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Internationaler Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht II
Fall 2 - SACEM
Die Société des auteurs, compositeurs et éditeurs de musique (SACEM), die einzige französische Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten auf musikalischem Gebiet, verlangt von französischen Diskothekenbetreibern für die Aufführung geschützter Musikwerke in deren Betrieb Gebühren in Höhe eines Satzes von 8,25 % des Umsatzes der betroffenen Diskothek einschließlich Mehrwertsteuer. Damit erlangen sie Zugang zu dem gesamten Repertoire der SACEM. Der Diskothekenbesitzer A aus Juan-le-Pins wendet sich vor Gericht gegen die Gebührenerhebung mit der Begründung, dass der Satz der von der SACEM geforderten Gebühren willkürlich und unangemessen sei und deshalb einen Mißbrauch der beherrschenden Stellung darstelle, die die Gesellschaft innehabe. Diese Gebühren seien nämlich erheblich höher als die in anderen Mitgliedstaaten erhobenen; überdies stünden die Tarife für Diskotheken in keinem Verhältnis zu den Tarifen für andere große Benutzer von aufgezeichneten Musikwerken wie Fernsehen und Rundfunk. Die Diskothekenbetreiber hätten auch nur Interesse an einem kleinen Teil des Repertoires, nämlich in sehr weitem Umfang Musik anglo-amerikanischer Herkunft. Die SACEM habe sich stets geweigert, ihm den Zugang lediglich zu einem Teil der Bestände zu gewähren; andererseits hätte er aber auch nicht die Möglichkeit, sich unmittelbar an die Verwertungsgesellschaften anderer Länder zu wenden, da diese mit der SACEM durch "Verträge über die gegenseitige Vertretung" verbunden seien und es daher ablehnten, unmittelbaren Zugang zu ihren Beständen zu gewähren. Vorausgesetzt, die Angaben des A sind zutreffend, hat er einen Anspruch auf einen geringeren Gebührensatz? |
LösungA hat einen Anspruch auf einen geringeren Gebührensatz, wenn die Gebührenordnung der SACEM nicht mit Art. 101, 102 AEUV vereinbar ist. Nach Art. 102 AEUV ist jede Erzwingung von unangemessenen Geschäftsbedingungen durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung ein Missbrauch dieser Stellung. Dabei ist zu untersuchen, nach welchen Kriterien sich bestimmt, ob eine nationale Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten, die auf dem Gemeinsamen Markt eine beherrschende Stellung innehat, unangemessene Geschäftsbedingungen erzwingt. Erzwingt ein Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, für die von ihm erbrachten Dienstleistungen Tarife, die nach einem auf einheitlicher Grundlage vorgenommenen Vergleich erheblich höher sind als die in den übrigen Mitgliedstaaten angewendeten Tarife, so ist diese Differenz als Indiz für einen Mißbrauch der beherrschenden Stellung anzusehen. Es obliegt in diesem Falle dem betroffenen Unternehmen, die Differenz unter Hinweis auf etwaige objektive Unterschiede zwischen den Verhältnissen in dem in Rede stehenden Mitgliedsstaat und denen in allen übrigen Mitgliedstaaten zu rechtfertigen. In dieser Hinsicht hat sich die SACEM auf eine Reihe von Umständen berufen, um die bestehende Differenz zu rechtfertigen. So hat sie sich auf die hohen Preise der französischen Diskotheken, das traditionell hohe Niveau des in diesem Lande gewährten urheberrechtlichen Schutzes sowie die Besonderheiten des französischen Rechts bezogen, nach dem die Verbreitung von aufgezeichneten Musikwerken nicht nur einer Aufführungsgebühr, sondern auch einer ergänzenden Gebühr für die mechanische Vervielfältigung unterliegt. Umstände dieser Art können jedoch die sehr erheblichen Unterschiede zwischen den Sätzen der in den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils erhobenen Gebühren nicht erklären. Das hohe Niveau der von den Diskotheken in einem bestimmten Mitgliedstaat geforderten Preise kann - vorausgesetzt, es ist nachgewiesen - das Ergebnis verschiedener tatsächlicher Faktoren sein, zu denen gerade auch der Gebührensatz gehören kann, der für die Aufführung von aufgezeichneten Musikwerken erhoben wird. Zum Niveau des durch die innerstaatlichen Rechtsvorschriften gewährten Schutzes ist zu bemerken, dass das Urheberrecht an Musikwerken im allgemeinen das Aufführungs- und das Vervielfältigungsrecht umfasst, und dass die in einigen Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, für den Fall der öffentlichen Aufführung vorgesehene Erhebung einer "zusätzlichen Gebühr für die Vervielfältigung" nicht notwendigerweise bedeutet, dass der Grad des Schutzes unterschiedlich wäre. Die Gepflogenheiten bei der Gebührenerhebung dürfen nicht insofern unterschiedlich, als einige Verwertungsgesellschaften der Mitgliedstaaten dazu neigen, nicht auf der Einziehung von Gebühren bei kleinen, über das Land verstreuten Benutzern wie Betreibern von Diskotheken, Veranstaltern von Bällen und Gastwirten zu bestehen. In Frankreich habe sich eine entgegengesetzte Tradition herausgebildet, da die Urheber die volle Beachtung ihrer Rechte wünschten. Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Einer der auffälligsten Unterschiede zwischen den Verwertungsgesellschaften der verschiedenen Mitgliedstaaten in der Höhe der Verwaltungskosten liegt. Hat eine solche Verwertungsgesellschaft, wie dies gewisse Hinweise in den Akten der Ausgangsverfahren vermuten lassen, erheblich mehr Personal als entsprechende Gesellschaften in anderen Mitgliedstaaten, und ist dort der Teil des Gebührenaufkommens, der für die Kosten der Einziehung, Verwaltung und Verteilung der Gebühren aufgewendet und somit nicht an die Autoren ausgekehrt wird, erheblich höher, so lässt sich nicht ausschließen, dass sich die Schwerfälligkeit des Verwaltungsapparats und damit der hohe Gebührensatz gerade durch den Mangel an Wettbewerb auf dem Markt erklären lassen. Ein Vergleich mit der Lage in den anderen Mitgliedstaaten nützliche Hinweise auf einen eventuellen Missbrauch der beherrschenden Stellung einer nationalen Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten liefern kann. Verwertungsgesellschaften ein rechtmäßiges Ziel verfolgen, wenn sie sich bemühen, die Rechte und Interessen ihrer Mitglieder gegenüber den Benutzern von aufgezeichneter Musik zu wahren. Die zu diesem Zweck mit den Benutzern geschlossenen Verträge könnten nur dann als wettbewerbsbeschränkend im Sinne von Art. 101 AEUV angesehen werden, wenn die umstrittenen Praktiken die Grenzen des zur Erreichung des genannten Zwecks Unerlässlichen überschritten. Das könnte der Fall sein, wenn auch im Falle eines unmittelbaren Zugangs lediglich zu einem Teilbestand, wie ihn die Diskothekenbetreiber fordern, die Interessen der Musikautoren, Komponisten und Musikverleger voll gewahrt werden könnten, ohne dass sich deswegen die für die Verwaltung der Verträge und die Überwachung der Nutzung der geschützten Musikwerke entstehenden Kosten erhöhten. Vgl. EuGH, U. v. 13.7.1989 – Rs. 395/87 |