Fallbeispiel: Zwangsmitgliedschaft
A. Sachverhalt
Der an der Hochschule in X immatrikulierte Student A ist empört, dass von seinem Semesterbeitrag ohne seine Zustimmung auch Gelder für den AStA einbehalten werden. Er weigert sich, seine Mitgliedschaft in der Studierendenschaft zu akzeptieren und behauptet, dass damit ein Verstoß gegen seine Grundrechte gegeben ist.
Frage: Hat A Recht?
B. Lösungsskizze
Denkbar ist ein Verstoß gegen Art. 9 I GG bzw. gegen Art. 2 I GG.
1. Verstoß gegen Art. 9 I GG
a. Schutzbereich
Schutz auch vor Zwangsmitgliedschaft? grundsätzlich (+), das Grundrecht schützt auch die Freiheit, einer Vereinigung fern zu bleiben.
Problem: gem. BVerfG sind öffentlichrechtliche Zwangsvereinigungen nicht vom Schutzbereich des Art. 9 I GG erfasst. Freiwilligkeit ist hier eine besondere Voraussetzung einer Vereinigung.
Folgt man der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht, sind in jedem Fall der Eingriff und weitere Voraussetzungen zu prüfen.
Folgt man der Rechtsprechung, ist Art. 2 I GG zu prüfen!
b. Eingriff
A wird zwangsweise in eine Vereinigung aufgenommen - dies ist ein Eingriff in seine individuelle Freiheit, an Vereinigungen teilzunehmen oder nicht.
c. Keine Rechtfertigung
Als Rechtfertigung kommen nur verfassungsimmanente Schranken in Betracht. Dies kann hier Art. 5 III GG sein (Freiheit von Forschung und Lehre), der möglicherweise durch die Zwangsmitgliedschaft zu stützen wäre. Da eine Studentenvereinigung im Rahmen einer Hochschule jedoch auch viele soziale Zwecke verfolgt, ist für diese eine Schranke aus der Verfassung nicht ersichtlich. Also nicht mal ein legitimes Rechtsgut dahingehend erkennbar.
Im Hinblick auf die Ziele des Art. 5 III GG fragt es sich, inwiefern die Regelung zu diesem Zweck verhältnismäßig ist:
- geeignet - (+), weil eine Organisation der Studenten erleichtert Erreichung der Ziele i. S. d. Art. 5 III GG
- erforderlich - problematisch, weil private, freiwillige Organisation auch ausreichend?
Argumentation in beide Richtungen möglich. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestehen. Das Bundesverfassungsgericht erkennt allerdings nicht an, dass öffentlichrechtliche Zwangsvereinigungen unter Art. 9 GG fallen.
2. Verstoß gegen Art. 2 I GG
(sofern die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde gelegt wird, ist der Auffangtatbestand des Art. 2 GG zu prüfen.)
a. Schutzbereich
- persönlich (+) - der Student als natürliche Person kann sich auf Art. 2 I GG berufen
- sachlich (+) - seine Freiheit ist betroffen, es geht darum, ob er Beiträge entrichten muss oder nicht
b. Eingriff
- seine Freiheit ist eingeschränkt, er muss zahlen (+)
c. Keine Rechtfertigung?
- Grenze des Art. 2 I GG kann die verfassungsmäßige Ordnung sein
- damit ist jedes verfassungsmäßige Gesetz, das die Freiheit verhältnismäßig zum Wohl der Allgemeinheit einschränkt, eine zulässige Rechtfertigung des Eingriffs
Auch hier stellt sich die Frage, welchen Zwecken die Zwangsmitgliedschaft dienen soll. Sicher lassen sich folgende anführen:
- Sicherung der Wahrnehmung der Rechte,
- soziale Belange der Studierenden,
- ähnliche.
Gegenüber diesen ist zu prüfen, inwiefern die Zwangsmitgliedschaft zu diesen Zwecken verhältnismäßig in die Freiheit des Einzelnen eingreift. Argumentation in beide Richtungen ist denkbar. Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber relativ weiten Spielraum hat.
Vgl. Pieroth/Schlink, Rn. 761 (2001).
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