WIPR I - Verpflichtung und Verfügung
Trennungsprinzip, Abstraktionsprinzip und ihre praktische Bedeutung
Im deutschen Zivilrecht wird strikt zwischen einer Verpflichtung und einer Verfügung unterschieden. Ein Verpflichtungsgeschäft begründet eine rechtliche Pflicht auf der einen und ein Recht (Anspruch) auf der anderen Seite. (Beispiel: beim Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer, ein Bauwerk zu erstellen). Ein Verfügungsgeschäft ändert hingegen die Rechtslage im Hinblick auf die bestehenden Rechte (Beispiel: eine Geldforderung wird an eine Bank abgetreten und steht nicht mehr dem früheren Gläubiger zu). Häufig erfolgt eine Verfügung aus wirtschaftlicher Sicht gerade deshalb, weil eine vorhergehende Verpflichtung eine Pflicht zur Verfügung begründet hat - dennoch handelt es sich bei der Verfügung um einen komplett separaten, von der Verpflichtung zu unterscheidenden, rechtlichen Vorgang.
Eine Verpflichtung (z. B. zur Übergabe und Übereignung, § 433 Abs. 1 BGB) und Verfügung (z. B. die infolge des Kaufvertrages erfolgte Übereignung nach § 929 BGB) bilden in der Regel eine wirtschaftliche Einheit. Die Rechtsordnung kann diese wirtschaftliche Einheit entweder einheitlich behandeln (Rechtsgeschäfte mit Doppelwirkung), sie kann jedoch auch - wie im deutschen Recht - unterschiedliche Regeln für beide logischen Vorgänge vorsehen und sie demzufolge rechtlich trennen. Im deutschen Zivilrecht wird die wirtschaftliche Einheit aus rechtlicher Sicht stets in zwei getrennte Vorgänge aufgeteilt. Im deutschen Recht gilt somit das sog. Trennungsprinzip (im Gegensatz zum Einheitsprinzip).
Das deutsche Zivilrecht geht allerdings noch weiter bei der Unterscheidung zwischen Verpflichtung und Verfügung: auch das Schicksal beider Geschäfte ist separat zu betrachten, so dass ihre Wirksamkeit ebenfalls separat zu betrachten ist. Ist die Verpflichtung nicht wirksam, hat dies grundsätzlich keinerlei Folgen für die Verfügung! Dies ist das sog. Abstraktionsprinzip, das im Gegensatz zum Kausalitätsprinzip in vielen anderen Rechtsordnungen (z. B. in Polen) dem BGB zugrunde liegt.
Welche Rechtsgeschäfte genau sich auf der Verpflichtungs- und auf der Verfügungsebene abspielen, zeigt folgende Übersicht:
Zu den Folgen dieses Prinzips im konkreten Fall vgl. Frage 2 zu Fall über den Kauf durch einen Minderjährigen sowie Fall über die geliehene Lokomotive.
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