Fall: Rohstoffabkommen mit Ostlandien
A. Sachverhalt
Das osteuropäische Land Ostlandien (O) besitzt auf seinem Gebiet beachtliche Erdöl- und Erdgasvorkommen. Durch veraltete Industrie, Lasten der Transformation von einer sozialistischen Wirtschaft, hohe Kriminalität sowie unterentwickelte Handelsstrukturen mit dem Westen Europas kann das Land seinen Einwohnern keinen hohen Lebensstandard bieten. Die Situation wird auch dadurch erschwert, dass O nicht einmal zum GATT gehört und seine westlichen Nachbarn hohe Zölle auf alle Produkte aus O praktizieren.
Das westeuropäische Land Tomanien (T), das zum GATT gehört, baut über Jahre eine lebhafte politische Verbindung nach O, woraus sich eine enge Zusammenarbeit entwickelt. So wird T zum wichtigsten Importeur von Energierohstoffen aus O. Um sich niedrige Rohstoffpreise zu sichern entscheidet sich T, alle Produkte aus O großzügig zu eigenen Märkten zuzulassen. Deshalb schließt T mit O ein Abkommen, kraft dessen T vergünstigte Rohstofflieferungen im großen Umfang erhält, wofür als Gegenleistung alle Produkte aus O in T zollfrei eingeführt werden können. Produkte aus anderen Ländern werden zum Markt in T grundsätzlich nur verzollt zugelassen, weil T seinen inländischen Markt vor Billigimporten schützen will.
Das andere Mitgliedsland im GATT, das Nordamerikanische Nordlandien (N), ist empört, dass Produkte aus O günstigeren Marktzugang in T haben, als Produkte aus N. Deshalb fragt die Regierung von N, ob die Vorgehensweise von T rechtmäßig ist. T weist Vorwürfe aus N zurück, weil O gar nicht zum GATT gehöre, weshalb T mit O solche Verträge schließen dürfe, wie es T gefalle.
B. Frage
Ist die Anwendung unterschiedlicher Zölle auf Produkte aus O und N völkerrechtlich zulässig?
C. Fallabwandlung
Ändert sich die Bewertung des Falles, wenn T und O das Abkommen mit einigen weiteren Ländern in der Region multilateral abschließen?
D. Lösungsskizze
Das Vorgehen von T ist völkerrechtlich unzulässig, wenn im vorliegenden Fall ein Völkerrechtssubjekt gegen eine Norm des Völkerrechts verstoßen hat und dies ohne Rechtfertigung geschah.
T als Staat ist Völkerrechtssubjekt. Die Anwendung unterschiedlicher Zollsätze auf Produkte aus unterschiedlichen Ländern ist allgemein völkerrechtlich nicht verboten. Die Souveränität der Staaten erlaubt ihnen, die Märkte nach ihrem Ermessen zu regeln und zu schützen. Ein Verstoß gegen Völkerrecht liegt hier deshalb nur dann vor, wenn eine spezielle Regelung aus einem völkerrechtlichen Vertrag T verbietet, diese Zollpraxis zu betreiben.
In Betracht kommt eine Verletzung des GATT.
1. Verstoß gegen Diskriminierungsverbot nach Art. III GATT
Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot ist ausgeschlossen, weil dieses allein die Relation in der Behandlung von inländischen und ausländischen Waren betrifft. Da T hier zwischen jeweils ausländischen Waren aus unterschiedlichen Ländern differenziert, kann das Gebot der Inländergleichbehandlung nicht verletzt sein - es mangelt an einer gleichartigen inländischen Ware.
2. Verstoß gegen das Meistbegünstigungsprinzip
In Betracht kommt eine Verletzung des Meistbegünstigungsprinzips nach Art. I:1 GATT.
Eine Lösung bietet folgender Strukturbaum.
3. Ergebnis zum Grundfall
Durch eine spezielle Behandlung von Waren aus einem Drittland, die günstiger ist als im Hinblick auf Waren aus einem (anderen) Land der WTO ist ein Verstoß gegen Art. I:1 GATT gegeben.
E. Lösung zur Fallabwandlung
Der Unterschied betrifft hier die möglichen Ausnahmen vom Gebot der Meistbegünstigung, zu denen auch Zollunionen und Freihandelszonen gehören, Art. XXIV GATT. Sofern es sich bei dem Abkommen um eine entsprechende internationale Vereinbarung handelt, ist eine abweichende Behandlung zulässig. Genauere Voraussetzungen dieser Ausnahme sind hier zu finden.
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