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Schockschaden ersatzfähig?


Sachverhalt


BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 11.05.1971 - VI ZR 78/80:

Der Ehemann der A wird durch den PKW des B tödlich verletzt. A erleidet, durch die Benachrichtigung vom Unfalltod ihres Ehemannes, einen schweren seelischen Schock. Dies hat zur Folge, dass A ihrer beruflichen Tätigkeit als Haushaltshilfe nicht mehr nachgehen kann. Hat A einen Anspruch auf Schadensersatz der Schockschäden gegenüber B?

Rechtsnormen


§ 823 Abs. 1 BGB
§ 846 BGB
§ 254 BGB
§ 242 BGB

Quellenangaben


Zum Verständnis der Lösungsskizze ist die Betrachtung folgender Links empfehlenswert:

NJW 1971, 1883: Das komplette Urteil vom 11.05.1971

Dirk Dahm, Kompass/BBG 2009, Nr. 1/2, 20-21 (Aufsatz zum Thema Schockschaden)

Lösungsskizze


A könnte gegenüber B einen Anspruch auf Schadensersatz der Gesundheitsschäden gem. § 823 Abs. 1 BGB haben. Voraussetzung hierfür ist, dass A den Anspruch erworben, diesen nicht verloren hat und er durchsetzbar ist.

A. Anspruchserwerb
A könnte den Anspruch auf Schadensersatz gem. § 823 Abs. 1 BGB gegenüber B erworben haben. Dies ist der Fall, wenn A den Anspruch dem Grunde und dem Umfang nach erworben hat.


I. Dem Grunde nach

1. Tatbestand (+)

a) Handlung (+)
Eine Verletzungshandlung liegt vor, wenn sie auf ein Tun oder auf ein Unterlassen
zurückzuführen sind.

        • positives Tun des B durch Verursachung des Unfalls mit seinem PKW

b) Rechtsgutsverletzung (+)
A müsste in eines ihrer in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter verletzt sein.

        • A hat aufgrund der Unfallnachricht einen seelischen Schock erlitten. Damit liegt eine Gesundheitsverletzung vor.

aa) das Wohlbefinden ist betroffen (+)
Das körperliche oder seelische Wohlbefinden des Geschädigten ist betroffen.

          • Der seelische Schock von A betrifft das psychische Wohlbefinden.

bb) Beeinträchtigung aus medizinischer Sicht (+)

          • Die Gesundheit ist aus medizinischer Sicht beeinträchtigt.

cc) erheblich (+)
Die Beeinträchtigung des Wohlbefindens ist auch erheblich. Die typischen Gefühle wie Trauer, Schmerz und Niedergeschlagenheit reichen allein nicht aus, vielmehr muss die Beeinträchtigung einen Krankheitswert erreichen.

          • Der Schockschaden ist so groß, dass A ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann.


c) Haftungsbegründete Kausalität (+)
Es besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Handlung des Schädigers und der Rechtsgutsverletzung.

aa) Äquivalent kausal (+)

          • Dadurch das B mit seinem PKW den Ehemann der A tödlich verletzt hat (= Handlung des Schädigers), erleidet A eine Gesundheitsverletzung (= Rechtsgutsverletzung).

bb) Adäquat kausal (+)

          • A ist zwar nicht direkt am Unfallort beteiligt gewesen, dennoch hat sie eine seelische Störung davongetragen. Ausschlaggebend für den Schockschaden ist die persönliche Beziehung zum Unfallopfer. Aufgrund dieser Tatsache ist die psychische Reaktion von A auch nicht unverhältnismäßig, da ihr Ehemann eine nahestehende Person ist. Somit ist die Unfallnachricht für die vermittelte Schädigung ursächlich.

cc) vom Schutzzweck der Norm erfasst (+)

          • Der Schockschaden der A fällt in den Schutzbereich des § 823 Abs. 1 BGB. Hier macht es keinen Unterschied, ob A den Unfall miterlebt hat oder die bloße Unfallnachricht den Gesundheitsschaden ausgelöst hat. B hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt und somit A in ihrer Gesundheit geschädigt.

2. Rechtswidrigkeit
Ein Verhalten ist rechtswidrig, wenn es keine Rechtfertigungsgründe dafür gibt.


a) keine Rechtfertigung (+)

          • Es liegen keine Rechtfertigungsgründe vor.

      1. Spez. Anforderungen bei offenen Tatbeständen

          • A ist in ihrer Gesundheit verletzt. Es liegt eine Gesundheitsverletzung vor. Somit gehört das verletzte Rechtsgut nicht zu den offenen Tatbeständen.













Paul Kuhn, SVR 2012, 288-290 (Aufsatz)

BGH 6. Zivilsenat, Entscheidung vom 20.03.2012, Aktenzeichen VI ZR 114/11
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