspartner A. Somit kommt nicht der Irrtum über die Eigenschaft der Person, sondern nur ein Irrtum über die Eigenschaft einer Sache in Betracht. Die Skulptur ist eine Sache im Sinne des § 90 BGB. Zu den Eigenschaften einer Sache gehören alle wertbildenden Faktoren. Der Preis bzw. Wert der Sache ist jedoch gerade das Ergebnis all dieser wertbildenden Faktoren. Der Wert der Sache bestimmt sich also nicht nach dem Preis, sondern nach den wertbildenden Faktoren. Der Irrtum des K über den Wert der Skulptur berechtigt daher nicht zur Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB.
Als Eigenschaftsirrtum kommt jedoch der Irrtum über den Urheber der Skulptur in Betracht. Bei einem Kunstwerk gehört die Herkunft zweifelsfrei zu den wertbildenden Faktoren. Die Herkunft der Skulptur ist damit eine Eigenschaft im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB.
K hat sich folglich über eine Eigenschaft des Skulptur im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB geirrt.


c) Verkehrswesentlich
Diese Eigenschaft müsste zudem verkehrswesentlich sein. Entscheidend ist hierbei, was objektiv für dieses Rechtsgeschäft als verkehrswesentlich, also als für den Vertragsschluss bedeutsam, angesehen wird. Beim Kauf eines Kunstwerkes gehört dazu insbesondere der Urheber, also die Herkunft. K irrt sich über den Urheber der Skulptur und damit folglich über eine verkehrswesentliche Eigenschaft.

d) Kausalität
Der Irrtum müsste zudem für die Abgabe der Willenserklärung ursächlich gewesen sein. Hätte K gewusst, dass die Skulptur nicht von Kaden stammt, hätte er den Kaufvertrag mit A nicht geschlossen. Er Eigenschaftsirrtum war somit kausal.

e) Es liegt damit ein Anfechtungsgrund vor.

3. Anfechtungserklärung
A müsste zudem seine Anfechtung im Sinne des § 143 BGB erklärt haben. Gemäß § 143 Abs. 1 BGB erfolgt die Anfechtung durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner. Dieser ist gemäß § 143 Abs. 2 BGB bei einem Vertrag der andere Teil.
Laut Sachverhalt erklärt K gegenüber A, dass er nicht am Vertrag festhalten möchte. K verwendet zwar nicht den Begriff „Anfechtung“ – bei der Auslegung einer Willenserklärung ist gemäß § 133 BGB jedoch der wirkliche Wille zu erforschen. Aus dem Wortlaut seiner Erklärung lässt sich der Wille zur Anfechtung schließen. Die Erklärung erfolgt gegenüber seinem Vertragspartner A, also dem anderen Teil im Sinne des § 143 Abs. 2 BGB.
K hat damit die Anfechtung erklärt.


4. Anfechtungsfrist
Die Anfechtung müsste außerdem innerhalb der in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB definierten Anfechtungsfrist erfolgt sein. Demnach hat die Anfechtung unverzüglich zu erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtige Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt. Im vorliegenden Fall erklärt K die Anfechtung sofort, nachdem er seinen Irrtum bemerkt. Die Anfechtung ist somit innerhalb der Anfechtungsfrist erfolgt.

5. Kein Ausschluss der Anfechtung
Die Anfechtung ist im konkreten Fall nicht ausgeschlossen.

6. Es sind alle Voraussetzungen einer Anfechtung gegeben. Das angefochtene Rechtsgeschäft, also der zwischen A und K geschlossene Kaufvertrag, gilt somit als von Anfang an nichtig § 142 Abs. 1 BGB.

II. Zwischenergebnis
A hat den Anspruch auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB gegenüber K somit nicht erworben.

B. Ergebnis
A hat gegenüber K keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 BGB.


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