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Fallbeispiel: Schuhhandel eines Minderjährigen

Probeklausur im Wintersemester 2020 / 2021

Sachverhalt

Der 16-jährige M möchte ein Handelsgeschäft für teure Sportschuhe eröffnen. Da ihm dies seine Eltern nicht erlauben, bleibt es vorerst ein Traum. Die gute Tante T, welche die Bedenken seiner Eltern nicht versteht, schenkt ihm heimlich 5 paar Schuhe, die absolut rare Einzelstücke sind. Damit soll M anfangen, seinen Traum zu verwirklichen.

Unter den geschenkten Schuhen befindet sich auch ein Paar Nike GoldenArrow in der Größe 43. Diese Schuhe erzielen in einschlägigen Auktionen von Insidern regelmäßig einen Preis von ca. 800,- EUR je Paar.
M bereitet Auktionen der ihm geschenkten Schuhe vor, wird aber von seinem Klassen- freund V auf die GoldenArrow angesprochen. Der etwas gründlicher lernende V, der in einigen Jahrgangsstufen etwas länger verweilte und deshalb bereits über 18 Jahre alt ist, überredet M, ihm die Schuhe für 200,- EUR zu verkaufen. Nachdem M für die Schuhe 200,- EUR kassiert und sie V übergeben hat, erfahren die Eltern des M von allem. Sie finden weder das Geschenk der T noch die anschließenden Geschäfte des M – da offenbar sehr nachteilig – nicht in Ordnung und verlangen Rückabwicklung.

Fragen

Frage 1: Ist die Schenkung der Schuhe durch T wirksam?
Frage 2: Kann M von V Rückgabe der Schuhe verlangen?


Bemerkungen für die Bearbeitung


Zu Frage 1
Die erste Frage bezieht sich konkret auf die Wirksamkeit der Schenkung seitens T. Explizit ausgenommen von der Betrachtung ist dabei das Erfüllungsgeschäft - auch wenn die Eigentumsübertragung hier leicht zu prüfen wäre.
Es kann hier kurz geprüft werden, ob T und M sich vertraglich über eine Schenkung geeinigt haben, dies aber wirklich nur sehr kurz. Schwerpunkt der Prüfung liegt auf der Wirksamkeit der Schenkung - wobei wiederum die Minderjährigkeit und demzufolge beschränkte Geschäftsfähigkeit entscheidend sind.

Zu Frage 2
Die zweite Frage bezieht sich auf eine Anspruchsprüfung.

Musterlösung


Frage 1
Die Schenkung der Schuhe durch T an M könnte wirksam sein. Damit die Schenkung wirksam ist, dürfen keine Wirksamkeitshindernisse vorliegen. Hier kommen insbesondere die Wirksamkeitshindernisse gem. § 125 S. 1 BGB (Formmangel) sowie ein Mangel der Geschäftsfähigkeit gem. § 108 Abs. 1 BGB in Betracht.

A. Formmangel
Die Schenkung zwischen M und T könnte gem. § 125 S. 1 BGB infolge eines Formmangels unwirksam sein. Dies ist der Fall, wenn ein gesetzliches Formerfordernis vorliegt, das Rechtsgeschäft diesem Formerfordernis nicht genügt und der Formmangel nicht geheilt wurde. In diesem Fall schließen M und T einen Schenkungsvertrag ab, der gem. § 518 Abs. 1 BGB einer notariellen Beurkundung bedarf. Eine solche Beurkundung fand nicht statt, so dass hier ein Formmangel vorliegt.
Ein Formmangel in Bezug auf § 518 Abs. 1 BGB wird allerdings geheilt, wenn die Schenkung gem. § 518 Abs. 2 BGB bewirkt wurde. Dies war hier der Fall.
Demzufolge ist der Formmangel geheilt. Die Schenkung ist nicht gem. § 125 S. 1 BGB unwirksam.

B. Mangel der Geschäftsfähigkeit
Der Vertrag könnte gem. § 108 Abs. 1 BGB wegen beschränkter Geschäftsfähigkeit des M unwirksam sein. Dafür muss M zum Kreis der Personen i. S. d. § 106 BGB gehören und das Rechtsgeschäft darf nicht ausnahmsweise gem. §§ 107 ff. BGB wirksam sein.

1. Beschränkte Geschäftsfähigkeit
M könnte beschränkt geschäftsfähig gem. § 106 BGB sein. Dies ist dann der Fall, wenn er minderjährig gem. § 2 BGB ist und das 7. Lebensjahr vollendet hat. M ist 16 Jahre alt und hat damit noch nicht die Volljährigkeit gem. § 2 BGB (die man mit 18 erwirbt) erreicht. Mit 16 hat er auch das 7. Lebensjahr vollendet. Demnach ist M beschränkt geschäftsfähig i. S. d. § 106 BGB.

2. Ausnahmsweise Wirksamkeit
Es könnte dennoch ein wirksamer Vertrag zwischen M und T vorliegen, sofern eine Ausnahme gem. §§ 107 ff. BGB greift.

a. Erwerbsgeschäft des Minderjährigen
M könnte gem. § 112 Abs. 1 BGB als unbeschränkt geschäftsfähiger betrachtet werden. Dafür muss er ein selbständiges Erwerbsgeschäft mit Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters und mit Genehmigung des Familiengerichts betreiben.
M träumt zwar von einem selbständigen Erwerbsgeschäft - d. h. einem Schuhhandel. Seine Eltern haben ihm das jedoch nicht erlaubt. Demzufolge kann M nicht gem. § 112 Abs. 1 BGB als unbeschränkt Geschäftsfähiger betrachtet werden.

b. Lediglich rechtlicher Vorteil
Der Vertrag zwischen M und T könnte gem. § 107 BGB wirksam sein, sofern er für M lediglich rechtlich vorteilhaft im Sinne der Vorschrift ist. Dies ist der Fall - im Falle eines hier vorliegenden Verpflichtungsgeschäftes - wenn aus dem Vertrag für M keinerlei rechtliche Pflichten folgen. Die Schenkung von 5 Paar Schuhen führt zu keinerlei (negativen) Folgen aus Sicht des M. Er erwirbt auf diese Weise nur ein Recht darauf, die Schuhe zu erhalten.
Die Schenkung ist für M lediglich rechtlich vorteilhaft.

3. Zwischenergebnis
Der Vertrag zwischen M und T ist demzufolge ausnahmsweise - da lediglich rechtlich vorteilhaft - wirksam. Die beschränkte Geschäftsfähigkeit des M hat keine Auswirkung auf die Wirksamkeit des Vertrages.

Der Vertrag zwischen M und T ist wirksam.

Frage 2

C. Anspruch M gegen V gem. § 985 BGB
M könnte einen Anspruch gegen V gem. § 985 BGB auf Herausgabe der Schuhe haben. Dafür muss es sich bei den Schuhen um eine Sache handeln, M muss Eigentümer dieser Sache sein und V muss Besitz an der Sache haben, ohne dass ihm diesbezüglich ein Recht zusteht.

1. Sache
Schuhe sind gem. § 90 BGB ein körperlicher Gegenstand und damit eine Sache.

2. Eigentum von M
M könnte Eigentümer der Schuhe sein. Dies ist dann der Fall, wenn er an ihnen ordnungsgemäß Eigentum erworben und auch nicht verloren hat.

a. Ursprünglicher Eigentümer
Ursprünglich war T Eigentümerin der Schuhe.

b. Eigentumserwerb von T
M könnte das Eigentum von T gem. § 929 S. 1 BGB erworben haben. Dazu bedarf es einer dinglichen Einigung zwischen M und T, einer Übergabe und einer Berechtigung des Veräußerers.

(1) dingliche Einigung
Ein dinglicher Vertrag zwischen M und T könnte vorliegen. Dies setzt voraus, dass zwischen M und T eine Einigung vorliegt, mit dem Inhalt der Eigentumsübertragung und diese auch wirksam ist.

(a) Einigung über Eigentumsübertragung
M könnte mit T sich darüber geeinigt haben, dass das Eigentum an den Schuhen (der 5 Paar, darunter auch die GoldenArrow) auf M übergeht. M hat mit T vereinbart, dass er die Schuhe für die Verwirklichung seines Traums, einen Schuhhandel zu eröffnen, nutzen wird. Damit sollte M über die Schuhe dauerhaft verfügen können. Er sollte gem. Vereinbarung zwischen M und T Eigentümer der Schuhe werden.
Eine Einigung i. S. d. § 929 S. 1 BGB liegt vor.

(b) Wirksamkeit der dinglichen Einigung
Die Einigung zwischen M und T könnte allerdings gem. § 108 Abs. 1 BGB unwirksam sein. Dies ist dann der Fall, wenn M beschränkt geschäftsfähig gem. § 106 BGB ist und das von ihm vorgenommene Rechtsgeschäft nicht ausnahmsweise gem. §§ 107 ff. wirksam ist.

(i) beschränkte Geschäftsfähigkeit
Wie bereits oben festgestellt, ist M beschränkt geschäftsfähig i. S. d. § 106 BGB.

(ii) ausnahmsweise Wirksamkeit
Die dingliche Einigung könnte gem. § 107 deshalb ausnahmsweise wirksam sein, weil diese dem M einen lediglich rechtlichen Vorteil bringt. Dies ist bei einer Verfügung dann der Fall, wenn M einen Rechtserwerb zu verzeichnen hat und aus diesem Erwerb keine direkten und persönlichen Belastungen erwachsen. M soll das Eigentum an den Schuhen erwerben. Dies stellt einen Rechtserwerb dar. Aus dem Eigentum von Schuhen resultieren keine direkten und / oder persönlichen Belastungen bzw. Verpflichtungen. Demzufolge ist der Eigentumserwerb an den Schuhen mit keinerlei Nachteilen verbunden.
Der Eigentumserwerb an den Schuhen ist für M insofern lediglich rechtlich vorteilhaft.

(iii) Zwischenergebnis
Demzufolge ist die dingliche Einigung zwischen M und T wirksam.

(c) Zwischenergebnis
Dingliche Einigung zwischen M und T liegt vor.

(2) Übergabe
T hat dem M die Schuhe übergeben.

(3) Berechtigung
T müsste berechtigte, also insbesondere Eigentümerin der Schuhe sein. Im Sachverhalt ist vom Eigentum an den Schuhen nicht die Rede, T besitzt sie aber. Gem. § 1006 BGB wird vermutet, dass der Besitzer einer Sache im Zweifel auch ihr Eigentümer ist. Es ist hier zu vermuten, dass T Eigentümerin der Schuhe und damit berechtigt war.

(4) Zwischenergebnis
M hat das Eigentum an den Schuhen, insbesondere auch dem Paar GoldenArrow von T erworben.

c. Eigentumsverlust an V
M könnte das Eigentum allerdings auf V übertragen und dadurch verloren haben. Voraussetzung dafür ist, dass sich M und V darüber geeinigt haben, die Sache übergeben wurde und M berechtigt war.

(1) Dingliche Einigung
M könnte mit V eine Einigung über Eigentumsübertragung an den Schuhen GoldenArrow erzielt haben. Dies setzt voraus, dass zwischen M und V ein Vertrag geschlossen wurde, mit dem Inhalt, dass das Eigentum an den Schuhen auf V übergehen soll und dass dieses wirksam geschah.

(a) Einigung über Eigentumsübertragung
M übergibt dem V die Schuhe in der Absicht, dass V ihr Eigentümer werden soll. Demzufolge haben sich M und V über Eigentumsübertragung an den Schuhen geeinigt.

(b) Wirksamkeit
Die dingliche Einigung müsste auch wirksam sein. Dies setzt voraus, dass keine Wirksamkeitshindernisse vorliegen. Es stellt sich die Frage, ob die Eigentumsübertragung zwischen M und V nicht wegen der Minderjährigkeit des M gem. § 108 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Die dingliche Einigung ist gem. § 108 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn hier ein beschränkt Geschäftsfähiger gehandelt hat und der Vertrag nicht gem. §§ 107 ff. BGB ausnahmsweise wirksam ist.

(i) beschränkt Geschäftsfähiger
Wie bereits oben ausgeführt, ist M beschränkt geschäftsfähig.

(ii) eigenes Erwerbsgeschäft
Wie bereits oben ausgeführt, kann M nicht gem. § 112 Abs. 1 BGB als unbeschränkt Geschäftsfähiger betrachtet werden. Seine Eltern haben den Betrieb eines Gewerbes nicht erlaubt.
(iii) lediglich rechtlicher Vorteil
Die dingliche Einigung könnte ausnahmsweise deshalb wirksam sein, weil sie einen lediglich rechtlichen Vorteil für M darstellt. Eine Verfügung wie hier ist lediglich rechtlich vorteilhaft, wenn der Minderjährige ein Recht erwirbt und daraus keinerlei direkte, persönliche Belastungen resultieren.
M überträgt hier aber gerade das Eigentum an den Schuhen auf V, so dass er gar kein Recht erwirbt sondern verliert.
Die dingliche Einigung ist nicht lediglich rechtlich vorteilhaft für M.

(iv) Einwilligung des gesetzlichen Vertreters
Die Eltern des M bekommen das Geschäft mit V erst im Nachgang mit.
Eine (vorherige) Einwilligung des gesetzlichen Vertreters i. S. d. § 107 BGB liegt nicht vor.

(v) Bewirkung der Leistung gem. § 110 BGB
Die Eigentumsübertragung könnte gem. § 110 BGB wirksam sein. Voraussetzung dafür ist, dass M eine Leistung mit Mitteln bewirkt hat, die ihm i. S. d. § 110 BGB überlassen wurden.
Ungeachtet dessen, inwiefern M hier eine "Leistung bewirkt hat", stellt sich die Frage, ob die Schuhe GoldenArrow Mittel darstellen, die ihm durch den gesetzlichen Vertreter überlassen wurden. Die Schuhe hat M ohne Kenntnis der Eltern von T erhalten, so dass Kenntnis des gesetzlichen Vertreters fehlt.

Von einer Bewirkung der Leistung mit Mitteln i. S. d. § 110 BGB kann keine Rede sein. Die dingliche Einigung ist nicht gem. § 110 BGB wirksam.

(vi) Genehmigung, § 108 Abs. 1 BGB
Die Eltern als gesetzliche Vertreter des M sind von dem Geschäft des M mit V auch im Nachgang nicht überzeugt. Eine Genehmigung i. S. d. § 108 BGB liegt nicht vor.

(vii) Zwischenergebnis
Das Rechtsgeschäft des M ist nicht ausnahmsweise wirksam.

(c) Zwischenergebnis (dingliche Einigung)
Die dingliche Einigung zwischen V und M ist unwirksam.

(2) Zwischenergebnis (Eigentumsübertragung auf V)
Das Eigentum geht nicht auf V über - M ist Eigentümer geblieben.

d. Zwischenergebnis Eigentumsrecht des M
M ist Eigentümer der Schuhe.

3. V Besitzer
V befindet sich nach wie vor im Besitz der Schuhe. M kann einen Anspruch aus § 985 BGB gegen ihn richten.

4. Ergebnis
M hat gegen V einen Anspruch auf Herausgabe der Schuhe gem. § 985 BGB.


D. Anspruch M gegen V gem. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB
M könnte gegen V einen Anspruch auf Herausgabe der Schuhe gem. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB haben. Dies ist dann der Fall, wenn M den Anspruch erworben, nicht verloren hat und er auch durchsetzbar ist.
M könnte den Anspruch erworben haben. Voraussetzung dafür ist, dass V hier etwas erlangt hat, durch eine Leistung des M und dies ohne Rechtsgrund erfolgt ist.

1. Etwas erlangt
V könnte etwas erlangt haben. Er hat zwar kein Eigentum an den Schuhen erworben, aber den Besitz. Dies ist auch ein "Etwas" i. S. d. § 812 BGB.

2. Leistung
M versucht hier einen mit V abgeschlossenen Kaufvertrag zu erfüllen. Damit stellt die Übergabe der Schuhe eine Leistung dar.

3. Ohne Rechtsgrund
Für die Leistung des M dürfte kein Rechtsgrund vorhanden sein. Als Rechtsgrund kommt hier der Kaufvertrag zwischen M und V in Betracht.






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