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Fall: Blockade gegen Kraftwerksbau


A. Sachverhalt
In der Gemeinde Duselhausen soll ein Kraftwerk gebaut werden. Die Einwohner wehren sich dagegen, weil sie starke Umweltbelastungen durch das Kraftwerk befürchten. Eine Bürgerinitiative greift den Investor und die Verwaltung mit unzähligen Widersprüchen und Klagen an. Als der Bau in letzter Instanz rechtskräftig als zulässig bestätigt wurde, bereitet die Bürgerinitiative Demonstrationen und Sitzblockaden vor.

Der Bau wird ungeachtet dessen vorbereitet. Das ausführende Unternehmen ist die Firma Einsturz (E). Sie sendet das erste Mitarbeiterteam zur Baustelle und sichert die Baustelle ab. Als mit Tiefbauarbeiten begonnen werden soll, besetzt die Bürgerinitiative unter Führung des Aktivisten Randale (R) das Gelände des künftigen Kraftwerks, sperrt die auf dem Gelände befindlichen Mitarbeiter von E ab und hält sowohl E, wie auch den Kraftwerksinvestor und die Polizei über mehrere Tage im Schach.

Erst nach 5 Tagen gelingt es der Polizei, Mitarbeiter von E zu befreien und die Demonstranten vom Gelände zu verdrängen.

B. Frage
Kann E von R bzw. den identifizierten Demonstranten Ersatz des durch Stillstand der Arbeiten bei E entstandenen Schadens verlangen?



C. Lösungshinweise
Anspruch E gegen R aus § 823 Abs. 1 BGB?

Dieser Anspruch ist dem Grunde nach erworben, wenn:
  • Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB erfüllt wurde
  • dies rechtswidrig war und
  • der Anspruchsgegner dabei schuldhaft handelte.

1. Tatbestand

a. Handlung des R / der Beteiligten Aktivisten
Die Bürgerinitiative unter Führung des R hat das Gelände des künftigen Kraftwerks besetzt (positives Tun) und hielt die Polizei und den E mehrere Tage im Schach. Dies ist als Handlung i. S. d. § 823 Abs. 1 BGB zu werten.

b. Rechtsgutverletzung
Das Eigentum des E als absolutes Recht ist an sich nicht betroffen. In Betracht kommt aber eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (als sonstiges Recht) in Betracht. Dafür müsste
      • eine gesetzliche Lücke im Hinblick auf den Schutz des E gegeben sein,
      • der Gewerbebetrieb des E müsste betroffen sein, und zwar
      • durch einen betriebsbezogenen Eingriff, also gezielt und nicht lediglich als Nebenfolge der Handlung von R / der übrigen Demonstranten.

Die Umsatzeinbußen, die dem E entstanden sind, werden durch keine anderen Vorschriften kompensiert werden können - § 823 Abs. 2 oder § 826 BGB kommen als Anspruchsgrundlagen in Betracht, greifen am Ende jedoch nicht. Dabei erscheint diese Lücke nicht als gewollt, wenn eine Schädigung des E, der sich auch an der politischen Auseinandersetzung nicht beteiligte, keinen Ersatz erfahren hätte. Dies wäre hier auch nicht tragbar. Insofern ist eine Gesetzeslücke im Hinblick auf den Schutz des E durchaus festzustellen.
Sein Gewerbebetrieb - als Unternehmen für Anlagenbau - ist betroffen; es handelt sich dabei um eine gewerbliche Tätigkeit, die auf Dauer angelegt und auf Gewinnerzielung gerichtet ist.
Die Handlungen des R und anderer Demonstranten richteten sich durchaus gezielt gegen den Bau, also gegen die Tätigkeit des E, gegen seinen Betrieb.
Bereits hier ist allerdings eine andere Auffassung durchaus vertretbar: sollte der Stillstand bei E lediglich als ein Kollateralschaden der Proteste gesehen werden, kann die Blockade eher weniger als ein zielgerichteter Eingriff in den Gewerbebetrieb gesehen werden. Es kommt letztlich auf die genauen Umstände des Falles an - je mehr die Bautätigkeit des E als solche Ziel der Blockade ist, desto mehr spricht für einen gezielten Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Rechtsgut des § 823 Abs. 1 BGB


c. Kausalität
Haftungsbegründete Kausalität (+) - wenn R das zukünftige Gelände nicht besetzt hätte, wäre keine Rechtsgutverletzung bei E gegeben. Eine Blockade der Errichtung eines Bauwerkes führt zwangsläufig dazu, dass die ausführenden Unternehmen nicht tätig werden können - insbesondere dann, wenn dies so entschlossen wie im Sachverhalt geschah. Damit war dies eine gewöhnliche, adäquate Folge der Handlungen von R und seiner Aktivisten.


Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB ist damit durch Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des E erfüllt.

2. Rechtswidrigkeit
Besonderheit: offener Tatbestand! Rechtswidrigkeit summarisch mit dem Tatbestand (Rechtsgutverletzung) zu prüfen!
Eine Rechtfertigung der Handlung des R und der Aktivisten ist nicht ersichtlich. Allerdings reicht dies nicht aus, um bei einem offenen Tatbestand die Rechtswidrigkeit zu bejahen. Hier muss die Rechtsgutverletzung auch angesichts einer Gesamtbetrachtung als rechtswidrig erscheinen. Für die Rechtswidrigkeit in diesem Fall sprechen:
    • E war am Konflikt gar nicht beteiligt, dennoch wurde er und seine Firma in eine Art "Sippenhaft" genommen,
    • der Rechtsweg wurde ausgeschöpft, also war eine Abwägung der Interessen im Rahmen der Rechtsordnung (Verwaltungsverfahren und -prozess) bereits durchgeführt und zugunsten des Baus entschieden.
Gegen die Rechtswidrigkeit der Aktion sprechen allerdings:
    • Art. 5 GG - Meinungsäußerungsfreiheit,
    • Art. 8 GG - Versammlungsfreiheit.

Die Protestaktion geht recht weit und wurde trotz einer bereits erfolgten gerichtlichen Überprüfung in allen Instanzen durchgeführt. Die erhebliche Inanspruchnahme des E und seiner Betriebstätigkeit geht an dieser Stelle wohl zu weit, wenn der Bau in jeder Hinsicht rechtmäßig ist. Mehr spricht insofern für die Feststellung der Rechtswidrigkeit. Andere Auffassung ist allerdings vertretbar - insb. mit verfassungsrechtlicher (Grundrechte) Argumentation.

3. Verschulden (+)

D. Ergebnis
Anspruch E gegen R nach § 823 Abs. 1 BGB ist dem Grunde nach gegeben. Der Umfang wäre gemäß dem Saldo der Verluste bei E, wobei in der Praxis sowohl eventuelle Vertragsstrafen gegen den Auftraggeber zu berücksichtigen wären, wie auch ersparte Aufwendungen.




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