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Fallbeispiel 3 – Ein Auto auf Reisen
Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten gem. § 929 S. 1; 930, 933
A. Sachverhalt
Der Komponist Charlie (C) vermietet sein Auto bis zum 15.11. an seinen Bruder Alan (A). Da dieser bekanntlich chronisch pleite ist, nutzt er die Gunst der Stunde und veräußert das Auto umgehend an seinen Freund (F), der glaubt, A sei Eigentümer des Autos. A und F einigen sich hinsichtlich des Eigentumsübergangs und F zahlt den Kaufpreis sofort. Da A das Auto noch benötigt, um mit seiner neue Freundin einen mehrtägigen Ausflug zu machen, schließen die Parteien einen Mietvertrag, der bis zum 05.11. befristet ist. Nach Ablauf der Mietzeit verlangt F von A vergeblich die Übergabe des Autos. Am 16.11. verlangt C von A die Herausgabe des Autos.
B. Frage
Hat Charlie (C) gegen Alan (A) einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB?
C. Lösung
1. Grafische Skizze
2. Lösungsskizze
E gegen A Herausgabe des Autos gemäß § 985 BGB
I. Anspruch entstanden?
1. Voraussetzungen des § 985 BGB
a. Tauglicher Herausgabegegenstand i. S. d. § 985
HIER (+)
b. Anspruchsgegner (A) = Besitzer
= Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache (§ 854 Abs. 1 BGB)
HIER (+)
c. Anspruchssteller (C) = Eigentümer
aa. ursprünglich (+)
bb. Aber: Eigentumsverlust des C durch wirksamen Eigentumserwerb des F
von A gemäß § 929 S. 1 BGB?
= Erwerb des F vom Berechtigten A
(1) Einigung über den Eigentumsübergang
= dinglicher Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber über den Eigentumsübergang
HIER (+)
(a) Einigung über den Eigentumswechsel (+) = unmittelbare Einigung zwischen F und A (+)
(b) Inhalt der Einigung (+) = keine besonderen Hinweise
(c) Keine Unwirksamkeitsgründe (+) = keine besonderen Hinweise
(2) Übergabe nach § 929 S. 1
= Vollständiger Besitzverlust des Veräußerers und Besitzerwerb des Erwerbers, auf Veranlassung des Veräußerers zum Zwecke der Eigentumsübertragung
HIER (-) eine Übergabe hat zu keinem Zeitpunkt stattgefunden
(3) Zwischenergebnis: Eigentumsverlust des C durch wirksamen Eigentumserwerb des F vom Berechtigten A gem. § 929 S. 1 (-)
cc. Eigentumsverlust des C durch Eigentumserwerb des F von A gemäß § 929 S. 1 BGB, § 930 BGB ?
= Erwerb des F vom Berechtigten A
(1) Einigung (+), s.o.
(2) Übergabesurrogat („Übergabeersatz“) nach § 930
(a) Veräußerer muss Besitzer sein
HIER (+) A ist unmittelbarer Besitzer geblieben
(b) Besitzmittlungsverhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber
= Rechtsgeschäftliches Besitzmittlungsverhältnis i.S.v. § 868
HIER (+) A und F haben einen Mietvertrag (§ 535) geschlossen, also ein Verhältnis i. S. d. § 868 vereinbart, wodurch F mittelbaren Besitz an dem Auto erlangt hat
(c) Fremdbesitzwille des Veräußerers
= Wille, für den Erwerber zu besitzen
HIER (+) A wollte für F besitzen
(d) Zwischenergebnis: Voraussetzungen des § 930 (+)
(3) Einigsein im Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs
= keine der WEen darf widerrufen worden sein
HIER (+) kein Widerruf
(4) (Verfügungs-)Berechtigung des Veräußerers
(a) Verfügungsbefugter Eigentümer
HIER (-) A ist nicht Eigentümer
(b) Nichteigentümer, der gesetzlich verfügungsbefugt ist oder der vom Berechtigten ermächtigt ist
HIER (-) A ist nicht Ermächtigter nach § 185; eine sonstige Verfügungsbefugnis ist nicht ersichtlich
(5) Zwischenergebnis: Eigentumsverlust des C durch Eigentumserwerb des F vom Berechtigten A gemäß §§ 929 S. 1, 930 (-)
dd. Eigentumsverlust des C durch Eigentumserwerb des F von A gem. § 929 S. 1, § 930 BGB, § 933 BGB
= gutgläubiger Erwerb des F vom Nichtberechtigten A nach den Voraussetzungen des §§ 933 und kein Ausschluss nach § 935 Abs. 1
(1) Einigung (+), s.o.
(2) „Übergabeersatz“
= Voraussetzung des § 930
HIER (+) s.o.
(3) Einigsein im Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs
HIER (+) s.o.
(4) „Berechtigungsersatz“
(a) Rechtsgeschäftlicher Erwerb
= nicht durch gesetzlichen Erwerb
HIER = Rechtsgeschäft (+)
(b) Verkehrsgeschäft
= Güteraustausch zwischen zwei Personen; nicht gegeben bei persönlicher oder wirtschaftlicher Identität des Übereignenden mit dem Erwerber
HIER = Verkehrsgeschäft (+)
(c) Legitimation durch Rechtsschein des Besitzes gem. §§ 932 ff.
= beim gutgläubigen Erwerb nach §§ 929 S. 1, 930 (Besitzkonstitut), 933: Erwerber muss Sache „übergeben“ werden; Übergabe i. S. v. § 929 S. 1 ist erforderlich
HIER (-) A hat das Auto nicht an F übergeben
(d) Zwischenergebnis: (bereits) Voraussetzungen des § 933 (-)
(5) Zwischenergebnis: Eigentumsverlust des C durch Eigentumserwerb des F vom Nichtberechtigten A gem. §§ 929 S. 1, 930, 933 (-)
ee. Zwischenergebnis: Anspruchssteller (C) ist Eigentümer (+)
d. Zwischenergebnis: Voraussetzungen des § 985 (+)
2. Voraussetzungen des § 986 BGB
= Anspruchsgegner darf kein Recht zum Besitz haben
HIER (+) die Mietzeit im Verhältnis C und A ist abgelaufen
3. Zwischenergebnis: Anspruch entstanden (+)
II. Anspruch untergegangen (-)
Keine Hinweise
III. Anspruch durchsetzbar (+)
IV. Ergebnis: C gegen A Herausgabe des Autos gem. § 985 (+)
D. Formulierungsvorschlag
C könnte gegen A einen Anspruch auf Herausgabe des Autos gemäß § 985 haben. Dann müsste der Anspruch entstanden (vgl. I.), [nicht verloren gegangen (vgl. II.) und durchsetzbar (vgl. III.)] sein.
I. Der Anspruch müsste zunächst entstanden sein. Dann müssten die Voraussetzungen des § 985 vorliegen.
1. Nach § 985 muss der Anspruchssteller Eigentümer und der Anspruchsgegner Besitzer der Sache sein.
a. Dann müsste eine Sache i. S. d. § 985 Gegenstand des Anspruchs sein. Bei einem Auto handelt es sich nach § 90 um eine solche Sache.
b. Der Anspruchsgegner A hat die tatsächliche Gewalt über Autos erlangt (§ 854 Abs. 1) und ist damit Besitzer (§ 854 Abs. 1).
c. Der Anspruchssteller C müsste Eigentümer des Autos sein.
aa. Ursprünglich war C Eigentümer der Sache.
bb. C könnte jedoch sein Eigentum verloren haben, wenn F seinerseits wirksam Eigentum erworben hat. In Betracht kommt hier ein Eigentumserwerb des F vom Berechtigten A gem. § 929 S. 1.
(1) Die Parteien müssten sich wirksam über den Eigentumsübergang geeinigt. Die Einigung ist ein dinglicher Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber über den Eigentumsübergang. F und A haben sich im Rahmen des Kaufvertrages hier wirksam geeinigt, so dass die erste Voraussetzung bejaht werden kann.
(2) Ferner müsste eine Übergabe i. S. d. § 929 S. 1 erfolgt sein. Der Veräußerer müsste dabei den Besitz vollständig verloren haben und der Erwerber den Besitz auf Veranlassung des Veräußerers (zum Zwecke der Eigentumsübertragung) erlangen. Eine Übergabe des Autos hat aber im Verhältnis A zu F nicht stattgefunden.
(3) Zwischenergebnis: Demnach hat F nicht vom Berechtigten A gem. § 929 S. 1 Eigentum erworben. C hat also auf diesem Wege sein Eigentum nicht verloren.
cc. C könnte jedoch sein Eigentum verloren haben, wenn F seinerseits Eigentum vom Berechtigten A gem. §§ 929 S. 1, 930 erworben hat.
(1) Die Parteien haben sich wirksam über den Eigentumsübergang geeinigt (s. o. unter I. 1. c) bb) (1)).
(2) Übergabesurrogat („Übergabeersatz“); Zusätzlich müssten die Voraussetzungen des § 930 erfüllt sein.
(a) Hierzu müsste der Veräußerer im Besitz der Sache geblieben sein. A ist unmittelbarer Besitzer des Autos geblieben.
(b) Außerdem müssten der Veräußerer und der Erwerber ein Besitzmittlungsverhältnis vereinbart haben, vermöge dessen der Erwerber den mittelbaren Besitz an der Sache erlangt hat. Als Besitzmittlungsverhältnis kommt ein solches i. S.d. § 868 in Betracht. A und F haben einen Mietvertrag (§ 535) geschlossen, folglich ein Verhältnis i. S. d. § 868 vereinbart. Hierdurch hat F den mittelbaren Besitz an dem Auto erlangt.
(c) Schließlich müsste der Veräußerer den Willen gehabt haben, die veräußerte Sache für den Erwerber zu besitzen (Fremdbesitzwille). A wollte das Auto für F besitzen und hatte somit den erforderlichen Fremdbesitzwillen.
(d) Im Ergebnis liegen die Voraussetzungen des § 930 („Übergabesurrogat“) vor.
(3) Die Parteien waren sich auch noch im Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs einig. Der Sachverhalt enthält insofern keine Hinweise, dass eine Willenserklärung widerrufen wurde.
(4) Letztlich müsste der Veräußerer noch Berechtigter gewesen sein. Berechtigt ist in erster Linie der verfügungsbefugte Eigentümer. A ist jedoch kein Eigentümer. Ferner ist auch der Nichteigentümer, der gesetzlich verfügungsbefugt ist Berechtigter sein oder derjenige, der vom Berechtigten ermächtigt wurde. A war nicht Ermächtigter nach § 185. Auch eine sonstige Verfügungsbefugnis ist nicht ersichtlich. Somit fehlte die Berechtigung des A.
(5) Somit hat F nicht vom Berechtigten A gem. §§ 929 S. 1, 930 Eigentum erworben. Auf diese Weise hat C also sein Eigentum auch nicht verloren.
dd. Letztlich könnte C aber auch sein Eigentum dann verloren, wenn F seinerseits Eigentum vom Nichtberechtigten A gem. §§ 929 S. 1, 933 erworben hat.
(1) Die Parteien haben sich wirksam über den Eigentumsübergang geeinigt (s. o. unter I. 1. c) (1)).
(2) Auch die Voraussetzungen des § 930 sind erfüllt (s. o. unter I. 1. c) cc) (2)).
(3) Die Parteien waren sich auch noch im Zeitpunkt der Übergabe einig (s. o. unter I. 1. c) cc) (3)).
(4) Fraglich ist, ob die Voraussetzungen des § 933 vorliegen und der gutgläubige Erwerb nicht nach § 935 Abs. 1 ausgeschlossen ist.
(a) Es müsste ein rechtsgeschäftlicher (und kein gesetzlicher) Erwerb vorliegen. Dies kann ohne Weiteres bejaht werden.
(b) Außerdem müsste es sich um ein Verkehrsgeschäft handeln. Hier fand ein Güteraustausch zwischen zwei Personen statt. Eine persönliche oder wirtschaftliche Identität liegt nicht vor. Damit liegt ein Verkehrsgeschäft vor.
(c) Beim gutgläubigen Erwerb nach §§ 929 S. 1, 930, 933 muss dem Erwerber die Sache „übergeben“ werden. Dies ist im vorliegenden Fall gerade nicht geschehen. A hat das Auto zu keinem Zeitpunkt übergeben.
(d) Zwischenergebnis: Es liegen nicht alle Voraussetzungen des § 933 vor.
(5) Zwischenergebnis: Demnach hat F auch nicht vom Nichtberechtigten A gem. § 929 S. 1, 930, 933 Eigentum erworben. C verliert auch hier sein Eigentum nicht.
ee. Zwischenergebnis: Anspruchssteller C ist nach wie vor Eigentümer.
d. Zwischenergebnis: Die Voraussetzungen des § 985 liegen somit vor.
2. Zudem dürfte der Anspruchsgegner kein Recht zum Besitz gem. § 986 haben. Die Mietzeit im Verhältnis C zu A ist inzwischen abgelaufen. A hat demnach kein Recht zum Besitz des Autos. Im Ergebnis steht § 986 dem Anspruch auf Herausgabe also nicht entgegen.
3. Zwischenergebnis: Der Anspruch ist entstanden.
III. Er ist auch durchsetzbar (Punkt 2. kann hier geprüft werden)
IV. C hat gegen A den Anspruch auf Herausgabe des Autos gem. § 985.