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Version [13710]

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Fallbeispiel 2 – Eigentumserwerb trotz Vicodin


Eigentumserwerb vom Berechtigten gem. § 929 S. 1; Wirksamkeit der Einigung; Abstraktionsprinzip

A. Sachverhalt

Zwei Wochen und 1000 Meter Nerven später verkauft Dr. H plötzlich seine über alles geliebte E-Gitarre an Herrn T. Die Übereignung des guten Stücks findet zwei Tage später statt.
Kurz darauf stellt sich jedoch heraus, dass H beim Abschluss des Kaufvertrags aufgrund übermäßigen Vicodin-Konsums vorübergehend nicht zurechnungsfähig war. Dies nimmt er sogleich zum Anlass, um die Gitarre zurückzuverlangen. T will sich jedoch unter keinen Umständen von der Gitarre trennen.


B. Frage

Hat Dr. H gegen T einen Herausgabeanspruch aus § 985?

C. Lösung

1. Grafische Skizze

 (image: https://ife.erdaxo.de/uploads/FallEigentumserwerbTrotzVicodin/Grafische_Skizze_Fallbeispiel2_Vicodin.jpg)

2. Lösungsskizze



H gegen T Herausgabe der Gitarre gemäß § 985?

I. Anspruch entstanden?
1. Voraussetzungen des § 985?

a. Sache i. S. d. § 985
Gitarre = körperlicher Gegenstand i.S.d. § 90
HIER (+)

b. Anspruchsgegner T ist Besitzer?
= Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache (§ 854 Abs. 1)
HIER (+)

c. Anspruchssteller (H) ist Eigentümer?
aa. ursprünglich (+)
bb. Aber: Eigentumsverlust des H durch Eigentumserwerb des T gemäß § 929 S. 1?
= Erwerb des T vom Berechtigten H


(1) Einigung über den Eigentumsübergang
= dinglicher Vertrag zwischen Veräußerer und Erwerber über den Eigentumsübergang
HIER (+)

Gem. § 105 Abs. 2 Var. 2 ist eine im Zustand der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegebene WE nichtig; die Nichtigkeit betrifft aber lediglich die WE, die H im Rahmen des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft (hier: Kaufvertrags, § 433) abgegeben hat; davon wird das dingliche Verfügungsgeschäft (hier: Übereignung, § 929, S. 1) jedoch nicht berührt; Beachtung des Abstraktionsprinzips!!!

(2) Übergabe?
= beidseitig gewollte Übertragung des Besitzes vom Veräußerer auf den Erwerber; Veräußerer verliert Besitz, Erwerber erlangt Besitz
HIER (+)

(3) Einigsein von Veräußerer und Erwerber im Zeitpunkt der Übergabe
= keine der abgegebenen WEen darf widerrufen worden sein (Einigung ist nach h.M. bis zur Übergabe frei widerruflich)
HIER (+); kein Widerruf

(4) (Verfügungs-)Berechtigung des Veräußerers
= verfügungsbefugt ist Eigentümer oder der Nichteigentümer, welcher gesetzlich oder vom Berechtigten ermächtigt wurde
HIER (+); H ist verfügungsbefugter Eigentümer der Gitarre

(5) Zwischenergebnis: Eigentumsverlust des H durch Eigentumserwerb des T vom Berechtigten H gemäß § 929 S. 1 (+)

cc. Zwischenergebnis: Anspruchssteller (H) ist nicht mehr Eigentümer


d. Zwischenergebnis: Voraussetzungen des § 985 nicht gegeben


2. Zwischenergebnis: Anspruch aus § 985 nicht entstanden


II. Ergebnis: H hat gegen T keinen Anspruch auf Herausgabe der Gitarre gem. § 985


D. Formulierungsvorschlag ("Abgespeckte Kurzversion")

Dr. H könnte gegen T einen Anspruch auf Herausgabe der Gitarre gem. § 985 haben.

I. Der Anspruch müsste zunächst entstanden (erworben) sein.
1. Nach § 985 muss der Anspruchssteller Eigentümer und der Anspruchsgegener Besitzer der Sache sein.
a. Bei einer Gitarre handelt es sich um einen körperlichen Gegenstand und damit zweifelsfrei um eine Sache i.S.d. § 90.
b. Anspruchsgegner T ist Besitzer der Gitarre, da er die tatsächliche Sachherrschaft ausübt.
c. Anspruchssteller H müsste Eigentümer der Gitarre sein.
aa. Ursprünglich war H der Eigentümer der Gitarre.
bb. H könnte jedoch sein Eigentum verloren haben, wenn T wirksam Eigentum erworben hätte. Insofern kommt ein Eigentumserwerb gem. § 929 S. 1 in Frage.

(1) Hierzu müssten sich die Parteien wirksam über den Eigentumsübergang geeinigt haben. Bei der Einigung handelt es sich um einen dinglichen Vertrag. Als Vertrag unterliegt die Einigung den Vorschriften des allgemeinen Teils des BGB, wonach für dessen Zustandekommen zwei sich deckende wirksame WEen erforderlich sind. Beachtlich erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit sich der übermäßige Vicodinkonsum des Dr. H hier auswirken könnte. Gem. § 105 Abs. 2 Var. 2 ist eine im Zustand der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegebene WE nichtig. Laut Sachverhalt stand Dr. H jedoch lediglich beim Abschluss des Kaufvertrages unter Drogen. Die Nichtigkeit betrifft insofern nur jene WE, die Dr. H im Rahmen des Kaufvertrags, dem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft abgegeben hat. Von dieser abstrakten Betrachtung nicht erfasst ist hingegen das dingliche Verfügungsgeschäft, die Übereignung. Folglich kann die wirksame Einigung über den Eigentumsübergang bejaht werden.
(2) Die Sache wurde übergeben.
(3) Auch im Zeitpunkt der Übergabe waren sich die Parteien noch einig.
(4) Ferner war der ursprüngliche Eigentümer H verfügungsbefugt, also Berechtigter.


Zwischenergebnis: T hat vom Berechtigten H gem. § 929, S. 1 Eigentum erworben. Folglich hat H sein Eigentum verloren.


cc. Zwischenergebnis: Der Anspruchssteller H ist somit nicht mehr Eigentümer der Gitarre.


d. Zwischenergebnis: Es fehlt an einer Voraussetzung des § 985.

2. Zwischenergebnis: Es besteht kein Herausgabeanspruch.


II. Ergebnis: H hat gegen T keinen Anspruch auf Herausgabe seiner Gitarre gem. § 985.


Schwerpunktproblem des Falls

Im Fall "Eigentumserwerb trotz Vicodin" galt es das Abstraktionsprinzip zu erkennen und anzuwenden. Sofern Ihnen dies Schwierigkeiten bereitet hat, kann auf die Ausführungen im Tutorium am 16.11.11 verwiesen werden. Ferner Musielak, Grundkurs BGB, Rdnrn. 227 ff. in der vertiefenden Nacharbeit.


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