Version [82950]
Dies ist eine alte Version von ThuerBO50 erstellt von MarcelOschmann am 2017-08-14 17:09:35.
Thüringer Bauordnung | [ThürBO] | Kommentar | Prof. Dr. Sven Müller-Grune |
§ 50 Barrierefreies Bauen |
(1) In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen mindestens eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein; diese Verpflichtung kann auch durch eine entsprechende Zahl barrierefrei erreichbarer Wohnungen in mehreren Geschossen erfüllt werden. In diesen Wohnungen müssen die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad, die Küche oder Kochnische sowie die zu diesen Räumen führenden Flure barrierefrei, insbesondere mit dem Rollstuhl zugänglich, sein. § 39 Abs. 4 bleibt unberührt. (2) Bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, müssen in den dem allgemeinen Besucher- und Benutzerverkehr dienenden Teilen barrierefrei sein. Dies gilt insbesondere für 1. Einrichtungen der Kultur und des Bildungswesens, 2. Sport- und Freizeitstätten, 3. Einrichtungen des Gesundheitswesens, 4. Büro-, Verwaltungs- und Gerichtsgebäude, 5. Verkaufs-, Gast- und Beherbergungsstätten, 6. Stellplätze, Garagen und Toilettenanlagen. Für die der zweckentsprechenden Nutzung dienenden Räume und Anlagen genügt es, wenn sie in dem erforderlichen Umfang barrierefrei sind. Toilettenräume und notwendige Stellplätze für Besucher und Benutzer müssen in der erforderlichen Anzahl barrierefrei sein. |
Kommentierung |
A. Normgeschichte
1. Historie
2. Gesetzesbegründung
§ 50 regelt die Verpflichtung zur Herstellung der Barrierefreiheit bei baulichen Anlagen. Konkrete Anforderungen, wie die Barrierefreiheit erreicht werden muss, enthält die als Technische Baubestimmung eingeführte und damit grundsätzlich verbindliche DIN 18040. Aufgrund der Einführung der DIN 18040 ist Absatz 3 des bisherigen § 53 entbehrlich geworden.
Absatz 1 verlangt, dass bei Gebäuden mit mindestens drei Wohnungen die Wohnungen mindestens eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein müssen. Bestimmte Räume in diesen Wohnungen müssen nicht nur mit dem Rollstuhl zugänglich sein, sondern grundsätzlich im Sinne des § 2 Abs. 9 barrierefrei nutzbar sein. Diese Anforderung wird in der als Technische Baubestimmung eingeführten DIN 18040-2 durch den Begriff "barrierefrei nutzbare Wohnung" konkretisiert. Da die Herstellung der Barrierefreiheit andere Wohnungsgrundrisse erfordern kann, können bei übereinanderliegenden Wohnungen dann bautechnische Probleme entstehen, wenn diese Wohnungen nicht im obersten Geschoss liegen. Zur Vermeidung dieser Probleme wird zugelassen, dass die barrierefrei herzustellenden Wohnungen in mehreren Geschossen liegen dürfen.
Absatz 2 Satz 1 stellt bei der Verpflichtung zur Herstellung der Barrierefreiheit anderer baulicher Anlagen auf die öffentliche Zugänglichkeit ab, um zu gewährleisten, dass öffentlichen Zwecken dienende Anlagen von allen Menschen barrierefrei erreicht und ohne fremde Hilfe genutzt werden können. Die Anforderungen werden allerdings auf die dem allgemeinen Besucher- und Benutzerverkehr dienenden Teile - einschließlich Stellplätze und Garagen - beschränkt, da für Arbeitnehmer in diesen Anlagen andere Vorschriften, insbesondere des Schwerbehindertenrechts einschlägig sind.
Satz 1 wird gegenüber der bisher geltenden Regelung wesentlich gestrafft, da sich die Definition des Begriffs "barrierefrei" nun in § 2 Abs. 9 befindet. Die bisher genannten Personengruppen der alten Menschen und Personen mit Kleinkindern werden durch die barrierefreie Beschaffenheit der baulichen Anlagen in gleicher Weise begünstigt. Der Begriff "Besucherverkehr" wird erweitert auf "Besucher- und Benutzerverkehr", um zu verdeutlichen, dass sich die Barrierefreiheit bei baulichen Anlagen mit ständigen Benutzern, die nicht dort beschäftigt sind, wie beispielsweise Schüler oder Studenten in Schulen oder Hochschulen, auch auf die barrierefreie Benutzbarkeit für diesen Benutzerkreis erstreckt.
Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Arbeitsstätten erfolgt nicht, weil zum einen die speziellen Anforderungen an Arbeitsstätten insgesamt nicht im Bauordnungsrecht, sondern im Arbeitsstättenrecht des Bundes geregelt sind und zum anderen, weil behinderte Arbeitnehmer vorrangig in bestimmten Arbeitsbereichen (insbesondere Bürogebäuden) beschäftigt werden, sodass Anforderungen an alle Gebäude, in denen sich Arbeitsstätten befinden, unverhältnismäßig wären. Darüber hinaus ist bei den Anforderungen an Arbeitsstätten die jeweilige Art der Behinderung ausschlaggebend; Arbeitsplätze müssen daher nach Bedarf individuell ausgestaltet werden.
Satz 2 zählt beispielhaft auf, für welche Anlagen und Einrichtungen die Anforderungen des Absatzes 1 gelten. Der Katalog kann kurz gefasst und auf die wichtigsten Anlagen beschränkt werden, da es sich nicht um eine abschließende Regelung handelt. Die Nummer 5 wird klarstellend um Gast- und Beherbergungsstätten ergänzt, da es hier mehrfach Unsicherheiten gab, inwieweit mit dieser Abweichung von der Musterbauordnung eine Reduzierung der Anforderungen beabsichtigt ist.
Satz 3 erlaubt, dass die Anforderungen an die Barrierefreiheit auf den für die zweckentsprechende Nutzung tatsächlich erforderlichen Umfang beschränkt sein dürfen. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn mehrere gleichartige Räume oder Anlagen, wie Gastplätze in Gaststätten oder Besucherplätze in Versammlungsstätten zur Verfügung stehen.
Nach Satz 4 muss bei barrierefreien Anlagen ein Teil der für Besucher und Benutzer vorgesehenen Toilettenräume und der notwendigen Stellplätze barrierefrei sein. Ob und in welchem Umfang überhaupt Toilettenräume und Stellplätze zu schaffen sind, richtet sich nach den für die jeweilige Nutzung geltenden Bestimmungen.
Die bisherigen Absätze 3 und 4 entfallen. Absatz 3 ist entbehrlich, da sich zukünftig die konkreten Anforderungen an das barrierefreie Bauen aus der als Technische Baubestimmung eingeführten DIN 18040 Teile 1 und 2 unmittelbar ergeben sollen. Absatz 4, der bei einem unverhältnismäßigen Mehraufwand ein automatisches Entfallen der Anforderungen der Absätze 1 und 2 vorsah, soll angesichts der gestiegenen Bedeutung des barrierefreien Bauens entfallen. Soweit im Einzelfall ein auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Barrierefreiheit unverhältnismäßiger Mehraufwand zu erwarten ist, kann diesem durch die Zulassung einer Abweichung durch die Bauaufsichtsbehörde nach § 66 Rechnung getragen werden. Bei Neubauten werden die Voraussetzungen hierfür jedoch regelmäßig nicht vorliegen.
3. Verwaltungsvorschrift
B. Normauslegung
Zitiervorschlag:
Müller-Grune Sven, Kommentar zur Thüringer Bauordnung, Schmalkalden 2017, § 50.
© Prof. Dr. Sven Müller-Grune |
Zurück zur Inhaltsübersicht