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Fall: Getäuschter Käufer lässt sich vertreten


A. Sachverhalt
Im Sommer 2009 kann Geiz (G) der Werbetrommel für Abwrackprämie nicht widerstehen und sucht einen Händler seiner Lieblingsautomarke auf, um sich nach Möglichkeiten des verbilligten Erwerbs eines Kleinwagens zu erkundigen. G fragt dabei, ob er es zeitlich noch überhaupt schafft, die Abwrackprämie für seinen "Alten" zu erhalten. Der Händler Listig (L) weiß schon eigentlich, dass G die Prämie nicht mehr bekommen kann, behauptet dem G gegenüber jedoch, dass die Prämie sicher sei, dafür werde L sorgen. Hauptsache, dass die Bestellung für das neue Auto schnell rausgehe.

G kündigt dem L an, dass sein Sohn das Fahrzeug und die genaue Ausstattung auswählen und für G unterzeichnen soll. Das Fahrzeug werde jedoch auf G zugelassen. L ist mit dieser Vertretung einverstanden.

Der Sohn des G kommt zu L und wählt die Farbe sowie die Ausstattung des Fahrzeugs aus und unter­schreibt "für G" eine verbindliche Bestellung. Später erfährt G, dass die Abwrackprämie nicht mehr möglich ist und dass L dies auch wusste. G verweigert deshalb Erfüllung des Vertrages.

B. Frage
Kann L von G Bezahlung des Kaufpreises verlangen?

C. Lösungshinweise
Vgl. AS BGB AT 1, Fall 27, S. 162.



D. Musterlösung
L könnte von G Zahlung des Kaufpreises gem. § 433 Abs. 2 BGB verlangen. Der Anspruch muss erworben, nicht verloren und durchsetzbar sein.
Der Anspruch könnte erworben sein. Dafür muss zwischen L und G ein wirksamer Kaufvertrag vorliegen.

1. Vertragsschluss
Zwischen G und L könnte ein Vertrag geschlossen worden sein. Dafür müsste ein Angebot vorliegen, das angenommen wurde und beide Erklärungen müssten übereinstimmen.

a. Angebot
Es könnte ein Angebot seitens G vorliegen. Dazu muss G eine Willenserklärung abgegeben haben, die inhaltlich ein Angebot darstellt und diese muss dem Vertragspartner zugegangen sein.

Willenserklärung
G schickt seinen Sohn, den S, zur Vertragsunterzeichnung. Anschließend unterzeichnet S für den G eine verbindliche Bestellung. Diese Bestellung ist eine Willenserklärung mit dem Inhalt, dass G auf ihrer Grundlage einen Vertrag (über Lieferung eines Fahrzeugs) abschließen will.

Abgabe
Hier könnte die Willenserklärung seitens G abgegeben worden sein. Das Angebot wurde allerdings nicht durch G abgegeben, sondern durch seinen Sohn S. Das Angebot könnte dem G jedoch gem. § 164 BGB zugerechnet werden. Hierzu müsste S ein Vertreter sein, d. h. es müsste eine eigene Willenserklärung des S vorliegen, die er offenkundig im fremden Namen abgegeben hat.

S hat im vorliegenden Fall die Ausstattung des Fahrzeugs ausgewählt und damit über das genau zu bestellende Fahrzeug entschieden. Er hat damit eine eigene Willenserklärung abgegeben. Laut Sachverhalt hat S eindeutig für G unterschrieben. Somit hat er im Namen des G gehandelt. G hat dem L vorher angekündigt, dass sein Sohn für ihn unterzeichnen soll. Daraus ergibt sich, dass die Vertretung für L offenkundig war.

Folglich kann die Willenserklärung des S dem G gem. § 164 Abs. 1 BGB zugerechnet werden.

Zugang
Das durch S abgegebene Angebot des G ist L mit Unterzeichnung der Bestellung zugegangen.

Zwischenergebnis
Ein Angebot seitens G liegt vor.

b. Annahme und Übereinstimmung
L Geht laut Sachverhalt davon aus, dass zwischen ihm und dem G ein Vertrag geschlossen wurde. Damit ist davon auszugehen, dass er das Angebot (verbindliche Bestellung) seitens G angenommen hat. Hinsichtlich der Übereinstimmung der Erklärungen beider Parteien bestehen keine Zweifel.

c. Zwischenergebnis
Zwischen G und L wurde ein Vertrag geschlossen.


2. Vertragsinhalt
Es handelt sich um einen Kaufvertrag.

3. Wirksamkeit
Es könnten hier allerdings Wirksamkeitshindernisse vorliegen. Zunächst ist zu fragen, ob S mit Vertretungsmacht handelte, so dass das von ihm vorgenommene Rechtsgeschäft für und gegen G wirksam ist (§ 177 Abs. 1 BGB). S handelte aber genau nach Vorgaben des G, weshalb die Vertretungsmacht gegeben ist.

Als Wirksamkeitshindernis kommt gem. § 142 BGB eine Anfechtung seitens G in Betracht. Hierfür ist erforderlich, dass eine Anfechtungserklärung ausgesprochen wird, ein Anfechtungsgrund vorliegt, die Anfechtungsfrist eingehalten wurde.

a. Anfechtungserklärung
G könnte die Anfechtung ausgesprochen haben. Die Anfechtung wird gem. § 143 Abs. 1 BGB durch eine Willenserklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner ausgeübt. Durch die Verweigerung der Vertragserfüllung bringt G deutlich zum Ausdruck, dass er am Vertrag nicht festhalten will. Damit liegt eine Anfechtungserklärung des G vor.

b. Anfechtungsgrund
Des Weiteren könnte ein Anfechtungsgrund vorliegen. Dafür müsste die bei Vertragsschluss abgegebene Willenserklärung an einem Willensmangel i. S. d. §§ 119 ff. BGB leiden. Der Willensmangel könnte hier in einer arglistigen Täuschung gem. § 123 Abs. 1 BGB liegen. Voraussetzung dafür ist, dass der Erklärungsempfänger (L) getäuscht hat, dies beim anderen Teil einen Irrtum kausal verursacht hat und die Täuschung widerrechtlich und arglistig (vorsätzlich) war.

Eine Täuschung ist eine Behauptung unwahrer Tatsachen. L weiß gemäß Sachverhalt schon eigentlich, dass G die Prämie nicht mehr bekommen kann, behauptet dem G gegenüber jedoch, dass die Prämie sicher sei. Dies ist eine Täuschung.
Infolge der Aussage des L handelte G im Irrtum darüber, dass er für sein Fahrzeug noch die sog. Abwrackprämie in Anspruch nehmen kann. Die Täuschung hat somit kausal einen Irrtum bei G verursacht, infolgedessen er den Vertrag veranlasst hat.
L handelte wider besseres Wissen und ohne, dass er gerechtfertigt wäre, zu lügen. Damit war die Täuschung auch widerrechtlich und arglistig.

Ein Anfechtungsgrund ist an sich gegeben, allerdings stellt sich die Frage, ob es auf die Täuschung gegenüber dem G sowie auf seinen Irrtum ankommt. Wenn hier ein Willensmangel vorliegt, dann ist dies kein Willensmangel des Erklärenden, also des Vertreters (S), sondern des Vertretenen (G). Dieser ist gem. § 166 Abs. 1 BGB nicht maßgeblich - im Falle der Erklärung des Vertreters kommt es bei Willensmängeln nur auf solche des Erklärenden, also des Vertreters, an.

Eine Ausnahme hiervon sieht § 166 Abs. 2 BGB vor. Diese Ausnahme betrifft dem Wortlaut nach jedoch nur die Frage, auf wessen Kenntnis es ankommt, wenn der Vertreter exakt nach Weisung des Vertretenen handelte. Willensmängel sind durch die Ausnahme des § 166 Abs. 2 BGB nicht erfasst. Die Interessenlage beim Handeln des Vertreters nach Vorgaben des Vertretenen ist bei Willensmängeln und bei der Zurechnung Kenntnis bestimmter Tatsachen praktisch identisch. In beiden Fällen hat der Vertreter keine Wahl - sowohl bei Kenntnis des Vertretenen wie auch bei dessen Irrtümern kann die Kenntnis oder Freiheit von Willensmängeln nicht relevant sein, wenn der Vertreter nach einer (beispielsweise irrtümlich erfolgten) Vorgabe des Vertretenen handelt. Da diese Abweichungen im Wortlaut des § 166 Abs. 1 und 2 BGB auf eine Lücke hindeuten, empfiehlt es sich, § 166 Abs. 2 BGB so zu lesen, dass seine Ausnahme auch für Willensmängel gilt.

Im vorliegenden Fall fasste G bereits den Entschluss, ein Fahrzeug zu erwerben. S sollte keine Entscheidungen hinsichtlich der Frage treffen, inwiefern beim Kauf die Abwrackprämie berücksichtigt werden soll oder nicht. Die Entscheidung, das Fahrzeug (in jedem Fall) zu kaufen hat allein G getroffen. Daraus folgt, dass S insofern nach Weisung des G i. S. d. § 166 Abs. 2 BGB handelte. In analoger Anwendung dieser Vorschrift ist festzustellen, dass in diesem Fall bei Betrachtung des Anfechtungsgrundes i. S. d. § 123 Abs. 1 BGB ausnahmsweise nicht die Person des Vertreters, sondern auch die des Vertretenen maßgeblich ist.

Demzufolge kann sich der getäuschte G auch auf den Anfechtungsgrund berufen. Eine Anfechtung des Vertrages ist möglich.

c. Anfechtungsfrist. Keine Ausschlussgründe
G könnte den Vertrag fristgemäß nach § 124 BGB angefochten haben. Demnach hat G ein Jahr Zeit ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes. Er hat die Vertragserfüllung sofort nach Kenntnis der Täuschung, damit hat er fristgemäß angefochten. Ausschlussgründe für die Anfechtung liegen nicht vor.

d. Ergebnis zur Wirksamkeit
Der Vertrag ist infolge Anfechtung unwirksam.

4. Ergebnis
L kann von G Kaufpreiszahlung nicht verlangen.





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